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Die „Gospa in Medjugorje

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Am 24. Juni sind es drei Jahre her, daß sich Jugendlichen im jugoslawischen Medjugorje zum ersten Mal die Muttergottes zeigte. Die Erscheinungen sind freilich nach wie vor umstritten.

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Am 24. Juni sind es drei Jahre her, daß sich Jugendlichen im jugoslawischen Medjugorje zum ersten Mal die Muttergottes zeigte. Die Erscheinungen sind freilich nach wie vor umstritten.

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In den Hochebenen der westlichen Herzegowina sind die Menschen nicht gerade mit den Reichtümern von Gottes Natur gesegnet. Das Gebiet ist karg und karstig und die Felder, die uralte Steinmauern voneinander trennen, eignen sich gerade zum Wein- und Tabakanbau. Die zahlreichen Neu- und Rohbauten, die ins Auge fallen, können nicht darüber hinwegtäuschen: die Mensehen hier sind — gemessen an österreichischen Verhältnissen — bitterarm. Die neuen Häuser gehören vor allem Gastarbeitern, die in der Bundesrepublik, Österreich oder der Schweiz beschäftigt sind.

Aber seit drei Jahren ist dieser Teil der Republik Bosnien-Herzegowina zwischen Mostar und Metkovic nicht mehr irgendeine mehr oder weniger kaum wahrgenommene Gegend im Vielvölkerstaat Jugoslawien. Seit drei Jahren ist vor allem ein kleiner Ort dieser Gegend in aller Munde — nicht nur bei den gläubigen Katholiken in Jugoslawien, sondern weit darüber hinaus: Medjugorje, das zur Gemeinde Citluk gehört, rund 30 Kilometer von Mostar entfernt.

Am 24. Juni 1981 erblickten ein paar Kinder auf dem rauhen, steinigen Berg Crnica in einer Lichterscheinung die Gestalt einer Frau. Am anderen Tag wiederholte sich die Szene. Und am dritten Tag gab sich die Erscheinung den sechs Jugendlichen Sehern, vier Mädchen und zwei Burschen im Alter von elf bis 17 Jahren, zu erkennen: „Ich bin die selige Jungfrau Maria", so berichteten die jungen Leute übereinstimmend.

Seit diesem 24. Juni zeigt sich die Gottesmutter den Jugendlichen tagtäglich; mittlerweile sind es nur noch fünf Seher, weil eines der Mädchen seit Ende 1982 keine Erscheinungen mehr hat.

Anfänglich fanden die Begegnungen mit der „Gospa" — wie die hier ansässige kroatische Bevölkerung die Gottesmutter nennt — noch auf dem Berg Crnica statt.

Dann setzten die Schikanen der kommunistischen Behörden ein, denen der sich schnell ausbreitende Glaubens- und Wallfahrtseifer der Bevölkerung ein Dorn im Auge war. Am 12. August 1981 wurde der Zutritt zu diesem Berg offiziell verboten, worauf die Erscheinungen zuerst im Dorf Medjugorje selbst, dann permanent in der Pfarrkirche des Ortes beobachtet wurden.

Der Menschenzustrom .wuchs, bald kamen Wallfahrer aus allen Teilen Jugoslawiens, aus europäischen Staaten und aus den USA. Das Regime setzte sich mit stärkeren Mitteln zur Wehr: Polizeisperren wurden errichtet, die Autonummern motorisierter jugoslawischer Wallfahrer aufgeschrieben, zwei Franziskanermönche der Pfarre ins Gefängnis gesteckt, ein Baustopp über die Pfarrgemeinde verhängt, Reisepässe abgenommen.

Womit die Behörden vor allem eines verhinderten: daß Medjugorje eines der üblichen Wallfahrts-Touristenzentren wurde — und das ist gewiß positiv zu werten. Nicht verhindern konnten sie mit ihren Repressalien, daß Medjugorje vor allem für die katholischen Kroaten gleichsam zu einem Symbol der religiösen Renaissance geworden ist, was der Menschenandrang zur Genüge beweisen sollte.

Auch die Seher-Kinder wurden von den Kommunisten hart in die Mangel genommen. Stundenlange Verhöre, Drohungen und Einschüchterungen brachte sie bei ihren „Entlarvungs-Versuchen" aber nicht wesentlich weiter. Und Ärzte und Psychologen, die die Kinder untersuchten, erklärten diese - zum Mißvergnügen des Regimes - für völlig gesund und normal.

