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Die geplatzten Träume des Felipe Gonzalez

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Nach geschlagener Wahl wird Spaniens Felipe Gonzalez gut daran tun, rasch eine handlungsfähige Regierung zu formieren. Denn neben Skandalen und Korruption waren es auch große Wirtschaftsprobleme, die den Langzeit-Premier in vorzeitige Neuwahlen trieben.

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Nach geschlagener Wahl wird Spaniens Felipe Gonzalez gut daran tun, rasch eine handlungsfähige Regierung zu formieren. Denn neben Skandalen und Korruption waren es auch große Wirtschaftsprobleme, die den Langzeit-Premier in vorzeitige Neuwahlen trieben.

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Mit flauer Konjunktur und einer wahrscheinlichen Schrumpfung des Bruttoinlandsproduktes steht Spanien zwar nicht allein da; die Vernichtung von fast 3.000Arbeitsplätzen pro Tag, eine Arbeitslosenquote von mehr als 20 Prozent, immer größere Löcher im Staatshaushalt und in der Außenwirtschaftsbilanz sind aber ernste Anzeichen einer tiefen Krise der iberischen Ökonomie.

Damit nicht genug: auch die Investitionstätigkeit geht rapide zurück, die Inflationsrate nähert sich wieder der Fünf-Prozent-Marke. Die Peseta schließlich wurde Mitte Mai zum dritten Mal seit September 1992 abgewertet und hat seit damals gegenüber den harten Währungen im europäischen Währungssystem mehr als 20 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Trotzdem konnten die Exporteure, wie die Handelsbilanz zeigt, nur vorübergehenden Nutzen aus diesen Abwertungen ziehen. Die Zentralbank konnte zwar, nachdem der Druck von der Peseta genommen war, einige Zinssenkungsschritte durchführen, doch wird das zweifellos positive Effekte nur auf mittlerer Sicht ausüben.

Wie in vielen Ländern fördert die weltwirtschaftlich schlechte Lage auch in Spanien nur mehr die verschleppten Strukturprobleme zu Tage.

Wie konnte Spanien aber in diese schwierige Lage kommen?

Offensichtlich wurde die Wirtschaft in den letzten Jahren massiv überfordert. Gonzalez und seine Regierung verfolgten seit jeher das Ziel, das Land so rasch wie möglich an die wirtschaftlichen und politischen Spitzenreiter Europas heranzuführen.

Nach einer langen Phase niedrigen Wachstums bei gleichzeitig hoher Inflation Ende der siebziger und in der ersten Hälfte der achtziger Jahre setzte schon etwa ab 1985 im Hinblick auf den 1986 zu vollziehenden EG-Beitritt eine boomartige Entwicklung ein.

Sie hielt bis etwa 1991. Eindrucksvolle Zuwachsraten des Bruttoinlandsprodukts zeigten den großen Nachholbedarf der spanischen Wirtschaft. Hauptträger dieser Expansion war die Industrie, die zuvor in zu hohem Ausmaß auf Sparten konzentriert war, in denen ohnehin weltweite Überkapazitäten zu verzeichnen waren wie etwa Schiffbau, Stahl, Textilien und die Elektroindustrie. Sie wurde in den Folgejahren nun relativ zügig umstrukturiert.

Wegen hoher Wachstumserwartungen sowie geringerer Inflationsraten gewann die zuvor schwache Peseta seit 1986 laufend an Wert. Trotz der erwähnten bemerkenswerten Um-

strukturierungserfolge kam es demzufolge zu einer Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit und einer entsprechenden Verschlechterung der Handelsbilanz.

Die Nachfrage nach Arbeitskräften stieg seit 1986 an, doch reichte das nicht aus, das wachsende Arbeitskräfteangebot zur Gänze zu absorbieren. Es gelang daher gegen Ende der achtziger Jahre nur vorübergehend, die Arbeitslosenquote deutlich unter 20 Prozent zu drücken; danach stieg sie rasch wieder an.

Diese Diskrepanz zwischen wirtschaftlichem Wachstum und der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt führte zu einer Verschärfung der sozialen Gegensätze und brachte die Gewerkschaften zunehmend auf Konfrontationskurs mit der Regierung.

In der jüngsten Vergangenheit war

der in Maastricht beschlossene Fahrplan zur Bildung einer Wirtschaftsund Währungsunion Grundlage der spanischen Wirtschaftspolitik, die Erfüllung der darin genannten Konvergenzkriterien genoß höchste Priorität. Gonzalez wollte damit den spanischen Zug unter die europäischen Schnellzüge im wirtschaftlichen Sinn einreihen und hatte damit die Mehrheit der Bevölkerung auch lange hinter sich.

Heute präsentiert sich die Wirtschaft jedoch in einem Zustand der Erschöpfung, die hohen Kosten der rasanten Auftioljagd werden sichtbar.

Der Regierung fiel es zuletzt immer schwerer, eine Mehrheit der Bevölkerung von der Sinnhaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Maastricht-Übungen zu überzeugen, zumal sie selbst es an Disziplin mangeln ließ,

was die Einhaltung des Drei-Prozent-Limits beim Budgetdefizit (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) anbelangt: Voranschläge wurden in den letzten Jahren jeweils deutlich überschritten und näherten sich der Fünf-Prozent-Marke.

Die leichte Hand bei den öffentlichen Ausgaben war deshalb über längere Zeit aufrechtzuerhalten, weil gleichzeitig ein restriktiver geldpolitischer Kurs die Zinsen hoch hielt und ausländisches Kapital anlockte. Die daraus folgende erwähnte Stärke der Peseta - für wirtschaftspolische Beobachter immer eine gewisse Absurdität - entsprach dem tatsächlichen Zustand der spanischen Wirtschaft immer weniger; die erwähnten Abwertungsschritte wurden unvermeidlich. Die begleitenden Zinssenkungen signalisierten jedoch auch, daß

nun der Versuch aufgegeben wurde, die Peseta gegen die fundamentalen ökonomischen Gegebenheiten zu verteidigen. Das wiederum deutete auf eine Verschiebung in den wirtschaftspolitischen Prioritäten hin: wurde zuvor versucht, die Erfüllung der Voraussetzungen zum Eintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion zu erzwingen, so steht nun doch die Belebung der spanischen Wirtschaft im Vordergrund.

Das Bestrebung, in einem sich abzeichnenden „Europa der zwei Geschwindigkeiten" zu den schnelleren, also wirtschaftlich fortgeschritteneren Ländern zu zählen, hat sich als Illusion erwiesen. Spaniens neue Regierung wird dem Land eine Erho-lungs- und Konsolidierungsphase verordnen (müssen). Wie weit sie dabei gehen will, wird sich zeigen.

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