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Die ganze Welt wird ein Dorf

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Bald wird die Medienzukunft Gegenwart sein: Fernseh- und Radioprogramme kommen dann via Satellit aus dem Weltraum direkt ins Haus. Der deutsche Satellit soll im September 1984 starten. Und was tut Österreich? ORF- Generalintendant Gerd Bacher berichtete am 31. März dem Ministerrat über Entwicklungen und Möglichkeiten, damit die Regierung eine Entscheidung treffen kann. Die FURCHE bringt A uszüge des Berichtes.

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Bald wird die Medienzukunft Gegenwart sein: Fernseh- und Radioprogramme kommen dann via Satellit aus dem Weltraum direkt ins Haus. Der deutsche Satellit soll im September 1984 starten. Und was tut Österreich? ORF- Generalintendant Gerd Bacher berichtete am 31. März dem Ministerrat über Entwicklungen und Möglichkeiten, damit die Regierung eine Entscheidung treffen kann. Die FURCHE bringt A uszüge des Berichtes.

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Bis zur Mitte dieses Jahrzehntes werden einige europäische Staaten - darunter mit Sicherheit unser Nachbar, die Bundesrepublik Deutschland - Direktsatelliten in Betrieb nehmen. Für einen neutralen Kleinstaat wie Österreich stellt sich die Frage ganz besonders, ob er die Herausforderung und die Kosten der Satellitenkommunikation auf sich nehmen oder auf die vergleichslosen Möglichkeiten, die der Direktsatellit in wirtschaftlicher, kultureller und politischer Beziehung bietet, verzichten will.

Die wichtigsten Thesen zum Direktsatelliten:

1. Jeder Staat ist unabhängig von seiner Größe zum Betrieb eines Satelliten mit fünf Kanälen berechtigt. Jeder Kanal reicht für ein Fernseh-Programm oder 16 Hörfunk-Programme in Stereoqualität. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre werden mehr als zehn Satellitenprogramme in Österreich empfangen werden können.

Europaführend ist das deutsch-französische Gemeinschaftsprojekt TV- SAT; in seinem Rahmen ist der Start des deutschen Satelliten Tür September 1984 festgelegt, der französische soll etwa ein halbes Jahr später folgen. Die Luxemburger haben ihren Satellitenstart vorsorglich Tür April 1985 gebucht.

2. Jeder europäische Rundfunksatellit wird mehr Zuschauer im Ausland erreichen können als in „seinem“ Land. Das gilt umsomehr, je kleiner das Land ist. Das „Elektronische Weltdorf“, wie es der Medienapostel Marshal McLu- han beschrieben hab, steht tatsächlich vor der Tür.

Für kommerzielle Fernsehgesellschaften wird es daher erstmals in Europa einen Fernsehmarkt in den Dimensionen der USA geben, wenn man sie läßt. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, wie sie die europäische Rundfunklandschaft wesentlich prägen, stehen erstmals vor der Chance eines Europaprogramms, einer Eurovision völlig neuer Art.

3. Zwischen der theoretischen und der praktischen Reichweite eines Satelliten liegt eine riesige Differenz, im Fachjargon spill over genannt. So leben im vorgeschriebenen Zielgebiet eines österreichischen Satelliten rund 45 Millionen Menschen, darunter neben der gesamten österreichischen Bevölkerung Millionen in der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz, der Tschechoslowakei, in Ungarn, Jugoslawien und Italien. 1

Das tatsächlich bestrahlte Gebiet, in dem auch noch mit kleineren Antennen österreichische Fernsehprogramme empfangen werden können, ist aber von zirka Hl Millionen Menschen bewohnt. .. Die Weiterentwicklung der • Satelliten- und Antennentechnik wird schon in den nächsten Jahren auch dieses Zuschauerpotential noch beträchtlich vergrößern.

Der spill over von Radioprogrammen ist praktisch noch einmal um 100 Prozent größer als jener der Fernsehprogramme. österreichische Radio- Satellitenprogramme würden also mühelos ganz Europa abdecken.