Diesen Eindruck gewinnt man auch, wenn man mit einem der Jugendlichen zusammentrifft. Vic-ka, mittlerweile eine 20jährige junge Dame geworden, wirkt völlig unkompliziert, lebenslustig und hat schlagkräftige, vom tiefen Glauben zeugende Antworten auf skeptische Fragen parat.

Die „Gospa" wolle der ganzen Menschheit durch die Erscheinungen vor allem den Glauben in

Erinnerung rufen, sagt sie. Und entsprechend eindeutig sei ihre Botschaft, in der sie in erster Linie die Notwendigkeit des Glaubens, des Gebetes, der Bekehrung und des Fastens als Vorbedingung für den Frieden in der Welt betone. Der Friede müsse von innen kommen und jeder Mensch in seinem unmittelbaren Bereich den Frieden stiften.

Ob sich für sie das Leben seit dem Beginn der Erscheinungen grundlegend verändert habe, wollen wir von Vicka wissen: „Früher fand ich die Gottesdienste langweilig, seither nicht mehr. Erst das Leben mit Christus hat mir überhaupt den Sinn des Lebens klargemacht."

So denkt in Medjugorje seit jenem denkwürdigen 24. Juni 1981 scheinbar jedermann. In Massen strömt die Gemeinde jeden Tag in die Kirche und feiert den jeweils rund drei Stunden dauernden Gottesdienst mit. Alle beten und singen lauthals mit — und nicht nur alte Leute. In langen Reihen stehen junge Menschen in Jeans und bunten T-Shirts vor den Priestern und Patres Schlange, die in allen Winkeln der großen, 1969 fertiggestellten Pfarrkirche von Medjugorje die Beichte abnehmen.

Das ist denn gewiß auch der stärkste Eindruck, den man von einem Besuch in Medjugorje mitbekommt: Hier lebt die Volkskirche, die Kirche aller Altersschichten und aller Klassen. Und wie immer man die Marien-Erscheinungen werten mag: Daß hier seit dem Frühsommer 1981 eine mitreißende religiöse Aufbruchstim-mung eingesetzt hat, ist unverkennbar.

Daß die „Früchte der Umkehr" dort echt sind, bestätigt im übrigen auch der Bischof von Mostar, Pavao Zanic. Ansonsten aber steht der Bischof den Ereignissen betont distanziert und abwartend gegenüber, obwohl er das „Wunder" anfänglich eher positiv beurteilte.

Diese reservierte Haltung von Bischof Zanic hat freilich tiefere, historische Ursachen und hängt mit dem alten Konflikt zwischen Franziskanern und Weltklerus in der westlichen Herzegowina zusammen. Während der Türken-Herrschaft waren die Franziskaner 450 Jahre die einzigen Seelsorger der Region und sie halfen der Bevölkerung in einer schweren Zeit, ihre nationale und religiöse Identität zu wahren.

Doch mit der Errichtung von normalen Kirchenorganisationen mit Bistümern und Bischöfen während - der österreichischen Herrschaft bekamen die Franziskaner „Konkurrenz": Ursprünglich von ihnen betreute Pfarreien gingen an Weltpriester, das machte böses Blut. Der Konflikt schwelt bis heute, zum Nachteil der Gläubigen. Kein Wunder, daß auch das Regime den Widerstreit von Hierarchie und Franziskanern propagandistisch ausnützt.

Mittlerweile wurde eine von Bischof Zancic eingesetzte Kommission zur Untersuchung der Ereignisse von Medjugorje vom Vatikan angewiesen, bei ihren Nachforschungen langsam voranzugehen, denn: „Die Erfahrung in ähnlichen Fällen anderswo hat gezeigt, daß die Zeit ein umsichtiges Urteil begünstigen half."

Schützenhilfe aus dem Vatikan für die Hierarchie in Mostar? Die Franziskaner von Medjugorje geben sich gelassen. Einer meinte verschmitzt zur FURCHE: „Alle sind gegen uns, und das ist gut so, das hilft uns sogar." Am 24. Juni wird er sich beim zu erwartenden Menschenansturm auf Medjugorje wohl einmal mehr bestätigt sehen.

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