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DIE GRENZREGION WIRD ZUR „BLÜHENDEN HECKE"

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Das grauenhafte Kriegsgeschehen in Bosnien-Herzegowina, wo militante serbische Kampfeinheiten mit Artillerie und Bombenflugzeugen systematisch die Zivilbevölkerung auszutreiben versuchen, um auf diese Weise ethnisch „einheitliche" Gebiete zu schaffen, verdeckt bedauerlicherweise einen Prozeß des Umden-kens, der in den Beziehungen zwischen Österreich und dem souverän gewordenen Slowenien eingesetzt hat.

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Das grauenhafte Kriegsgeschehen in Bosnien-Herzegowina, wo militante serbische Kampfeinheiten mit Artillerie und Bombenflugzeugen systematisch die Zivilbevölkerung auszutreiben versuchen, um auf diese Weise ethnisch „einheitliche" Gebiete zu schaffen, verdeckt bedauerlicherweise einen Prozeß des Umden-kens, der in den Beziehungen zwischen Österreich und dem souverän gewordenen Slowenien eingesetzt hat.

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Dieser Prozeß des Umdenkens betrifft vor allem die beiden südlichen Bundesländer Steiermark und Kärnten. Beide Länder waren schon in der Zeit der Donaumonarchie in immer heftigere Auseinandersetzungen zwischen deutsch- und slowenischsprechenden Bürgern verstrickt. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, vor allem im Zusammenhang mit den Gebietsforderungen des neuentstandenen Königsreichs der Serben, Kroaten und Slowenen, wurden diese Auseinandersetzungen mit den Mitteln der Gewalt und des Krieges ausgetragen. Der Verlust von Marburg an den neugebildeten südslawischen Staat, der Abwehrkampf in Kärnten, die Wiedereroberung von Radkers-burg durch österreichische Freiwilligenverbände, führten gerade in der Steiermark und in Kärnten zu einer latenten emotionalen Abwehrhaltung gegenüber den Slowenen, die Jahrzehnte hindurch nicht nur von deutschnationalen Kräften als permanente Gefahr empfunden wurden.

Die dramatischen Ereignisse des Zweiten Weltkrieges führten zu einer zusätzlichen Zuspitzung dieses Gegensatzes. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Jugoslawien ist die seinerzeitige Untersteiermark dem Gau Steiermark angegliedert worden. Eine blindwütige deutsche Verwaltung „rächte" die Schikanen der jugoslawischen Bürokratie gegen deutschsprechende Bürger mit der radikalen Aussiedlung Zehntausender Slowenen, die slowenische Sprache wurde verboten und ein gewaltsames Eindeutschungsprogramm trieb vor allem junge, aktive Slowenen zu den Partisanen in den Wäldern. Erste Überfälle beantwortete die deutsche Militärverwaltung mit der Erschießung wahllos zusammengefangener Geiseln zuerst im Verhältnis 1:50, dann im Verhältnis 1:100. Der Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft 1945 löste eine grausige Aufschaukelung der Revanche aus: Wer immer in Slowenien deutscher Muttersprache war, wurde in Lagern zusammengesperrt, gequält, umgebracht oder - im günstigsten Fall - über die österreichische Grenze getrieben.

In den ersten Jahren des Tito-Regimes war die jugoslawisch-österreichische Grenze eine blutige Grenze. Es kam zu einem Kleinkrieg zwischen „weißen Partisanen" und der neuen kommunistischen Staatsmacht, die brutal durchgriff. Unzählige Flüchtlingstragödien in den Karawanken und an der steirischen Grenze markieren, heute weithin vergessen, diese düstere Zeit. Die schon in der Zwischenkriegszeit geborene Angst vor der „slowenischen Gefahr", von deutschnationalen Propagandisten noch zusätzlich aufgeheizt, erhielt neuen Auftrieb.

Diese Vergangenheit darf man nicht vergessen, wenn man den erstaunlichen Wandel in der Einstellung zum slowenischen Nachbarvolk richtig beurteilen will, der seit dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft bei unseren südlichen Nachbarn und der Bildung eines selbständigen Sloweniens vor einem-Jahr in der Steiermark und in Kärnten immer deutlicher sichtbar wird. Zu dieser überraschenden Wende zählt zum Beispiel die Tatsache, daß ausgerechnet die Landtage der Steiermark und Kärntens schon frühzeitig die Anerkennung Sloweniens forderten. Zahllose Kontakte auf politischer, künstlerischer und wissenschaftlicher Ebene (die Universitäten der Region spielen da eine besondere Rolle) zwischen Steirern, Kärntnern und Slowenen verstärken dieses neu entdeckte Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft Alpen-Adria kommen noch hinzu.

