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Die Gefahren unterwegs

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Alle Welt reist. Die Züge sind voll, Flugzeuge und Schiffe ausgebucht. Autos verstopfen die Straßen. Man drängt sich in engen beweglichen Räumen, schwitzt, kriegt keine Luft, verliert die Nerven - aber man fährt. Wohin und wozu ist egal, Hauptsache man ist von zu Hause weg - was für das Zuhause keineswegs schmeichelhaft ist.

Und überall auf den Wegen lauert die Gefahr. Es sind natürlich nicht die Gefahren, denen einst die großen Entdeckungsreisenden ausgesetzt waren. Das Risiko, von wilden Tieren gefressen zu werden, ist verhältnismäßig gering. Man verirrt sich auch nur selten noch in Wäldern - man verirrt sich höchstens in ein zwielichtiges oder rotlichtiges Lokal, wo man

meistens nicht das Leben, sondern nur das Geld verliert. Schließlich versucht heute kaum jemand noch Neuland zu entdecken - man ist zufrieden, wenn man irgendwo in Südfrankreich eine gemütliche Gaststätte mit gutem Essen und erschwinglichen Preisen entdeckt oder ein Warenhaus mit billigen Pullis in London.

Nicht alle traditionellen Gefahren sind jedoch im Schlund der Geschichte verschwunden. Die Piraterie ist wieder aufgeblüht, auf dem Lande, auf See und in der Luft. Für die großen Touristenschiffe ist die See dennoch fast sicher, vielleicht, weil die meisten heutigen Piraten in Wüstenländern geschult werden.

Auch das Gewerbe der Straßenräuber hat sich enorm entwickelt. Selbst bei den riesigen Touristenmassen ist das Pro-Kopf-Aufkommen der Straßenräuber größer denn je. Sie haben sich den Zeiten angepaßt. Keule und Messer wurden durch Hotels, Restaurants, Tankstellen, Souvenirs, falsche Antiquitäten und ähnliches ersetzt. Der Straßenraub ist außerdem humaner geworden - niemand muß mehr Angst haben, als Sklave verkauft zu

werden: Menschen sind heute keinen Groschen wert.

Die einst gefährlichen Küsten und Wälder bergen heute kein großes Risiko mehr. Ruhige, harmlose Landschaften sind dagegen gefährlich geworden. Man fährt arglos an einen idyllischen Ort, um ein bißchen Sonne, Luft und Wasser zu genießen -und findet statt dessen Gelegenheitskäufe: etwa einen Brillanten, der sehr billig gewesen wäre, wäre er nur ein wenig echt. In anderen Fällen fährt man als halbwegs normaler Mensch in die Feme - und kehrt als meditierender Nabelbeschauer zurück.

Natürlich gibt man auf Reisen sein ganzes Geld aus, aber das ist keine eigentliche Gefahr, weil es im voraus einkalkuliert war. Geld auszugeben ist ja wohl der Hauptzweck des Rei-sens. Sonst könnte man doch dieselbe Naturidylle, die man in tausend Kilometern Entfernung sucht, schon dreißig Kilometer von zu Hause finden.

Die Gefahren, die überall auf den Wegen lauem, können natürlich niemanden von der Reise abschrecken. Sie verlocken eher. Der Mensch ist eben ein Abenteurer.

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