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Die große Angst vor dem Risiko

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Österreich verliert als Wirtschaftsstandort an Attraktivität. Schuld daran ist nicht nur eine tiefe Strukturkrise.

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Österreich verliert als Wirtschaftsstandort an Attraktivität. Schuld daran ist nicht nur eine tiefe Strukturkrise.

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Standort Österreich, das ist ein Stichwort, das nicht mehr nur positive Signale und Assoziationen auslöst. Es sieht so aus, als ob unser Land als Wirtschaftsstandort seine Attraktivität immer mehr verliert. Was sind die Ursachen? fragte die FURCHE Helmut Kramer, den Chef des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitutes (Wifo) in Wien.

„Die Rahmenbedingungen für die österreichische Wirtschaft haben sich in den letzten Jahren stark verändert." Dazu gehören: I die Öffnung Osteuropas, I das Zustandekommen des EG-Binnenmarktes, an dem wir vorläufig noch nicht voll teilnehmen,

I die deutsche Vereinigung mit all ihren wirtschaftlichen Folgen und

I das Erstarken junger Industrieregionen, vor allem in Südostasien.

Im Vergleich zu manch anderen Produktionsstandorten seien bei uns wichtige Produktionsfaktoren ausgesprochen teuer. Das gelte vor allem für die Arbeitskraft, für Energie, für manche Rohstoffe. Außerdem bedeuten auch die strengen Umweltauflagen einen Kostenfaktor. „Die Situation hat sich dadurch noch zugespitzt, daß die Aufwertung der Hartwährungen sich als zusätzliche Verteuerung auswirkt" fügt Kramer hinzu.

Noch etwas kommt dazu: Es gebe in Österreich eine ganze Flut von Regulierungen, von behördlichen Auflagen und bürokratischen Prozessen, die hierzulande das Wirtschaften, vor allem das Investieren, recht zeit- und kostenaufwendig machen. Und schließlich beobachten wir, daß viele Investoren abwarten, wie sich unser künftiges Verhältnis zur EG gestalten wird: kommt es zum Beitritt oder nicht?

„Auf der anderen Seite hat Österreich als Wirtschaftsstandort aber immer noch Qualitäten, die man anderswo nicht immer findet. Dazu gehört ein vernünftiges wirtschaftspolitisches Klima, gut ausgebildete und motivierte Arbeitskräfte, sozialer Friede,

politische Stabilität - und neuerdings auch ein wettbewerbsfähiges Steuersystem."

Und wie steht es um die österreichischen Investoren? Auch sie schauen neuerdings immer häufiger über die Grenze. Ist unser Land nicht mehr interessant genug?

Kramer dazu: Jeder Unternehmer müsse sich fragen, wo er am kostengünstigsten produzieren kann, der Markt nötigt ihn dazu. Das heißt, auch österreichische Firmen müssen sich überlegen, ob sich nicht an neuen Standorten, etwa in Ostmitteleuropa, neue Chancen anbieten. Dabei geht es einerseits um den Zugang zu neuen Marktgebieten, andererseits um den kostengünstigeren Bezug von Rohstoffen und Vorprodukten.

Frage der FURCHE: Gilt

das generell oder nur für bestimmte Branchen? „Im Vergleich mit Mittel- und Osteuropa sind es vor allem die Arbeitskosten, die ins Gewicht fallen", erklärt Kramer. Das Lohnniveau dort liege teilweise bei ganzen zehn Prozent des hiesigen. Das ist natürlich ein starker Anreiz, arbeitsintensive Fertigungen und Dienstleistungen dorthin auszulagern.

Haben wir da also nur das Problem einer Strukturkrise?

„Was heißt da nur" kontert Helmut Kramer. Die Strukturkrise zwingt uns einfach zu tiefgreifenden Umstrukturierungen. Allerdings liegen die Probleme doch noch tiefer, meint der Chef des Wirt-schaftsforschungsinstitues. Er fürchtet nämlich, daß auch das in Österreich herrschende Verständnis der wirtschaftli-

chen, industriellen und technologischen Realitäten- fundamental angeknackst ist: Die typische Mentalität kann einem Angst machen. Ebenso das Ausmaß an Mißverständnissen, die es bei uns gibt, wenn von „Wirtschaftswachstum", von „Technikfolgen", vom Verhältnis Ökologie/Ökonomie oder von „In-ternationalisierung der Wirtschaft" die Rede ist; mag es dabei um europäische oder weltweite Integration und Verflechtung gehen. „Man hat Angst und reagiert defensiv" kritisiert Kramer die Einstellung vieler Österreicher, „ein biedermeierlicher Geist breitet sich aus". Nur ja kein Risiko eingehen! Unter solchen Einstellungen leiden natürlich die wirtschaftlichen Chancen Österreichs.

„Kein vernünftiger Ökonom oder Politiker plädiert für eine blinde Industrie- oder Technikgläubigkeit" ist Krämer überzeugt. So etwas wäre auch gefährlich. Aber mindestens ebenso gefährlich sei die sich mehr und mehr ausbreitende, von vagen Stimmungen getragene, diffuse Abwehrhaltung gegenüber dem, was sich in der (wirtschaftlichen) Realität abspielt.

Was bedeutet das für die Standortpolitik? Kramer dazu: „Wir leben in einer Zeit, in der die Welt durch den Verkehr zusammenwächst. Rohstoffvorkommen und andere Faktoren treten als Standortvorteile in den Hintergrund. Das heißt, der Faktor Mensch ist jetzt das wichtigste geworden." Das ist das, was die Unternehmer, die Arbeitnehmer und nicht zuletzt die Verwaltung zu bieten haben. Zunächst käme es daher auf eine Veränderung des Bewußtseins an, fordert der Wirtschaftsforscher.

Die österreichische Grundstimmung ist, milde ausgedrückt, von einer gewissen Wirtschaftsfremdheit geprägt. Vor allem fehlt es an Verständnis für das, was sich im europäischen und im weltweiten Zusammenhang abspielt.

Wir hängen außerdem noch an überkommenen Regeln und Fixierungen. Heute käme es aber darauf an, neue Wege zu beschreiten: Flexible Erneuerungsideen wären gefragt.

„Vieles könnte erledigt werden, ohne daß wir dazu auf die EG-Beitrittsentscheidung oder auf kluge Gutachten großer Kommissionen warten müßten", ist Helmut Kramer überzeugt.

Hoffentlich steht er damit nicht allein da.

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