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Die Heilige und die Prinzessin

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Die ägyptische Frau ist traditionsgemäß bis in unsere Tage vom religiösen Leben des Islam ausgeschlossen geblieben. Erst in diesem Jahrhundert hat ihr die Emanzipationsbewegung neben neuen gesellschaftlichen Rechten auch den Zugang zur islamischen Al-Azhar-Universität — wenn auch in getrennten Hörsälen und mit anderen Andachtsformen — erkämpft. Aber schon lange vor den modernen Reformtheologen Afghani oder Muhammad Abdu, die den Ägypterinnen sogar ihren Platz im männlichen Reservat der Menschen zu sichern versuchten, hatten sich vor einem halben Jahrtausend ein Heiliger und eine Prinzessin der Hebung weiblicher Frömmigkeit am Nil angenommen.

Die Grabmoschee des Aszeten Abu al-Saud al-Garahi steht heute in dem unratverseuchten Niemandsland, das die Juden- und Kopterwiertel des sogenannten Alt-Kairo von der modernen Millionenstadt trennt. Jeden Dienstag ist das Kuppelgebäude mit seinen weit ausgreifenden Vorhöfen und Nebengewölben 'das Ziel einer Frauenwallfahrt aus dem Zentrum und der Umgebung der ägyptischen Hauptstadt. Der heilige Derwisch hat den Frauen an der Wende /om 15. zum 16. Jahrhundert, zusammen mit einer türkischen Prinzessin, den Weg zu Heiligemgräbem “und kleineren Gotteshäusern, wenn auch noch nicht zu den großen Moscheen geöffnet.

Heute herrscht bei der allwöchentlichen Wallfahrt ein lebhaftes Treiben. Viele Besucher aus den ländlichen Gegenden kommen auf flachen, hochrädrigen Eselskarren angefahren. In dem freien Gelände vor dem Heiligtum stehen schattige Tamarin-denlbäume. Hier tragen Sängerinnen religiöse Volksepen vor. Wenn sie Lobpreisungen auf den Heiligen anstimmen, soll dieser in Gestalt eines Fellachen, eines einfachen Bauern, unerkannt zugegen sein. Weniger mystisch begnadete Augen sehen hingegen nur das bunte Bild eines ägyptischen Markttages.

Dagegen gehört die Pflege der riesigen Totenstadt der islamischen Friedhöfe, die sich um den ganzen Süden Kairos von der Zitadelle bis zu den Pyramiden hinzieht, ausschließlich zu den Obliegenheiten der Frauen. In schwarzen Trauergewändern hok-ken sie mit schmerzhaft abgewand-tem Gesicht um die haus- oder hügelförmige Grabstätte. Vierzigster Tag nach dem Ableben, Jahrestag und die beiden Totengedenktage des islamischen Festkalenders werden selbst von sonst areligiösen Familien streng eingehalten. Wer nicht über genug weibliche Anverwandte verfügt, um als guter Familienvorstand seinen Vater, Onkel oder Bruder betrauern und beweinen zu lassen, nimmt mit professionellen Klageweibern vorlieb. Diese rekrutieren sich in der Regel aus den alt- und zahnlos gewordenen Schönen der Kairoer Halbwelt.

Mehr Aberglauben als religiöse Satzung ist die von den meisten Frauen praktizierte Beschneidung ihrer Töchter im zartesten Alter. Im Zuge der heutigen Parole „Zurück zum Islam“ werden heute wieder gut zwei Drittel der ägyptischen Mädchen beschnitten. Dabei hat dieser pharaonisch-afrikanische Brauch, im

Gegensatz zur Beschneidung der Knaben, überhaupt nichts mit dem Islam zu tun. Während der Regierungszeit Nassers war er daher auch verboten und unter strenge Straf-sanktiön gestellt.

Alte Überlieferung setzt den siebten Tag nach der Geburt und die Stunde kurz vor Sonnenuntergang für diese „Familienfeier“ fest, die im Carnevalsstü mit Girlanden, Kerzen und orientalischen Wohlgerüchen begangen wird. Gerade die unschuldige Freude, mit der in allen Familien die Beschneidung der jeweils jüngsten Tochter gefeiert wird, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich hier um finsteren und 'grausamen Aberglauben handelt. Madame Dsahihan Anwar as-Sadat, Ägyptens First Lady, hat diesem schwerwiegenden Eingriff in die Natur und in die Persönlichkeit der ägyptischen Frau einen unerbittlichen Kampf angesagt. Beim islamischen Klerus findet sie leider dabei nicht die geringste Unterstützung.

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