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Die große Angst des Dr. Drimmel

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In den Niederlanden gab es bis zu ihrer Vereinigung mit anderen Gruppen in der Christlichdemokratischen Partei eine sogenannte „Anti-revolutionäre Partei“: weit rechts stehende zukunftsunfrohe Kalvini-sten, die mit Mißtrauen und äußerster Zurückhaltung den Gang der Weltgeschichte betrachteten.

Gäbe es in Österreich eine solche „Antirevolutionäre Partei“, Bundesminister a. D. Heinrich Drimmel könnte zu ihrem Ehrenobmann erkoren werden.

Seit seinem freiwilligen totalen Rückzug von der Politik griff der persönlich von schwerem Leid heimgesuchte langjährige Bundesminister für Unterricht oft zur Feder. Ob in zahlreichen Aufsätzen und Artikeln

oder in seinen Büchern: immer wieder entstanden flammende Philippiken gegen den „Zeitgeist“, welchen Dr. Drimmel weit links angesiedelt wähnt. Stets ging er scharf ins Gericht mit Menschen und Institutionen, die sich seiner Meinung nach einem gefährlichen „Sinistrismus“ verschrieben hätten. Auch die Partei, der er so lange in hervorragenden Positionen gedient hatte, ja nicht einmal seine engere politische Heimat, den Cartellverband (CV), nahm er von seinen Klagen und Anklagen aus.

Aber bekanntlich kann nicht nur Liebe, sondern auch Haß und die Angst vor wirklichen oder eingebildeten Katastrophen den Blick trüben. So schrieb sich der Mann, der einmal als Vertreter eines liberalen Katholizismus gemeinsam mit Reinhard Karnitz von Julius Raab zur Basisverbreiterung in sein Kabinett geholt worden war und mit dessen Name - gemeinsam mit dem damaligen Staatssekretär Bruno Kreisky -u. a. für immer die Lösung der schwierigen Konkordatsmaterie verbunden bleiben wird, von Buch zu Buch immer mehr in eine Isolation, welche nicht gerade „splendid“ zu nennen ist.

Das ist sehr schade. Ein etwas gelockerter, ein etwas weniger einem Schwarzweiß-(oder besser: Schwarzrot-) Schema verhafteter Heinrich Drimmel, der sich nicht spröde jedem Auftreten in der Öffentlichkeit versagt und der auch dem Gespräch der Freunde wieder mehr Geschmack abzugewinnen imstande wäre, könnte das österreichische Geistesleben bereichern.

Anlaß zu dieser grundsätzlichen Überlegung ist das neueste Buch Heinrich Drimmels, „Oktober achtundvierzig“: ein weites und äußerst dankbares Feld für den Autor, um erneut mit dem „revolutionären Prinzip“ ins Gericht zu gehen. In den Oktober-Wochen des „tollen Jahres“ 1848 eskalierte tatsächlich mit der Ermordung des Kriegsministers Latour jene Bewegung, welche im März zuvor mit der Einführung der bürgerlichen Grundrechte so hoffnungsvoll begonnen hatte. In einem großen historischen Bilderbogen, der von ei-

nem umfassenden Quellenstudium zeugt, versucht der Verfasser Menschen von diesseits und jenseits der Barrikaden für die Nachgeborenen mit all ihren Tugenden und Schwächen wieder lebendig zu machen.

Wenn Drimmel nachweisen will, daß die Freiheit nicht nur von der Reaktion, sondern auch von der Revolution bedroht werden kann, darf eine solche Erinnerung willkommen geheißen werden. Sie ist wohl vornehmlich an eine von neulinken Ideen und Utopien infizierte, im Mangel an Geschichtskenntnis aufgewachsene jüngere Generation (wer ist eigentlich dafür mehr verantwortlich als sämtliche Unterrichtsminister der Zweiten Republik?) gerichtet.

