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Die große Kaiserin

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Das österreichische Thema besitzt für englische Historiker und Schriftsteller eine tiefe Faszination; es sind mehr Bücher über das alte Reich, seine Gestalten und die Auswirkungen seiner Politik in London als in Wien erschienen. Wer sich über den Habsburger Staat ernsthaft informieren will, kommt ohne die angelsächsische Literatur längst nicht mehr aus.

Ist eine verborgene Wesensaffinität für dieses Phänomen verantwortlich oder die späte Erkenntnis einer geschichtlichen Parallele zwischen dem Schicksal der beiden Reiche, den von Wien und den von London aus regierten? Die besonders umfangreiche Literatur zur Auflösung der Doppelmonarchie läßt vermuten, daß die Engländer tatsächlich in die Geschichte des Habsburgerreiches wie in einen vergilbten Spiegel blik-ken, daß sie bewußt oder unbewußt in dieser Chronik auch nach Antwort suchen, Antwort, ob das eigene Schicksal unentrinnbar gewesen und ob man wenigstens aus der Zerstörung des altehrwürdigen Kondominiums in der Mitte Europas irgendwelche Lehren gezogen hat. Offenbar hat dabei die intensive Beschäftigung mit der letzten Phase Habs-burgs das Interesse an der Vorgeschichte stimuliert. Wie ist das Reich, das nach einer kurzen, unvergessenen Glanzzeit um die Jahrhundertwende so rasch unterging, denn eigentlich entstanden, was hat seinen Aufbau und seine Größe bestimmt? Edward Crankshaw, Journalist-Historiker, Rußland- und Chruschtschow-Kenner, der viele Jahre in Österreich verbracht hat, kann als lebendige Illustration für diesen Weg, diese Ausweitung und Vertiefung des Interesses gelten. Seinem Buch „Der Niedergang des Hauses Habsburg“ hat er nun eine großangelegte Studie „Maria Theresia, Die mütterliche Majestät“ folgen lassen — man kann sie mit einem anderen englisch geschriebenen Buch, „Joseph II. Ein Revolutionär auf dem Kaiserthron“ von Saul K. Padover, lesen, was inso-f erne reizvoll ist, als die beiden Verfasser über die Gestalt des Sohnes der Kaiserin zu recht unterschiedlichen Ansichten gelangen. Die englische Neugier geht dabei noch etwas weiter zurück; vor zwei Jahren erschien beispielsweise in London eine glänzende Studie von Lavender Cassels „Der Kampf um das ottomanische Imperium 1170 bis 1740“, in dem es nicht zuletzt um habsburgische Politik geht, es schließt sich fast fugenlos dem grofen Werk Ekkehard Eickhoffs „Venedig, Wien und die Osmanen, 1645 bis 1700“ an.

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Man kann dabei die englischen Historiker, die zum „Imago Austriae“ Stellung genommen haben, in zwei Gruppen teilen: die einen haben sich vollständig auf Sekundärliteratur verlassen und auf eigene Forschung verzichtet; dies erklärt vielleicht, warum das Werk eines so begabten Mannes wie A. J. P. Taylors „The Habsburg Monarchy 1809 bis 1918“ etwas enttäuscht hat, der Verfasser ist sozusagen in den eigenen Erwartungen oder auch Vorurteilen stecken geblieben. Jüngere Forscher, wie etwa Z. A. B. Zeman, der über die letzte Phase der Doppelmonarchie, also die Jahre 1914 bis 1918, gearbeitet hat, wagten dazu die Reise nach Wien und das Abenteuer der Quellenerschließung im Haus-, Hof- und Staatsarchiv und im Verwaltungsarchiv der früheren Residenz. Es ist in der Tat ein Abenteuer, denn diese gewaltige, weithin noch unerschlos-sene Dokumentensammlung wird von äußerst erfahrenen, kundigen Beamten verwaltet, nach Prinzipien freilich, die nur ihnen selbst bekannt sind — einem wirklichen Aufschluß, einer Katalogisierung nach wissenschaftlichen Grundsätzen, für die große Mittel internationaler Institutionen zu haben gewesen wären, hat man sich erfolgreich widersetzt. Die Chancen, Einschlägiges zu finden, stehen daher in geradliniger Proportion zu dem Ausmaß an Sympathie, die der Forschende bei den Beamten hervorzurufen imstande ist; immerhin sind dabei so verschiedene Persönlichkeiten wie Z. A. B. Zeman und Lavender Cassels nicht schlecht gefahren.

