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Die gegenwärtige Malaise der Christdemokratie

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Das Europäische Parlament, also die parlamentarische Institution der Europäischen Gemeinschaft, hat unter anderem auch vielen Bürgern in den EG- Mitgliedsstaaten bewußt werden lassen, daß die Mehrheit der politischen Parteien internationale Verbindungen hat und daß sich weltanschaulich gleichgesinnte Parteien zu denselben Konzepten bekennen.

Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges gab es nur zwei Be

wegungen, die sich zu einem Zusammenschluß über die Grenzen hinweg bekannten: die II. Internationale der sozialistischen Parteien und die Kommunistische Internationale (Komintern), also der Zusammenschluß kommunistischer Parteien.

Nach Kriegsende entstanden die Liberale Weltunion und schließlich ein loser Zusammenschluß der christlichen Parteien. Sie waren jedoch nicht in der Lage, ein den internationalen Bewegungen der Linkskräfte ebenbürtiges Element zu schaffen.

Ohne Zweifel können sich die christlich-demokratischen Parteien darauf berufen, ein großes geistiges Erbe zu verwalten. In der französischen Revolution hinterließ es zum ersten Mal bescheidene Furchen, um später über eine Anzahl von Gesellschaftsphilosophen zu verfügen, die vom katholischen Theologen und Schriftsteller Felicite Robert de Lamennais bis zu den Denkern des 20. Jahrhunderts ein eindrucksvolles Gedankengebäude errichteten.

So ist es selbst in den Kernkreisen der christlichen Demokratie zuwenig bekannt, inwieweit der französische Philosoph, Neuthomist und Vertreter eines christlichen Humanismus, Jacques Maritain, die Weichen für die Zukunft gestellt hat.

Nachdem sich nach 1945 wieder

konservative und rechte Parteien in den einzelnen Staaten gebildet hatten, wanderte ein Großteil der bürgerlichen Wähler in ihre politische Heimat zurück. Diese Parteien aber vergaßen indes nur allzu gerne ihre historisch-geistigen Wurzeln und waren denn auch nicht bereit, ein Gesellschaftsmodell zu entwickeln und zu gestalten, das in der modernen Konsum- und Neidgesellschaft neue Werte setzte.

„Weg von jeder Ideologie“ lautete die Parole, und diese Parteien ließen sich von der Sozialdemokratie und dem Sozialismus nach und nach ins rechte Eck abdrängen. An einem Beispiel sei diese Behauptung erläutert:

Wenn es darum ging, internationale Beziehungen aufzubauen, sagte ein Flügel der christlichen Internationale, daß christliche

Demokraten nur mit konservativen Parteien eine Art Ehe einge- hen könnten. Eine andere Gruppe wiederum plädierte für den Zusammenschluß ausschließlich christlich-demokratischer Parteien.

So steht gegenwärtig die Frage im Raum: Können die Christdemokraten eine Weltanschauung präsentieren, die den Wählern zum Bewußtsein bringt, daß letztlich nur die christliche Demokratie in der Lage ist, ein Gesellschaftsmodell zu verwirklichen, in dem die Freiheit des Individuums dauernd garantiert ist?

Wer gegenwärtig in Frankreich lebt, weiß ein Lied davon zu singen, wie die Bürokratie angeschwollen ist, in der letztlich niemand verantwortlich zeichnet und Zustände entstehen, die an Kafka erinnern.

Nicht nur in Frankreich verglimmte der Glanz, den die christliche Demokratie einstens ausgestrahlt hatte — auch in anderen Ländern. Was aber ist gegen die gegenwärtig große Malaise zu tun?

Eine große Gewissenserforschung sei als erste Therapie vorgeschlagen. Es genügt nicht, ständig nur den Willen zu bekräftigen, ein politisches Europa schaffen zu wollen. Die christliche Demokratie kann nur dann eine Rolle spielen, wenn sie echte Alternativen gegenüber den sozialistischen und kommunistischen Thesen erarbeitet.

Hand in Hand damit sollte eine vollkommene Reorganisierung der christlich-demokratischen Parteien erfolgen und das Phänomen Masse und Macht neu durchdacht werden.

Freilich, viel hängt von der Orientierung der katholischen Kirche ab. Der politische Katholizismus hat keinerlei wie immer geartete Chance, auf der Weltbühne eine politische Rolle zu spielen.

Der einzelne Katholik dagegen muß bereit sein, gegen die Welt der Lüge und des falschen Scheins ein Bild vom Menschen zu entwik- keln, der mit Solidarität der Herausforderung des dritten Jahrtausends begegnen kann.

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