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Die gelben Robbespierres von Phnom Penh wüten in Südostasien

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Zwei Jahre nach Beendigung des Vietnamkrieges marschieren wieder schwerbewaffnete Patrouillen im Dschungel, flüchten wieder armselige Bauern mit ihren Familien aus verwüsteten Dörfern. Diesmal sind es die Roten Khmer, die den Kriegspfad beschreiten. Seit dem 20. Juli verloren über 50 Thailänder (Soldaten, Polizisten und Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder) ihr Leben. Über 2000 Menschen flohen aus dem Grenzgebiet zu Kambodscha.

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Zwei Jahre nach Beendigung des Vietnamkrieges marschieren wieder schwerbewaffnete Patrouillen im Dschungel, flüchten wieder armselige Bauern mit ihren Familien aus verwüsteten Dörfern. Diesmal sind es die Roten Khmer, die den Kriegspfad beschreiten. Seit dem 20. Juli verloren über 50 Thailänder (Soldaten, Polizisten und Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder) ihr Leben. Über 2000 Menschen flohen aus dem Grenzgebiet zu Kambodscha.

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Ein menschenleeres Glacis bildet sich vor allem um dęn Watthana-Paß, der klassischen Einfallsstraße zwischen den beiden seit 1000 Jahren verfeindeten Nachbarn. Aber auch im Norden in der Dreiländerecke mit Laos, wo die Thai-Kommunisten ihre Ausbildungslager im Khmergebiet unterhalten, fanden Kämpfe um die Kontrolle der engen Pässe in den Dang- rekbergen statt. Im äußersten Süden stießen die Khmer acht Kilometer über die Wasserscheide vor, die bisher als Grenze galt, und streben nach der Beherrschung eines schmalen Küstenstreifens, der östlich der Stadt Trat weit nach Süden verstößt. Hier geht es offenbar um die Kontrolle der 200-Meilen-Seegrenze. In diesem Jahr registrierte Thailand 400 Grenzverletzungen.

Aber auch gegen Vietnam führen die Khmer seit Mai ständig Gefechte, einmal, um Rebellen über die Grenze zu verfolgen, ein anderes Mal, um die 60.000 Kambodschaner, die nach Vietnam flüchteten, zu bestrafen. Kaum hatte Vietnam am 20. Mai seine 200- Meilen-Seegrenze deklariert, zählten die Khmer 44 Inseln im Golf von Thailand auf, die sie beanspruchen. In dem strittigen Gebiet werden bedeutende öllager vermutet Diese ständigen Nadelstiche bewirkten, daß Mitte August der vietnamesische Verteidigungsminister Vo Nguyen Giap mit drei Generälen das bedrohte Grenzgebiet besuchte und an die Truppen eine leidenschaftliche Rede über Erhaltung der politischen Sicherheit und sozialen Ordnung, Schutz der Grenze, der Territorialgewässer sowie Inseln rich tete. In den letzten Monaten setzten beide Seiten im Grenzgebiet gegen Laos, östlich der Stadt Kratie, in dem die Vietnamesen seit den vierziger Jahren Garnisonen zum Schutz der Nachschubrouten unterhalten, Flugzeuge und Artillerie ein. Etwa 30.000 Mann dürften dort heute noch auf Khmerboden stationiert sein. Neuestens aber verlegte Giap drei Divisionen in das südliche Laos bis an die Thaigrenze, darunter die 325. „Stahldivision“, seine beste Truppe.

Thailand besitzt nicht die Mittel und das Selbstvertrauen, um die gleiche Taktik harter Gegenschläge zu verfolgen. Der Grenzkommandant Oberst Prąjak, ein Jungtürke mit politischen Aspirationen, der den Khmer auf den Leib rücken wollte, wurde von der ängstlich taktierenden Regierung kurzerhand ins Hinterland versetzt

Uber die Gründe für die Aggression der Roten Khmer schwirren allerhand Gerüchte durch die aufgeschreckte Region. Tatsache ist, daß die Khmer ihren Sieg mit unmenschlicher Grausamkeit gegen ihr eigenes Volk feierten. Unvergessen bleibt der Gewaltmarsch aus allen Städten, die zwangsweise in kürzester Zeit total geräumt wurden, die Hungersnot im Dschungel und auf dem Land, Massensterben durch Seuchen aller Art. Die frühere Führungsschicht und ihre Familien wurden mit Knüppeln erschlagen, um Munition zu sparen. So unglaublich es klingt: Nach vorsichtigen Schätzungen kann man annehmen, daß 1,2 Millionen Kambodschaner den kommunistischen Sieg mit ihrem Leben bezahlten.

So kann es nicht verwundern, daß das unmenschliche Regime auf Widerstand stieß: Guerillas führen seit zwei Jahren einen Kleinkrieg im Dschungel und werden wahrscheinlich von Flüchtlingen in Thailand versorgt. Seit Anfang dieses Jahres macht sich der Widerstand auch in den eigenen Reihen der Roten Khmer fühlbar. Im Februar rebellierten Teile der Armee und der Parteiorganisationen in den zwei Provinzen von Siem Reap und Undon Meechai. Im April fanden Revolten und Säuberungen in der Armee und Partei statt. Bis in die höchsten Kader reichten die Versetzungen, Verhaftungen und Hinrichtungen. Ende Mai wurden 500 Familien viet- namischen Ursprungs an der Südostgrenze verhaftet, einige auch hingerichtet, wohl als „vorsorgliche Maßnahme“.

Kambodscha zählt eine Bevölkerung von nur sieben Millionen, ist aber eingepfercht zwischen zwei Staaten, die je 40 Millionen besitzen. Vor 800 Jahren vermochten die Khmer ein gewaltiges Reich aufzubauen, dessen Grenzen sich bis Burma im Westen, das Chinesische Meer im Osten und Luang Prabang im Norden ausdehnten. Von den Wundern der Vergangenheit zeugen nur noch die 200 gewaltigen Tempelruinen, von denen erst ein kleiner Teil dem Dschungel entrissen wurde. Angkor Wat und Angkor Thom gehören heute noch zu den größten Werken, die von Menschenhand geschaffen wurden. Doch versank das Volk aus Gründen, die heute noch nicht restlos geklärt sind, in ein armseliges Fellachendasein zurück. Der Traum von versunkener Größe scheint die heutigen Machthaber, die an der Sorbonne ausgebüdet wurden, mit einer neurotischen Frustration zu behaften. Sowohl die radikalste Form eines puritanischen Kommunismus wie auch ein rabiater Nationalismus scheint das bizarre Verhalten der gelben Robespierres in Phnom Penh zu bestimmen. Eine gefährliche Kombination.

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