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Edward Crankshaw steht nun zwischen diesen beiden Gruppen; für sein Werk über den Niedergang des Hauses Habsburg hat er im Staatsarchiv gearbeitet und sich auch neue Quellen zunutze gemacht, wie etwa die Briefe des in Sarajewo ermordeten Thronfolgers ... aber mehr wie ein Mann, der sich auf seine glückliche Hand verläßt, als wie der Historiker, der in eiserner Systematik das ganze Feld durchackert. In seinem Buch über Maria Theresia verläßt er sich auf die Sekundärliteratur — und bekennt sich auch freimütig dazu, aber dieser Geschichtsabschnitt ist immer wieder behandelt und erforscht worden, es ist höchst unwahrscheinlich, daß man hier noch viel Neues entdecken könnte. Stefan Zweig, der noch Briefstellen entdeckte, die die Sorgen Wiens ob der Unfähigkeit des königlichen Schwiegersohns, in Versailles die Ehe zu vollziehen, bewiesen haben, dürfte der letzte gewesen sein, der sich rühmen durfte, noch Verborgenes an den Tag gefördert zu haben. Nichts Neues also! Trotzdem ein keinesfalls unnötiges Buch. Crankshaw geht vom Menschlichen, vom Persönlichen aus, er zeigt, wie diese Herrscherfigur das Land mit ihrem Atem belebt, mit ihrem Wollen durchtränkt und erfüllt hat, wie innig jede Wendung in der hohen Politik mit ihrem Charakter verbunden war, er erzählt überzeugend, daß das Strahlende und Bezwingende der glücklich liebenden jungen Frau — der Untertitel „die mütterliche Majestät“ rückt vielleicht das matronenhafte Bild etwas zu sehr in den Vordergrund — manch günstigen Umschwung herbeiführte: der Auftritt vor den Magnaten in Preßburg wird stets das klassische Beispiel bleiben, wenn auch Crankshaw mit Recht darauf hinweist, daß der Tag nicht in einem Augenblick gewonnen war, daß staatsmännisches Geschick und zähes Verhandeln den persönlich-hinreißenden Eindruck essentiell ergänzt haben. Auch dort, wo die Kaiserin sich nicht durchsetzen konnte — man denke etwa an die moralischen Bedenken, deret-wegen sie die Teilung Polens ablehnte —, blieb ihre Reservatio mentalis doch wenigstens als Fußnote in der Geschichte zurück. Crankshaws Stärke liegt in der feinen Nachzeichnung der menschlichen Beziehungen Maria Theresias. Einsichtig und durch immer neue Geschehnisse erhellt die Schilderung ihrer Ehe mit dem lebenslustigen Lothringer — sie wirkt um so überzeugender, als der Verfasser auf derbe Effekte verzichtet —, verständnisvoll interpretiert, ihre Relation zu dem Grafen Tarouca, der viele Jahre ihr geistiger Mentor war, sachlich und nicht ohne Humor dargestellt ihre Einstellung zu den verschiedenen Mitarbeitern, Ratgebern und Ministern, die sie sich schließlich selbst gewählt hatte. Ein wenig verwirrend ist nur, daß das Urteil des Verfassers über diese Mitarbeiter keinesfalls ganz konstant ist, im Laufe der Erzählung beträchtlich schwankt — so ist man nicht ganz sicher, ob er den Fürsten Kaunitz für ein Genie oder einen Spinner hält. Gleichbleibend hingegen von der ersten Erwähnung der tiefe Abscheu vor dem Sohn der Kaiserin, dem späteren Joseph II. (hier leider immer Josef geschrieben), den hat er schon als Kind nicht leiden können und kann so der Beziehung der beiden Menschen nicht wirklich gerecht werden. Ihre letzten Worte sind uns überliefert. Joseph brachte seine Mutter, als sie versuchte aufzustehen und noch einmal Luft zu bekommen, zu einem Sofa, wo er sie zu betten versuchte. „Ew. Majestät liegen schlecht.“ „Nein, aber gut genug, um zu sterben.“ Einen Augenblick später war sie tot.

