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Die Häretiker von 451

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Sieht man von dem kleinen Kreis der Nestorianer ab, waren die vor- chalzedonischen Kirchen so ziemlich die einzigen christlichen Gemeinschaften, zu denen die katholische Kirche noch kaum Verbindung hatte. Eine der Ausnahmen ist die Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen, die soeben in Wien ihre Vollversammlung abhielt und schon seit ihrer Gründung, 1969, Unierte, Orthodoxe und Altorientalen in ihren Reihen vereint. Gerade theologische Gespräche aber vermeidet sie — um diese theologischen Gespräche aber ging es bei den ersten, als nichtöffentlich und inoffiziell deklarierten „Konsultationen“ im Lainzer Bildungshaus, an der Vertreter aller altorientalischen Kirchen, ausgenommen der Syrer aus Syrien selbst, teilnahmen.

Der Themenstellung zugrunde lag die Erkenntnis, daß bei einer so weit zurückzuverfolgenden Entwicklung jeder Weg zur Annäherung nur von einer Befassung mit den Wurzeln seinen Ausgang nehmen kann: also stand Chalkedon im Mittelpunkt sowohl einer historischen Konfrontation von Meinungen und Erkenntnissen wie auch einer kritischen Beleuchtung der Rezeption durch die Kirchen beziehungsweise die Gläubigen und der weiteren Folgen. Der eigentliche Ausgangspunkt, wiewohl nicht eingangs, sondern erst im Schlußkommuniqud direkt definiert, konnte nur die Gemeinsamkeit des Credo von Nikaia-Konstantinopel sein, erweitert um die gemeinsame vollinhaltliche Rezeption der Konzilien von Chalkedon. Das Endergebnis, um das Zentrale vorwegzunehmen, umfaßt drei Punkte: Zum ersten und am positivsten zu werten: die gemeinsame Zurückweisung der nestorianischen wie der eutychiani- schen Lehrmeinungen; zum zweiten den Wunsch, die Kontakte fortzuset- Zen und auszuweiten, ohne unmittelbar auf offizielle „Verhandlungen" zu drängen; zum dritten die Befriedigung darüber, daß ein Gespräch er möglicht wurde und in durchaus guter Atmosphäre abgehalten werden konnte. (Daß die „Nichtöffent-

lichkelt“ so gut wie nicht einhaltbar war, konnte nicht überraschen und hat wohl auch nicht gestört.)

Das Relevanteste, nicht nur für die Teilnehmer — zumindest auf lange Sicht —, ist fraglos die Abklärung gegenüber den Irrlehren des Nestor und Eutyches. Das Vorurteil der Altorientalen, die Römisch- katholischen seien Nestorianer, ist alt und tief verwurzelt; im westlichen Raum dagegen kursiert die Fehlmeinung, die Vorchalzedonier seien Monophysiten. Dabei ist es eine Frage der Nuancierung, inwieweit man „Monophysitismus“ als Häresie verurteilt (was an sich für Anhänger der katholischen Lehre selbstverständlich sein müßte) oder aber neuerdings versucht, ihn zu rechtfer-

tigen, was keineswegs im Sinne der fälschlich zu Monophysiten Gestempelten liegen dürfte. So gesehen, war Schoonenbergs Beitrag über das monophysitische und diophysitische Denken besonders beachtenswert, aber auch doppelt fragwürdig: zum ersten sein Versuch, beides gleichwertig nebeneinanderzustellen, ja, durchaus Sympathien für den (nicht vermeintlichen sondern tatsächlichen) Monophysitismus zu zeigen, zum zweiten aber sein leicht mißzuverstehender Appell, Christus den Menschen von heute „in einer säkularisierten Sprache“ zu bekennen, auf daß die Präsenz Gottes „im menschlichen und ganz persönlichen Menschen Jesus Christus anerkannt“ werde. Solche Darlegungen setzen sehr viel guten Willen beim vorchal- zedonischen Partner voraus, soll er nicht neuerdings zu dem alten Vorurteil kommen, „die Westlichen“ leugneten die Gottheit Christi, seien also „schlimmere Nestorianer“ als Nestorios selbst und seine ersten Anhänger. Demgegenüber ließ Mes- rob Krikorian, der armenische Var- dapet in Wien, keinen Zweifel offen: er nannte es ganz einfach „absolut unrichtig und ungerecht, die Nicht- chalkedonier weiterhin als Monophysiten zu bezeichnen“; demgegenüber aber erinnerte er an katholische und byzantinisch-orthodoxe Theologen, die von nestorianischen Tendenzen im Tomus Leonis sprechen, ohne deswegen zu behaupten, Rom und auch die Orthodoxie vertrete den Nestorianismus.