4. Satellitenprogramme werden wesentlich rascher als erwartet private Haushalte erreichen: über Gemeinschaftsantennen und Kabelanlagen, die das Entstehen häßlicher Parabolanten- nen-Wälder verhindern und kostengünstige große Parabolantennen ermöglichen, die auch „weit entfernte!“ Satellitenprogramme hereinzuholen vermögen.

5. Die Jahresleasingkosten (ohne Programmkosten) pro Kanal betragen nach heutigen Berechnungen Für einen kleinen Satelliten mit drei oder vier Kanälen etwa 150 Millionen Schilling inklusive Bodenstation. Die Preise haben eher sinkende Tendenz.

6. Terrestrische (Boden-)Sender- netze werden durch den Einsatz von Fernsehsatelliten nich.t überflüssig.... Regionalfernsehen und Regionalradio können auch im Kabelzeitalter nicht auf terrestrische Sendernetze verzichten.

Für Österreich ergeben sich aus dem derzeitigen Entwicklungsstand folgende Möglichkeiten:

1. Ein eigener österreichischer Satellit, überden Hörfunk- und Fernsehprogramme verbreitet werden.... Das wäre die finanziell aufwendigste Lösung.

2. Österreich betreibt zusammen mit einem anderen Land einen gemeinsamen Satelliten. Aus neutralitätspolitischen Erwägungen und im Hinblick auf zwingende technische Fakten böte sich wohl nur ein gemeinsamer Satellit mit der Schweiz an.... Einem Satelliten der beiden Neutralen käme im Europa

der kontroversen Gesellschaftssysteme auch eine geopolitische Sonderstellung zu.

3. Einmieten in einen anderen Satelliten, der in seiner Überreichweite auch Österreich bestrahlt. Dafür käme vor allem der Satellit der Bundesrepublik Deutschland in Frage.... Diese Lösung ist natürlich die billigste von den dreien. Ihre Nachteile liegen auf der Hand: Verzicht auf eine in Ost-West- Richtung verlaufende österreichische Ellipse und Verzicht auf den neutralitätspolitischen Aspekt, einer österreichisch-schweizerischen Lösung.

4. Totalverzicht auf die österreichische Teilnahme am Satellitenrundfunk mit allen Konsequenzen einer solchen Abstinenz.

5. Die Finanzierung ist in folgenden Varianten denkbar:

• Finanzierung allein aus Werbung nach dem Muster Luxemburg durch kommerzielle Betreiber.

• Finanzierung aus Steuergeldern etwa nach dem Beispiel der internationalen Kurzwelle.

• Im Falle einer Beauftragung des ORF Finanzierung sowohl durch Gebühren wie durch Werbung.

6. Die Programmierung eines österreichischen Satellitenkanals durch den ORF hängt davon ab, was man sich finanziell leisten kann. Voneinergezielten Auswahl europareifer Programme aus FS 1 und FS 2 bis zu einem mehrsprachigen Europaprogramm, das eigens

für den Satelliten produziert wird, ist alles denkbar.

Der -gesamte deutschsprachige Raum und. ein Großteil Europas würden zu anem für Österreich direkt ansprechbaren Markt werden: Egal, ob es sich um den vielzitierten Kulturexport, die Exportwirtschaft im eigentlichen Sinne, den Fremdenverkehr oder andere intelligente Produkte handelt; erstmals haben mit Satellitenrundfunk kleine Länder auch die Chance, international, im wahrsten Sinne, das Wort zu ergreifen.

Mein Ersuchen an die Bundesregierung geht dahin, möglichst bald eine österreichische Entscheidung zur Satellitenfrage zu treffen. ... Sollte die Bundesregierung dem ORF eine Satellitenlizenz erteilen (Anm.: Sateliiten- fragen liegen im Rahmen der Fernmeldehoheit der Post), so sind wir unverzüglich bereit und imstande, die Vorarbeiten aufzunehmen.

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