Bedenklich aber wäre die suggerierte Gleichung: Freiheit und Liberalität stünden nicht nur im Widerspruch zur Religion, zu Recht und Ordnung, sie müßten sogar zwangsläufig zu Chaos, zu Mord und Totschlag führen. Auch ist das alte, das größere Österreich nicht an den Ideen von 1848 zugrundegegangen, sondern an dem Nichterkennen des Gebotes der Stunde: der Harmonisierung des monarchischen mit dem revolutionären Prinzip.

Für den zunächst in der Winterreitschule und dann in Kremsier tagenden Reichstag hat der Autor nur gutmütigen Spott über. Tatsächlich aber offenbaren die Protokolle dieser ersten parlamentarischen Versammlung Österreichs - insbesondere jene von der Tagung in Kremsier - Gedanken und Ideen eines modernen europäischen Völkerparlaments. Und erst die Qualität der Abgeordneten! Diese waren in ihrer drückenden Mehrzahl keine Revoluzzer, sondern verantwortungsvolle, dem Vielvölkerstaat und auch der Krone ergebene Männer, die das verhindern wollten, was dann 1918 geschehen ist.

Der große tschechische Historiker Palacky stehe als Kronzeuge für viele. Und der Dr. Fischhof war alles andere als ein „Agitator“, als den ihn der Verfasser im Namensverzeichnis (S. 452) unter anderem vorstellt. In seinem Buch „Österreich und die Bürg-

Abrechnung mit dem „revolutionären Prinzip'

Schäften seines Bestandes“ gab Fischhof in späteren Jahren stellvertretend für viele „1848er“ überzeugend seinen Vorstellungen von einem föderalistischen Umbau der Monarchie Ausdruck.

Sicher wurden 1848 mit dem Eintritt breiterer Schichten in das politische Leben auch Ideen freigesetzt, die „von der Liberalität über die Nationalität zur Bestialität“ (Franz Grillparzer) führen konnten. Aber ebenso war auch in der Bewegung viel Idealismus und mitunter oft naives Vertrauen miteingeschlossen, welches bei einer richtigen Betreuung von „oben“ zu einer positiven Wende der Geschichte und der Geschicke des Vielvölkerstaates hätte führen können. Nicht das „revolutionäre Prinzip“ ist für den Untergang der Donaumonarchie verantwortlich zu machen, sondern das Nichterkennen der Erfordernisse des Jahrhunderts durch seine führenden nationalen und gesellschaftlichen Schichten.

Ein Nachwort ist noch fällig. Es betrifft zunächst die völlig ahistorische Bezeichnung „Volkswehr“ für die diversen bürgerlichen und proletarischen Garden des Jahres 1848. Hier walten offenkundig traumatische Jugenderinnerungen an die als „Volkswehr“ sich vorstellende erste bewaffnete Truppe der jungen Republik von 1918. Mit der Disziplin dieser Vorläuferin des späteren Bundesheeres stand es bekanntlich nicht immer zum Besten, obwohl auch hier

Verallgemeinerungen fehl am Platz sind.

Noch eine Bemerkung zu Heinrich Drimmels ganz persönlichem Stil: Wenn er z. B. stets „Bat'lon“ statt „Bataillon“ schreibt und oft von einer „Massa“ Leut oder Soldaten spricht, so mögen die einen dies für ein Bekenntnis zur Umgangssprache der Österreicher halten - eine Absage an die Hochkultur wollen wir dem Autor nicht unterstellen -, anderen erscheint die oftmalige Wiederholung solcher Sprachschöpfungen freilich etwas „manieriert“. Auf keinen Fall aber harmoniert mit solchen Austria-zismen der aus dem neuhochdeutschen Wörterbuch des Unmenschen stammende Ausdruck „das Sagen haben“. Dieser ist dem Verfasser nicht vielleicht zufällig einmal in die Feder geflossen, sondern beinahe zu einem Lieblingsausdruck geworden.

Mir scheint, mir scheint, der Zeitgeist hat auch Dr. Heinrich Drimmel am Schlafittchen ...

OKTOBER ACHTUNDVIERZIG

(Die Wiener Revolution). Von Heinrich Drimmel. Amalthea Verlag, 462 S.. öS 198,-.

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