Erste Seminare von Historikern aus Laibach, Graz und Klagenfurt versuchen, die gemeinsame Geschichte aufzuarbeiten. Mediale Initiativen der ORF-Landesstudios Graz und Klagenfurt, aber auch der „Kleinen Zeitung" mit dem „Vecer" in Marburg/ Maribor sorgen erstmals nach vielen Jahrzehnten für ein besseres gegenseitiges Kennenlernen.

Eindrucksvolle Sammelaktionen wie zum Beispiel jene für das zerschossene Gornja Radgona (Oberrad-kersburg) sind hier zu nennen. Die Idee eines slowenisch-österreichischen Jugendwerkes nach dem Vorbild der gleichnamigen deutsch-französischen Institution mit entsprechendem Jugendaustausch steht leider noch auf dem Papier.

Bittere Erfahrungen

Diese Neuentdeckung des Nachbarn ist zur Zeit auf beiden Seiten der Grenze im Gange. Natürlich haben sich dadurch nicht alle antislowenischen Ressentiments in der Steiermark und in Kärnten in Luft aufgelöst, ebenso wenig sind in Slowenien alle anti-österreichischen Ressentiments vom Erdboden verschwunden. Aufgrund der jahrzehntelangen bitteren historischen Erfahrungen ist das auch gar nicht zu erwarten. Wohl aber scheinen viele Menschen diesseits und jenseits der Grenze instinktiv die jahrhundertealten Gemeinsamkeiten neu zu erkennen, die selbst durch die Katastrophen der letzten 50 Jahre nicht ganz verschüttet werden konnten.

Mit der Bildung des neuen, demokratischen Slowenien ist offensichtlich die oft beschworene „Urangst" in Kärnten bei vielen Menschen gemildert worden oder überhaupt weggefallen, die Probleme der slowenischen Minderheit im Lande werden allmählich unverkrampfter gesehen. In der Steiermark indessen erinnert man sich stärker denn je der weitsichtigen Initiativen eines Mannes wie Hanns Koren, der schon vor Jahrzehnten etwa mit der Trigon-Idee gemeinsame kulturelle Anstrengungen im damaligen Dreiländereck Steiermark-Jugoslawien-Westungarn vorbereitete. Als prophetisch kann heute die Vision Korens beurteilt werden, der schon in den sechziger Jahren die steirisch-slöwenische Grenze als „blühende Hecke" vorausempfand.

Freundschaft der Zukunft

Auf slowenischer Seite gibt es Entwicklungen, die seitenverkehrt einen ähnlichen Bewußtseinsbildungsprozeß anzeigen. So ist zum Beispiel die überaus sehenswerte slowenische Landesausstellung 1992 in Marburg/ Maribor über Bischof Anton Martin Slomsek, der 1859 den Bischofssitz des Bistums Lavant von St. Andrä nach Marburg/Maribor übertrug, eine wirkliche Sensation in diesem Sinn: Wohl zum ersten Mal seit 50 oder gar 75 Jahren wird in dieser Ausstellung die österreichische Vergangenheit samt den Porträts österreichischer Kaiser, vieler deutschsprachiger Dokumente und diverser kaiserlicher Uniformen unbefangen dargestellt. Gleichzeitig wird aber auch mit dieser Präsentation die Entwicklung der slowenischen Nation geschildert, die auf österreichischer Seite noch viel zu wenig reflektiert worden ist.

Auf diese Weise ergeben die umstürzenden politischen Veränderungen des letzten Jahres die Chance, daß aus der Feindschaft der Vergangenheit eine Freundschaft der Zukunft werden könnte. Von österreichischer Seite ist hiefür die Absage an jeden Dünkel der Vergangenheit und an das Gerede von der „deutschen Mission" Österreichs sowie eine neue Sensibilität für den Nachbarn auf der Grundlage einer selbstverständlichen Gleichberechtigung notwendig.

In der Steiermark und in Kärnten hat dieses Umdenken bereits eingesetzt. Dieses zarte Pflänzchen sollte im Geist der Versöhnung und der guten Nachbarschaft gehegt und gepflegt werden.

Der Autor ist Chefredakteur der Kleinen Zeitung.

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