Liebenswert hingegen, wenn der Verfasser sich außerstande sieht, die Unzulänglichkeiten seiner Heldin ganz deutlich zu machen, aber wieder zu gewissenhaft ist, sie völlig zu verschweigen. Das sieht dann so aus: „Wenn es um Musik ging, war Maria Theresia also hinter ihrer Zeit zurück, aber nicht allzusehr.“ Das erinnert ein wenig an die Beschreibung eines k. u. k. Marineoffiziers, in der es hieß, der Leutnant zur See X sei tapfer, aber nicht sehr.

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Zusammenfassend könnte man sagen, daß sich das Buch wie eine höchst lebendige, abwechslungsreiche, aber das Thema nie beim Namen nennende Auseinandersetzung mit jener heute weithin dominierenden Geschichtsauffassung liest, derzu-folge der Ablauf der Historie allein von der gesellschaftlichen Molekularbewegung, den Produktionskräften, von den Gruppen und Klassen der Societät, ihrem Neben- und Gegeneinander bestimmt wird, wobei dem Persönlichen nicht einmal die Rolle der Mutationen in der Naturgeschichte zugestanden wird. Nur abschließend verspürt der Verfasser doch ein fernes Mahnen und bemerkt plötzlich, die Kaiserin hätte „die Gitterstäbe des österreichischen Feudalismus gelockert und es allen ihren Völkern ermöglicht, ohne revolutionäre Erschütterung ins neunzehnte Jahrhundert zu treten“. Aber war sie nun nicht doch die Vertreterin dieses Feudalismus? Oder hielt sie es insgeheim mit den nachdrängenden Klassen? War sie wegen der Errichtung einer zentralen Verwaltung des großen Reiches als

„fortschrittlich“ einzustufen oder wegen ihrer bigotten Charakterzüge gegenteilig zu bewerten? So beliebt solche Fragestellungen auch sind, im Grunde sind sie noch immer zu simplifiziert, um historische Antworten zu ermöglichen. Wenn der Autor also hier schweigt, soll man ihm daraus keinen Vorwurf machen. Hingegen ist es sicherlich von Nachteil, daß die politische Gesamtszenerie, aus der heraus die Handlungen der Kaiserin zu verstehen sind, auch mit konventionellen Mitteln recht ungleich erhellt werden, so daß der nicht spezialisierte Leser oft im dunkeln tappen muß. Gewisse Verallgemeinerungen rufen obendrein Widerspruch hervor. „Es stimmt freilich, daß vor Maria Theresia die Habsburger kaum irgendein Interesse für die Länder aufbrachten, über die sie herrschten.“ Nun, es stimmt freilich nicht, schon aus dem einfachen Grund, weil sie ohne dieses Interesse kaum so außerordentlich erfolgreich gewesen wären — was Crankshaw im Grunde meint, ist, daß es bis dahin keinen bis ins Detail eingreifenden Verwaltungsapparat gegeben hat. Auch die Behauptung, daß England im Spanischen Erbfolgekrieg die Koalition verließ, als durch den Tod Jospehs I. die Gefahr einer Zusammenfassung Österreich-Spanien entstand, ist zwar ein stets wieder strapaziertes Exempel der Gleichgewichtspolitik, wir wissen aber heute, daß der Entschluß, aus der Koalition auszuscheren, schon vor dem Tode des Habsburgers gefallen war. Das freilich sind kleine, leicht zu korrigierende Fehler in einem sonst so sorgfältig dokumentierten und glänzend erzählten, überdies gut übersetzten Werk. Auch daß der Maler des Kaiserpaares zwischen 49 und 50 nicht von Weytens, sondern Meytens heißt, ließe sich bei einer neuen Auflage, die man der Arbeit wünschen möchte, richtigstellen.

MARIA THERESIA. Die mütterliche Majestät. Von Edward Crankshaw. 400 Seiten, Edition Praeger (vormals Axel-Juncker-Verlag), Wien, München.

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