Freilich, Krikorian zählt zum ökumenefreudigsten Kreis innerhalb der altorientalischen Teilnehmer, von Bischof Shenouda — einem der drei Kandidaten, aus denen das Los das Oberhaupt der Kopten in Ägypten bestimmen wird — war deutlich zu vernehmen, daß er jedenfalls Papst Leo I. für einen Häretiker hält. Inwieweit aus solcher Warte eine offizielle Distanzierung Roms von Leo etwa also Vorbedingung ernsthafter, konkreter Einigungsbestrebungen angesehen würde, blieb dahingestellt. Darüber, daß sie für Rom indiskutabel wäre, mußte daher nicht erst gesprochen werden.

In der Glaubenssubstanz dagegen ergab sich doch mit über alle Erwartungen merkbarer Deutlichkeit, daß bei weiteren theologischen Kontakten und einem großen Aufwand an Mühe und Sachwissen die Annäherung prinzipiell möglich und sogar relativ bald möglich sein müßte: deswegen darf man freilich die Diskussion um die Interpretation von „Natur" und „Wesen", „Sein“ und „Seele“, von „mia“ und „monos“, „Hypostase“ und „Physis“ sowohl in heutiger philosophisch-theologischer Sicht wie in Rückblendung auf das Jahrhundert von Chalkedon nicht unterschätzen. Im Grundsatz jedenfalls, um wieder Krikorian zu zitieren, „kann das Dogma von Chalkedon in einer formula concordiae neu gefaßt“ werden. Professor Grillmeief — im innerkatholischen Raum nicht als einer Meinung mit den wesentlichen Thesen Schoonenbergs zu bezeichnen — zog für die heutigen Bedürfnisse die Konsequenz, für die Realität Jesu Christi einen anderen Ausdruck zu finden als „Person“ oder „Hypostasis“: aber „diese Rea lität muß in unseren neuen Begriffen gefunden werden, wie es die Väter von Chalkedon auch intendiert hatten, sonst verraten wir den Glauben von Chalkedon. Es ist unsere Aufgabe, den Glauben der Väter zu vertiefen und gleichzeitig für unsere Zeit und für unser Verständnis zU adaptieren.“ Man dürfe dabei aber „Hermeneutik nicht in dem Sinn verstehen, daß sie zur Methode einer heimlichen Eliminierung alter Glaubensüberzeugung der Kirche wird" — das gläubige Verstehen lebe aus der Kontinuität. Derselbe Professor Grillmeier warf aber auch einen anderen, für die Katholiken nicht zu überhörenden Gedanken in die Begegnung: „Vielleicht hat gerade jetzt ein Kontakt mit Kirchen, die ihren eigenen Überlieferungen mit solcher Festigkeit treu geblieben sind, für die westlichen Kirchen mit ihrer hochentwickelten Kritik — und Unsicherheit — eine besondere Bedeutung." Womit den „Häretikern von 451“ eine sehr wesentliche und sehr positive Auswirkung auf den Katholizismus von 1971 zukommt, die — angesichts der Bedeutung eines Gesprächs nach 1500 Jahren freilich nur am Rande zu sehen — auch die gesamte Spannweite ökumenischer Kontakte betrifft.

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