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Die Gläubigen warten auf ein Wort ihrer Bischöfe

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Die parlamentarischen Beratungen in Bonn über die Reform des Abtreibungsverbots, des 218 (gleichbedeutend dem österreichischen 144) Strafgesetzbuch, sind jetzt in ihr entscheidendes Stadium getreten. Das Bundeskabinett hat sich mehrheitlich hinter das „Indikationenmodell“ des Bundesjustizministers gestellt und damit die „Fristenlösung“ (Straffreiheit innerhalb der ersten drei Monate der Schwangerschaft) zurückgewiesen, obwohl 50 Abgeordnete der SPD- und der FDP-Fraktion einen dahingehenden Gesetzesentwurf eingebracht haben. Freilich hat sich Jahn die Zustimmung der Regierung dadurch erkauft, daß er eine weitere Indikation, eine sogenannte „Notstandsindikation“, in Form eines allgemeinen Auffangtatbestands geschaffen hat. Bisher haben sich die deutschen Bischöfe in ihrer Gesamtheit noch nicht zu diesem konkreten Gesetzesvorhaben geäußert, obgleich der Entwurf des Bundesjustizministers seit Oktober vorliegt. Sicherlich, es gibt Erklärungen einzelner Bischöfe gegen die Pläne Jahns. Aber sie haben doch nicht das Gewicht einer gemeinsamen Erklärung, eines warnenden, zurechtweisenden, überall gehörten Hirtenworts.

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Die parlamentarischen Beratungen in Bonn über die Reform des Abtreibungsverbots, des 218 (gleichbedeutend dem österreichischen 144) Strafgesetzbuch, sind jetzt in ihr entscheidendes Stadium getreten. Das Bundeskabinett hat sich mehrheitlich hinter das „Indikationenmodell“ des Bundesjustizministers gestellt und damit die „Fristenlösung“ (Straffreiheit innerhalb der ersten drei Monate der Schwangerschaft) zurückgewiesen, obwohl 50 Abgeordnete der SPD- und der FDP-Fraktion einen dahingehenden Gesetzesentwurf eingebracht haben. Freilich hat sich Jahn die Zustimmung der Regierung dadurch erkauft, daß er eine weitere Indikation, eine sogenannte „Notstandsindikation“, in Form eines allgemeinen Auffangtatbestands geschaffen hat. Bisher haben sich die deutschen Bischöfe in ihrer Gesamtheit noch nicht zu diesem konkreten Gesetzesvorhaben geäußert, obgleich der Entwurf des Bundesjustizministers seit Oktober vorliegt. Sicherlich, es gibt Erklärungen einzelner Bischöfe gegen die Pläne Jahns. Aber sie haben doch nicht das Gewicht einer gemeinsamen Erklärung, eines warnenden, zurechtweisenden, überall gehörten Hirtenworts.

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Es ist nicht damit getan, auf die gemeinsame Erklärung der deutschen Bischöfe vom 23. September hinzuweisen, die anläßlich der Herbstvollversammlung herausgegeben worden ist. Denn diese Verlautbarung beschäftigt sich weit gespannt mit der „Verantwortung für das menschliche Leben“. Sie berührt vielfältige Fragen, die sich aus der Beachtung des Verbots „Du sollst nicht töten!“ ergeben, behandelt natürlich auch das Verbot der Abtreibung, zielt aber nicht konkret

Herten Plänen des „Inüikationen-modells“ der Bundesregierung bisher noch nicht getan.

Dabei gibt es — bei näherem Hinsehen — so gut wie gar keinen materiellen Unterschied zwischen der „Fristenregelung“ und dem Jahn-schen „Indikationenmodell“. Beide laufen darauf hinaus, im praktischen Ergebnis die Freigabe der Abtreibung zu sanktionieren. Sie bedeuten die Preisgabe des wirksamen staatlichen Schutzes zugunsten des ungeborenen Lebens — dies hat der Bonfalt zu schützen. Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheu-ungswürdige Verbrechen.“

Weil die deutsche Bischofskonferenz bisher Bundesjustizminister Jahn nicht in seine Schranken verwiesen hat, tat dies — stellvertretend — der römische „Osservatore Romano“, der am 12. Februar „mit tiefer Beunruhigung“ die Entwicklung in der Bundesrepublik registrierte und dann die völlig richtige Konsequenz zog: Von dem legalisierten Schwangerschaftsabbruch zur Sterilisation und dann — wieder — zur Tötung „unwerten“ Lebens.

