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Die Gewissensfrage an alle Araber

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Unter den Toten von Rom und Athen waren Araber und, wohl auch Juden. Unter ihnen waren Menschen, die mit Israel, und solche, die mit den Palästinensern sympathisierten. Es waren auch zwei ara&ische Minister unter den vom Zufall zusammengewürfelten Opfern einer Wahnsinnstat, die aber nicht von Wahnsinnigen begangt«/ wurde. Am Ausgangspunkt dieser Tat steht nicht nur Emotion, sondern auch kaltes, klares Kalkül. Diese fünf Männer wußten genau, was sie taten.

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Unter den Toten von Rom und Athen waren Araber und, wohl auch Juden. Unter ihnen waren Menschen, die mit Israel, und solche, die mit den Palästinensern sympathisierten. Es waren auch zwei ara&ische Minister unter den vom Zufall zusammengewürfelten Opfern einer Wahnsinnstat, die aber nicht von Wahnsinnigen begangt«/ wurde. Am Ausgangspunkt dieser Tat steht nicht nur Emotion, sondern auch kaltes, klares Kalkül. Diese fünf Männer wußten genau, was sie taten.

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Denn was unterscheidet eigentlich die palästinensischen Terroristen von Mördern, deren Taten keinen politischen Hintergrund haben, aber auch von politischen Gewalttätern mehr pathologischen als revolutionären Zuschnittes wie Baader, Meinhof usw.? Vor allem unterscheidet sie: Baader und Meinhof gerieten in immer größere Isolation und waren zuletzt nur noch Gehetzte, die alle Brücken abgebrochen hatten und sogar aus den Ausbildungslagern der palästinensischen „Genossen“ hinauskomplimentiert worden waren, die selbst hier, gerade hier, keinen Rückhalt fanden. Die palästinensischen Terroristen aber wissen, daß sie in bestimmten Ländern jederzeit auf sicheres Asyl zählen können, mehr noch, daß sie dort als Helden gefeiert werden, wenn es ihnen nur gelingt, eines dieser Länder zu erreichen.

Und sie können damit rechnen, daß es ihnen gelingt. Was immer sie verbrechen, die immer noch halbwegs intakte westliche Zivilisation mit ihrer immer noch halbwegs intakten Justiz und Exekutive erschießt niemanden auf der Stelle, wenn er rechtzeitig die Hände hebt, und außer in Fürstenfeldbruck haben sie immer noch richtig gerechnet und rechtzeitig die Hände gehoben. Denn wenn man ihnen jede Drohung glauben bann, eine nicht: daß sie ihr eigenes kostbares Leben wegwerfen. Sie gehen ein Risiko ein, aber ihr Risiko ist wohlkalkuliert, und wie die relativ geringe Zahl der Opfer, die sie bisher zu beklagen hatten, zeigt, ist es auch nicht allzu groß. Nie und nimmer werden Sie ein Flugzeug auf ein Stadtzentrum abstürzen lassen — solange sie drin sind. (In dieser Beziehung haben sie eine starke Ähnlichkeit mit NS-Masseramördenn, bei denen ebenfalls ein ausgeprägtes Mißverhältnis zwischen der Mißachtung fremden und der Wertschätzung des eigenen Lebens zu beobachten war.)

Sind sie aber erst einmal im Gefängnis, sind sie auch schon po gut wie frei. Eines Tages wird ein Flugzeug kommen und sie holen. Und man wird sie freilassen müssen, um das Leben von Geiseln zu schonen. Und man wird richtig handeln, wenn man sie freiläßt, denn das Leben Unschuldiger steht höher als der Vollzug der Gerechtigkeit an Schuldigen. Aber in Beirut oder in Damaskus wird man die „Befreiten“ als Helden feiern und sie werden in der Hierarchie ihrer Organisation einen geachteten Platz einnehmen. Was ist neuerdings ein Hadschi gegen einen Entführer, was ist in den Augen der Palästina-Fanatiker ein frommer Mann gegen einen Mörder?

