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Die gefangene Orthodoxie

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Vor einigen Jahren erregten die Begegnungen des Patriarchen Athenagoras von Konstantinopel mit Papst Paul VI. die Öffentlichkeit. Sie erfuhr, daß jener „ökumenische Patriarch“, der den Titel der „Allheiligkeit“ führt, nominell das Oberhaupt der gesamten Ostkirche, der christlichen Orthodoxie des Ostens ist. So wie der Papst das Oberhaupt des römischen Katholizismus ist, sei der Patriarch von Konstantinopel der Primas der „Großen Kirche“ des Ostens, allerdings mit der Einschränkung, daß es sich um eine Art Ehrenvorsitz handle, während die geistliche Amtsgewalt sich in Wirklichkeit nur auf die Orthodoxen der heutigen Türkei, faktisch auf die Gemeinden von Konstantinopel erstrecke. Und doch ist die historische Bedeutung des Patriarchats von Konstantinopel nur mit dem von Rom zu vergleichen — daher auch die Symbolkraft der Begegnung von Paul und Athenagoras. West-Rom und Ost-Rom.

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Vor einigen Jahren erregten die Begegnungen des Patriarchen Athenagoras von Konstantinopel mit Papst Paul VI. die Öffentlichkeit. Sie erfuhr, daß jener „ökumenische Patriarch“, der den Titel der „Allheiligkeit“ führt, nominell das Oberhaupt der gesamten Ostkirche, der christlichen Orthodoxie des Ostens ist. So wie der Papst das Oberhaupt des römischen Katholizismus ist, sei der Patriarch von Konstantinopel der Primas der „Großen Kirche“ des Ostens, allerdings mit der Einschränkung, daß es sich um eine Art Ehrenvorsitz handle, während die geistliche Amtsgewalt sich in Wirklichkeit nur auf die Orthodoxen der heutigen Türkei, faktisch auf die Gemeinden von Konstantinopel erstrecke. Und doch ist die historische Bedeutung des Patriarchats von Konstantinopel nur mit dem von Rom zu vergleichen — daher auch die Symbolkraft der Begegnung von Paul und Athenagoras. West-Rom und Ost-Rom.

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In den Jahren 1960/61 und 1966 hat der englische Historiker Steven Run- ciman sich in Vorlesungen mit diesem Komplex befaßt; er hat in Saint Andrews und Cambridge Vorträge gehalten, die vor drei Jahren als Buch erschienen sind. Der vollständige Titel lautet: Die Große Kirche in der Gefangenschaft. Eine Studie über das Patriarchat von Konstantinopel vom Vorabend der türkischen Eroberung bis zum griechischen Unabhängigkeitskrieg.“ Das Buch ist jetzt unter dem Titel „Das Patriarchat von Konstantinopel“ bei C. H. Beck in München, in der gutem Übersetzung Peter de Men- delssons, erschienen. Trotz des schwerfälligen Titels und der scheinbar entlegenen Thematik ist es in unserer Zeit der pausenlosen Produktion überflüssiger Bücher ein Werk von hoher und aktueller Bedeutung. Früher hätte man es ein „Standardwerk“ genannt, denn es setzt Maßstäbe. Sie betreffen Religion, Politik, Geschichte und Gegenwart: Nicht nur weil „Kirche in Gefangenschaft“ ein kirchenpolitisch brisantes utnd aktuelles Thema ist, nicht nur weil das Thema „Wiedervereinigung der Kirchen“ die Gemüter bewegt, sondern weil im Bereich des Osmanischen Reiches, auf weltgeschichtlicher Ebene zum erstenmal, die Lage einer Großkirche exemplarisch untersucht wird.

