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„Die Gewalt macht häßlich”

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Zunehmend Sorgen Uber das Image der Deutschen macht man sich auch in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft. Sensibel wird hier beobachtet, wie sich die Ausschreitungen gegen Ausländer und Asylanten auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland auswirken könnten. In den Topetagen geht die Angst vor großen Verlusten um..

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Zunehmend Sorgen Uber das Image der Deutschen macht man sich auch in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft. Sensibel wird hier beobachtet, wie sich die Ausschreitungen gegen Ausländer und Asylanten auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland auswirken könnten. In den Topetagen geht die Angst vor großen Verlusten um..

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Politiker werden in diesen Tagen nicht müde, daraufhinzuweisen, daß die schrecklichen Mordtaten von Mölln und Solingen nicht mit den Deutschen verwechselt werden dürfen, und daß das ausgebrannte Haus von Solingen keineswegs ein Symbol für ganz Deutschland ist. Aber auch sie wissen, wie schnell eben dieses Bild um die Welt ging und überall dem Ansehen der Deutschen schadet. Solingen ist zwar nicht Deutschland, aber Solingen ist in Deutschland. Stimmen aus der Wirtschaft machen deutlich, was man befürchtet.

Wenn die Serie von Brandanschlägen auf Ausländerwohnungen und Lokale nicht aufhöre, werde das „auf Investitionsentscheidungen, aber auch auf die Ausfuhr deutscher Waren Einfluß nehmen”, erklärte jetzt Ludger Birkendorf, Referatsleiter für Arbeit und Soziales beim Deutschen Industrie- und Handelstag. Deutschland sei als zweitgrößte Exportnation auf ein positives Bild im Ausland angewiesen. Auch Tyll Necker, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, sorgt sich um das Ansehen seines Landes: „Die Ausländerfeindlichkeit macht uns häßlich und unsere Produkte schwer verkäuflich.” Ähnlich sieht das auch Hans Peter Stihl, der Präsident des deutschen Industrie- und Handelstages: „Wenn die Rechtsradikalen so weitermachen, kostet uns das Milliarden. Aufträge werden storniert, Touristen und Investitionen bleiben aus.”

Daß solche Befürchtungen nicht ganz unbegründet sind, zeigt die Erklärung eines Sprechers der amerikanischen Handelskammer in Frankfurt. Der sieht in der gegenwärtigen Situation „keinen positiven Impuls für die Wirtschaft”. Bisher sei ein wichtiger Pluspunkt für den Standort Deutschland die politische Stabilität gewesen. Nicht selten habe Deutschland gegenüber Mitbewerbern den Zuschlag für eine Investition bekommen, weil der Investor sich auf eine stabile politische Sicherheit verlassen konnte.

Es muß aufhorchen lassen, wenn selbst im Frankfurter Bankenviertel Besorgnis artikuliert wird. Dort ist zu hören, daß mit einer weiter abnehmenden Attraktivität des Standorts Deutschland gerechnet wird. Zumindest ausgeschlossen wird eine solche Entwicklung nicht. Denn angesichts der ohnehin geringen Auslandsinvestitionen dürfe die jüngste Gewaltwelle nicht unterschätzt werden. „Ein Standort, der Toleranz und Stabilität vorweisen kann, wird bei Investitionsentscheidungen immer vorgezogen”, sagte ein Frankfurter Bankensprecher.

Freilich: Trotz aller Befürchtungen gibt es bis heute keine genauen Erkenntnisse darüber, ob wegen der rechtsradikalen Ausschreitungen ausländische Unternehmen ihre Entscheidungen für Deutschland rückgängig gemacht haben. Selbst nach dem Anschlag von Mölln, bei dem vor einem halben Jahr mehrere türkische Bürger einem Brandanschlag zum Opfer fielen, wurde bis jetzt kein Fall bekannt, daß ein ausländischer Investor eine bereits getroffene Entscheidung zurückgenommen hätte.

Doch die Sorgen bleiben. Niemand kann wissen, ob und wie viele potentielle Investoren eventuell zurückschrecken angesichts der nicht abebbenden Serie von Gewalttaten. Hinzu kommt, daß aus Wirtschaftskreisen ohnehin gerne darauf verwiesen wird, daß der Standort Deutschland strukturelle Schwierigkeiten habe, die einst durch die gleichsam gesicherte politische Stabilität überspielt werden konnten.

Für die Imagepflege des Standorts Deutschland muß die Wirtschaft etwas tun. Offensichtlich haben die deutschen Manager erkannt, daß hier eine nicht unbedeutende Aufgabe für sie vorhanden ist. Immer mehr Unternehmen werden sich der Tatsache bewußt, wie wichtig diesbezüglich die Integration ausländischer Arbeitnehmer geworden ist. Das in Düsseldorf erscheinende „Handelsblatt” berichtete Anfang Juni, daß Unternehmen und Wirtschaftsverbände dazu übergehen, ihre Solidarität mit Ausländern zu betonen. Schließlich kann die deutsche Wirtschaft auf Ausländer nicht verzichten.

Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung in Essen errechnete, daß Ausländer aus gesamtwirtschaftlicher Sicht eindeutig eine Bereicherung darstellen. Allein 1991 erzielte die öffentliche Hand durch die Beschäftigung von Ausländern einen Nettoertrag von 41 Milliarden Mark. Und das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln fand heraus, daß vom 1991 geschaffenen Bruttosozialprodukt in Höhe von 2.200 Milliarden Mark die ausländischen Arbeitnehmer etwa 200 Milliarden Mark erwirtschafteten. Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin gehen davon aus, daß die ausländischen Arbeitnehmer etwa 8,5 Prozent des Aufkommens der Sozialversicherung tragen und rund 25 Milliarden Mark an Steuern und Sozialabgaben zahlen.

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