Früher äußerten sich die Bischöfe in Hirtenworten fast bei allen sich bietenden Gelegenheiten, zumal bei Wahlen. Es waren ungleich weniger wichtige Dinge, Lappalien geradezu, verglichen mit dem Ernst der jetzigen Situation. Denn hier werden die Grundwerte menschlichen Lebens bedroht; der Staat gestattet im Namen des Rechts das Verbrechen gegenüber menschlichem Leben.

Die Verwirrung der Gläubigen, die aus diesem Schweigen der deutschen Bischöfe resultiert, ist groß. Sie fühlen sich weithin alleingelassen, auf sich gestellt — häufig noch gegen manche theologische Autorität ankämpfend, um die Lehre der Kirche, das Lebensrecht des Ungeborenen, zu verteidigen.

Aber es geht gar nicht — und das ist das Entscheidende — nur um die Bewahrung der Lehre der Kirche. Es geht um viel elementarere Dinge: Es geht um den Anspruch des Staats, das Verbot „Du sollst nicht töten!“ auflockern zu dürfen, es zu relativieren. Es geht um den Schutz menschlichen Lebens, die Basis der menschlichen Gesellschaft.

Schweigen in solcher Lage könnte als Zustimmung, als ungewollte freilich, verstanden werden. Denn es hat sich gezeigt, daß die moralschützende Funktion des Staates systematisch abgebaut wird: Aufhebung der Strafbarkeit des Ehebruchs, Einschränkung der Strafbarkeit der Pornographie, Erleichterung der Ehescheidung, staatliche Erlaubnis für die Abtreibung — es ist, kein Zweifel, eine schiefe Ebene, die abwärts weist und die mittlerweile ihre eigene Schwerkraft entfaltet hat, zur Zerstörung elementarer Kulturwerte der „Freiheit“ und „Gleichheit“.

Die Kirche muß als Anwalt der Schwachen und Unterdückten auftreten, das ist ihre vornehmste Pflicht.. Sie muß jetzt reden, nein, sie muß jetzt ihren Protest hinausrufen. Sie muß ein Zeichen setzen, daß der Staat an dieser Stelle seine legitime Funktion überschritten hat, daß er sich zum Komplicen des Unrechts macht. Die Kirche muß den Staat deutlich in seine Grenzen weisen, sie kann keinen Tag länger zusehen — und schweigen.

Die Bischöfe dürfen die Konfrontation mit der Regierung nicht scheuen, sie müssen — im Namen der Freiheit und der Würde jedes menschlichen Lebens — dem Staat eindeutig und unmißverständlich auf dieser Wegstrecke die Gefolgschaft verweigern. Kompromisse sind nicht mehr möglich; es geht nur noch um eine entschlossene Kampfansage, die ein Wort an erste Stelle setzen muß, das heute im allgemeinen Konformismus in Vergessenheit geraten ist: „Nein!“

Das Beispiel des Kardinals Graf von Galen scheint im Hintergrund auf, es zieht an: jeder Satz sollte an der Klarheit, Entschlossenheit, dem Mut und der Kampfesbereitschaft der Worte des Münsteraner Kardinals gemessen werden.

Die deutschen Bischöfe sollten sich darüber hinaus ein Beispiel an der Erklärung der christlichen Kirchen der Steiermark vom 27. Juni 1971 nehmen, um nicht beim bloßen Protest stehen zu bleiben, sondern wirksame Hilfe für die unzweifelhaft vorhandene Not und Bedrängnis der abtreibungswilligen Schwangeren anzubieten: „Die Kirchen in der Steiermark verpflichten sich, notfalls für die Vermittlung von Adoptiv- und Pflegeplätzen zu sorgen.“ Und sie fügen hinzu, dies solle all den Frauen zugute kommen, die nicht den Mut haben, ihr erwartetes Kind tatsächlich auf die Welt zu bringen. Hier liegt für die Kirchen ein weites Feld tätiger Nächstenliebe.

Freilich, aus Nächstenliebe, aus Mitleid darf kein Staat unmenschliche, unsittliche Lösungen anstreben. Denn das unverbrüchliche Festhalten an der Unantastbarkeit menschlichen Lebens und das klare, deutliche Eintreten für den Schutz menschlichen Lebens von seinem Anfang an dient — daran kann es auf lange Sicht keinen Zweifel geben — mehr dem Wohl der Gesellschaft und dem des einzelnen.

Dem trägt das gottgegebene Verbot des „Du sollst nicht töten“ Rechnung, und das staatliche Gesetz muß sich danach ausrichten.

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