Runciman ist Spezialist für die Mittelmeerwelt des 13. bis 19. Jahrhunderts, also jenes Gebiets, wo lateinische, griechische und osmanische Mächte aufeinander- stießen. Das Mittelmeer war damals die Mitte der bekannten Welt. Erst langsam sollte sich das Schwergewicht zum Atlantischen Ozean verschieben. Bis zur türkischen Eroberung fühlte sich Ost-Rom als Weltmacht schlechthin. Fast 1000 Jahre lang hatte es das Mittelmeer einschließlich großer Teile Italiens be- herrscht. Der Kaiser war zugleich das Oberhaupt der Kirche. Die kirchliche Organisation war Spiegel der Reichsorganisation, An der Spitze der Kirche standen fünf Patriarchen, nämlich die von Jerusalem, Antiochia, Alexandria, Rom und Byzanz. Der römische, als Nachfolger Petri, hatte den Ehrenvorrang. Der byzantinische am Kaiserhof war der mächtigste. Nachdem die morgenländische Kirche seit Jahrhunderten viele Trennungen und Spaltungen erfahren hatte, kam es 1054 zum Bruch mit dem Papsttum. Seither hat sich die Orthodoxie gesondert entwickelt. Mit der Eroberung Konstantinopels (1453) geriet die „griechische“ Kirche im Gefangenschaft. Zum erstenmal unterstand sie einer nichtchristlichen, feindlichen Macht, die ihre Mitglieder als Bürger zweiter Klasse hoch besteuerte und nahezu rechtlos machte.

Der Patriarch mußte dem Sultan Treue schwören, und zugleich mußte er dafür einstehen, daß alle Christen seines Sprengels sich loyal verhielten! Seine Befugnisse wurden in einer Weise ausgedehnt, auf die er kaum vorbereitet war. Er wurde verantwortlich für alle Belange seiner Gläubigen, die als Nicht-Moslems jeder Willkür der Statthalter und Beamten ausgesetzt waren, auch wenn der Sultan darauf bedacht war, die griechische Volksgruppe in Dienst zu nehmen. Die Türken waren Soldaten und Beamte. Handel, Gewerbe, Geldwesen, Schiffahrt und Gelehrsamkeit interessierten sie nicht: diese Positionen nahmen die Griechen (neben Armeniern und Juden) im türkischen Weltreich ein.

Es sollte aber etwa 100 Jahre dauern, bis sich die Christen von dem Verlust ihrer Souveränität, ihrer Kirchen, Güter und Vorrechte soweit erholt hatten, daß sie die neuen Möglichkeiten ausnutzen konnten. Es erwies sich als verhängnisvoll, daß die morgenländische Kirche, im Gegensatz zum Westen, keine eigenen Schulen und Hochschulen besaß. So kam es zu dem berühmten oder berüchtigten Stillstand auf geistigem und geistlichem Gebiet. Nach dem Fall Konstantinopels waren fast alle Gelehrten nach Italien geflüchtet.

Ehedem abhängige Kirchen, wie die des Balkans und Vor allem Rußlands, machten sich selbständig und überragten die Mutterkirche nach Zahl und Bedeutung. Zahlreiche griechische Länder waren unter die Herrschaft der Lateiner — Venedig, Genua, die Orden — geraten, und Rom versuchte, die Kirchen des Ostens in seinen Schoß einzubringen. In dieser Lage bot die Reformation in Europa neue Hoffnung. Aber was Runciman über die Versuche der Lutheraner, Kalvinisten und Anglikaner mit den Orthodoxen zu berichten hat, ist fast tragikomisch; die frommen Patriarchen Konstantinopels müssen entdecken, daß ihre Partner Häretiker sind, zu denen es in entscheidenden Punkten keine Beziehung mehr gibt. Solche Punkte sind die Lehre von der Transsub- stantiation, Heiligen- und Muttergottesverehrung, Liturgie und Hierarchie.

Auch als im Laufe der Jahrhunderte eine orthodoxe Weltmacht im Norden entsteht, die russische, die ihrerseits von Respekt vor der Mutterkirche erfüllt ist, muß man erkennen, daß Moskau als drittes Rom Konstantinopel ersetzen, aber nicht retten will. Die letzte Hoffnung und zugleich das Verhängnis der Ostkirche war die Nationalisierung der Griechen. Die griechische Freiheitsbewegung gegen die Osmanen bedeutete die Diskreditierung der Kirche beim türkischen Herrscher und, nach dem Sieg Griechenlands, den Untergang des kleinasiatischen

