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Manche wissenschaftliche Erkenntnis oder Problemstellung wird erst durch einen griffigen Slogan populär. Die Fachdiskussion über Super-Gravitationsfelder, deren Anziehungskraft nicht einmal von Photonen überwunden werden kann, hätte kaum so weite Kreise gezogen, wäre nicht jemandem die supergriffige Bezeichnung dafür eingefallen: „Schwarze Löcher”.

Auch die „rote Grenze” könnte zum geflügelten Wort werden. Der amerikanische Wissenschaftspublizist Timothy Ferris fand sie auf der Suche nach einem Buchtitel. Thema des Werkes: Letzter Wissensstand und offene Fragestellungen der Kosmologie, also der Wissenschaft vom Weltall, seinem Alter, seiner Entstehung, Ausdehnung, Struktur. Als „rote Grenze” bezeichnet Ferris jenen äußersten Rand des Kosmos, wo jede Beobachtung endet, nicht wegen der Unzulänglichkeit der Instrumente, sondern aus prinzipiell physikalischen Gründen.

In den letzten Jahrzehnten gelangte die Mehrheit der Astrophysiker zu Übereinstimmung in einigen wesentlichen Fragen, so daß bis auf weiteres als gesicherte Erkenntnis gilt: Der Kosmos ist vor rund 18 Milliarden Jahren entstanden. In der kosmischen Hintergrundstrahlung hat der Mensch sozusagen das verebbende Grollen dieser Detonation entdeckt. Niemand kann heute sagen, ob sich das All in alle Ewigkeit weiter ausdehnen oder ob es eines Tages beginnen wird, zusammenzustürzen. Wir könnten sein Schicksal aber Voraussagen, wenn es uns gelänge, die Gesamtmasse der kosmischen Materie, „das Gewicht der Welt”, zu bestimmen.

Schon Einstein hatte die Ausdehnung des Kosmos am Schreibtisch entdeckt, aber seinen Berechnungen nicht geglaubt. Eine Reihe von Beobachtungen erzwang die Aufgabe der „steady-state”-Theorie vom ewig unveränderlichen Kosmos zugunsten verschiedener „Urknall”-Modelle. Wenn das All wirklich 18 Milliarden Jahre alt ist, kann es nirgends eine Möglichkeit geben, Objekte zu beobachten, die mehr als 18 Milliarden Lichtjahre entfernt sind. Sonst hätten sie ja das Licht, das es ermöglicht, sie zu sehen, vor der Entstehung des Alls aussenden müssen, und das ist unmöglich. Da - ebenfalls übereinstimmender Auffassung zufolge — die ersten Sterne Milliarden Jahre nach dem „Urknall” entstanden, ist jenseits von rund 15 Milliarden Lichtjahren nur Schwärze zu erwarten.

Und so ist es auch. Doch als sollten wir förmlich darauf gestoßen werden, daß nicht die Instrumentenleistung die Grenze setzt, gibt es ausgerechnet in diesen Bezirken des Alls besonders strahlungs- und leuchtkräftige „quasistellare” Objekte (die „Quasare”) zu beobachten: vermutlich junge, chaotische Galaxien. Wir sehen sie, wie sie, und sie sehen uns, wie wir vor 15 Milliarden Lichtjahren ausgesehen haben. Der Blick in die Tiefe des Raums wird zum Blick in die Tiefe der Zeit.

Timothy Ferris müßte also von einer „schwarzen Grenze” sprechen, aber „rote Grenze” klingt heißer und paßt auch: Die Dopplersche Linien-Rotverschiebung in den Spektren der entferntesten Quasare zeigt an, daß wir uns mit 90 Prozent der Lichtgeschwindigkeit voneinander entfernen. Eine größere Geschwindigkeit als die des Lichts kann es aber laut Einstein in diesem Weltall nicht geben.

DIE ROTE GRENZE. Auf der Suche nach dem Rand des Universums. Von Timothy Ferris. Birkhäuser Verlag, Basel 1982.206 Seiten. 8 Tafeln, Pb.. öS 218,90.

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