Das ist, vor allem in Beirut, natürlich nicht der offizielle Standpunkt. Aber kaum ein arabischer Staat hat bis heute die Macht, ernsthaft gegen die „Helden der palästinensischen Sache“ vorzugehen, denn die Terroristen sind allenthalben zum Staat im Staat geworden, soweit sich der Staat nicht mit ihnen identifiziert. Und allenthalben in der arabischen Welt ist es heute so, daß die fanatischen und ausgeprägten Befürworter des sinnlosen Terrors zwar eine kleine Minderheit darstellen, die sich aber auf mehr oder weniger Sympathie, immer aber eher auf Sympathie als Antipathie in breiten Bevölkerungsschichten stützen kann. Sadat hat vor ihnen ebenso Angst wie Hussein, möglicherweise sind sogar Moslem-Radikale wie Gaddafi heute Getriebene der Geister, die gie riefen. Ist man also machtlos?

Bis vor kurzem wäre man es gewesen. Heute sieht die Sache doch etwas anders aus. Zwei neue Tatsachen setzen neue Möglichkeiten.

Die erste neue Tatsache sind die völlig neuen Maßstäbe der Unmenschlichkeit und der sinnlosen Brutalität, die in Rom und Athen gesetzt wurden. Man sollte über all dem Palästina-Fanatismus den starken, von Emotionen überdeckten

Restbestand an intaktem humanem und rechtlichem Empfinden in der arabischen Welt nicht übersehen. In der islamischen Gesellschaft haben Terrorakte gegen die Luftfahrt oft zwiespältige Gefühle ausgelöst — vor allem, wenn sie mit sinnlosen Opfern an Frauen und Kindern verbunden waren. Die Hoffnung, die fünf Mörder von Rom und Athen könnten nun auch die arabische Toleranzschwelle überschritten haben, ist sozusagen die letzte Karte der Vernunft. Sticht sie nicht, stehen uns unausweichlich neue Steigerungsstufen des Terrors bevor.

Die zweite neue Tatsache sind neue Machtverhältnisse in der arabischen Welt, in der König Feisal plötzlich zur Führergestalt wurde. Feisal gilt als der Architekt des öl-boykotts — und damit als der Vater eines neuen arabischen Selbstbewußtseins. Nur dieses neue arabische Selbstbewußtsein kann (muß aber leider nicht) den arabischen Führern die Festigkeit geben, gegen das Krebsgeschwür des Terrorismus zur Luft vorzugehen, welches das arabische Lager noch mehr in Mißkredit bringt, die Fronten versteift, die ölpolttik der als „die Scheichs“ bezeichneten Gruppe unglaubwürdig macht, vor allem aber die Stellung Feisals und der hinter ihm stehenden ölpotentaten gegenüber den ölhabenichtsen des arabischen Lagers schwächt und die Arafat, Habasch & Co. stärkt.

Was wahrscheinlich auch der Zweok des Unternehmens war. Vermutlich sollte mit dieser offensichtlich wohlüberlegten Zurschaustellung nackter Brutalität die Konferenz von Genf torpediert, das arabische Lager wieder isoliert, jeder Friedenstendenz ein Riegel vorgeschoben und die Gruppe der konservativen Feudalherrscher mit dem öl getroffen werden.

Das Auamaß dieser Herausforderung könnte genügen, um zur Konfrontation im arabischen Lager zu führen. Sie ist fällig, denn mit dem Aufstieg Feisals und der öl-scheichtümer zu einem bestimmenden Faktor der innerarabiscben Willensbildung sind die Machtverhältnisse in diesem Teil der Welt ins Wanken geraten. Wenn die fünf Mörder vom Montag und die beiden von ihnen befreiten Mörder vom Athener Flughafen wie Helden empfangen werden, wenn die Frage, ob sie frei herumlaufen sollen oder an den dort, wo er nicht abgeschafft wurde, in solchen Fällen einzig anwendbaren Galgen gehören, nicht zum Anlaß innerarabischer Klärungen wird, wird man auch wenig Hoffnung haben können, daß die Krise der Vernunft in diesem Weltteil (und nicht nur hier) in die Rekonvaleszenz führt statt ins Koma.

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