Griechentums. Was sich heute auf Zypern abspielt, ist das letzte traurige Kapitel einer Pervertierung der Kirche durch den Nationalismus. Wenn man Runcimans 400 Seiten, reich mit gelehrten Anmerkungen bestückt, wie einen spannenden Roman hinter sich gebracht hat, drängen sich die aktuellen Parallelitäten auf. Nach Struktur und Glauben ist’ Rom die nächste Kirche. Einer Wiedervereinigung stehen weniger dogmatische Unterschiede im Wege als der Primat des Papstes. Und dieser wäre von den Theologen und Gebildeten des Ostens, wie die Geschichte lehrt, zu akzeptieren — wenn nicht das „Volk“ und die Masse der niederen Kleriker gefühlsmäßig bis zum blinden Anti-Rom-Affekt „dagegen“ wären, der freilich seine tausendjährigen Gründe hat. Man sollte nicht vergessen, daß Johannes XXIII., wenn er von Wiedervereinigung sprach, an den Osten, an

Vor wenig mehr als einem Jahr begann, wie „Die Furche“ damals bereits in einem Querschnitt berichten konnte; die Mafia den österreichischen Markt zu durchleuchten. Die Ergebnisse dieser inoffiziellen Marktforschung müssen, wie andeutungsweise verlautet, geradezu glänzend gewesen sein, und eine Schar geschulter Agenten wurde alsbald auf teils neugierige, teils nur versnobte Jugendliche, jedenfalls aber auf „nützliche Idioten“ als Zwischenträger in unserem Land losgelassen. Die Resultate des auf diese Weise erzielten Rauschgiftumsatzes und der steigenden Verkaufsergebnisse kann man in der Gerichtssaalrubrik der Tageszeitungen nachlesen.

Auch die skandinavische Pomo- industrie konnte, nach einigen vorbereitenden Verhöhnungs- und „Aufklärungs“-Feldzügen gegen „Muckertum“ und sonstige mitteleuropäische Rückständigkeiten, ihren Siegesmarsch auf dem österreichischen (Ferkel-)Markt beginnen.

Dagegen ist das Geschäft mit der die Orthodoxie dachte, wohl wissend, daß nur auf diesem Boden eine Gemeinschaft der Tradition, des Glaubens und der Sakramente besteht. Die andere Parallele ist die der russischen Orthodoxie. Man ist bei uns geneigt, im Patriarchen von Moskau einen sowjetischen Staatsdiener zu sehen. Er ist es genauso wie seine Vorgänger in Konstantinopel unter dem Sultan — und doch hat die Kirche die geistige und geistliche Substanz ihrer Völker vor dem Untergang gerettet. Darüber hinaus bietet die im Detail oft wenig rühmliche Geschichte des Patriarchats von Konstantinopel den Beweis, daß der Abfall einzelner oder ganzer Massen sein Gutes hat, im Sinne des Abstoßens vom Ballast, und daß ein intakter hierarchischer Rahmen jederzeit wieder aufgefüllt werden kann, auch wenn seine Träger zeitweise häretisch infiziert sind.

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Darbietung von Brutalitäten nichts besonders Neues — es bedurfte nur in letzter Zeit einer gewissen Belebung, um drohenden Rückgängen im Konsum von Schundhefterin und von gewissen Filmen beizeiten vorzubeugen. „Nein“ zu Porno, Rauschgift und Brutalität sagte nunmehr die Katastrophenhilfe österreichischer Frauen. Ihr schlossen sich zahlreiche Verbände an, ein echter Durchschnitt der Bevölkerung sozusagen. Einer bereits gestarteten Plakataktion und einer Intervention beim ORF sollen zahlreiche weitere Initiativen folgen. Wer möchte da zurückstehen? Wer könnte da seine Unterstützung, mündlich, schriftlich, handelnd, verweigern?

„Diesmal handelt es sich nicht um ein Hochwasser wie im Jahr 1965, sondern um eine weit bedrohlichere und gefährlichere Schmutzflut, die Österreich in ein totales sittliches und gesellschaftliches Chaos treibt.“ (Dr. Elisabeth Schmitz namens der Katastrophenhilfe an ORF-Chefredakteur Franz Kreuzer.)

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