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Die Hessen-Wahl hatte Signalcharakter

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Stolz nannte sich die SPD immer eine „Partei der Basis“, und für die Union hatten die Sozialdemokraten nur das abfällige Wort vom „Kanzlerwahlverein“. Wenn diese Selbsteinschätzung stimmt, so kann nach der Kommunalwahl von Hessen nur noch gesagt werden, daß die SPD eine Partei der brüchigen Basis ist. Für uneinnehmbar gehaltene „rote Rathäuser“ fielen nahezu von selbst in die Hände der CDU. Ein Erdrutsch, wie ihn selbst Pessimisten in der SPD nicht für möglich gehalten hatten, "ist eingetreten. Hessen machte deutlich, daß sich in der SPD die Verhältnisse umzukehren beginnen. Stellte diese Partei nicht den Bundeskanzler und hieße dieser nicht Helmut Schmidt, sie wäre vermutlich noch schwerer angeschlagen, als sie es ist.

Nach der Bundestagswahl vom Oktober vergangenen Jahres stellte eine Wahlanalyse der SPD fest, daß das Image der Partei reichlich getrübt sei und daß sie ohne Schmidt die Wahl nicht gewonnen hätte. Aber seit der Bundestagswahl hat sich die Situation für die SPD noch verschlechtert. In Bonn geschieht kaum noch etwas, und wenn etwas geschieht, dann nichts, was die Bürger erfreut. Ein Wahlversprechen wie die Rentenerhöhung sollte plötzlich keine Verbindlichkeit mehr haben. Im Koalitionskabinett gibt es immer deutlichere Risse. Solches Versagen in Bonn führte, zusammen mit der katastrophalen Verfassung der SPD, in Hessen dazu, daß es zum Erdrutsch bei der Kommunalwahl kam.

Die unmittelbaren Auswirkungen der Hessen-Wahl sind gering. Dies erklärt sich aus ihrem Charakter als Kommunalwahl. Aber wie der Linksrutsch bei den französischen Kommunalwahlen wichtige Hinweise auf die politische Entwicklung gibt, so auch die Wahl in Hessen, die vor allem symptomatische Bedeutung hat und darüber hinaus als Signal wirken könnte. Zum einen ist sie ein deutliches Zeichen für den Vertrauensschwund, den die SPD bei den Wählern erlitten hat. Sie mag sich zwar damit trösten, daß sie in Hessen 30 Jahre lang an der Macht war und daß dabei Verschleißerscheinungen unvermeidlich sind. Eine solche Betrachtungsweise würde übersehen, daß auch bundespolitische Aspekte eine ausschlaggebende Rolle spielten. In Hessen sind die Fehler der SPD nur deutlicher hervorgetreten als auf Bundesebene: Bürgerfeme, Arro ganz der Macht, Mißachtung des Wählerwillens und Fehlen einer klaren politischen Linie.

Für die SRD müßte das Symptom „Hessen“ nun eigentlich bedeuten, daß sie alle Kräfte mobilisiert, will sie nicht langsam, aber sicher Abschied von der Macht nehmen. Es erscheint aber unwahrscheinlich, daß die Partei dazu die Kraft aufbringt, nachdem schon die warnenden Analysen der

Bundestagswahl von 1976 ohne Wirkung blieben. Eben erst haben die Jusos demonstriert, daß sie nicht bereit sind, zur Konsolidierung der Partei beizutragen. Die Anzeichen von „Fil- zokratie“, der Verfilzung von Partei und öffentlichen Wirtschaftseinrichtungen in SPD-regierten Bundesländern und Rathäusern, nehmen bedenklich zu. Im entscheidenden Bundesland Nordrhein-Westfalen schlingert die SPD unter dem beängstigend führungsschwach gewordenen Ministerpräsidenten Kühn dahin.

Aber auch für die CDU hat Hessen Signalcharakter. Diese Partei, die nach der verlorengegangenen Bundestagswahl mehr mit sich selbst beschäftigt war als damit, effektive und überzeugende Oppositionspolitik zu betreiben, wird deutlich darauf hingewiesen, daß es ihr vorrangiges Ziel sein sollte, die politische Macht zu erringen und daß sie dazu auch in der Lage wäre. Ihr bester Helfer ist dabei die derzeit desolate SPD. Allerdings könnte die Union gleich wieder bei der Klärung der Frage, wie sie zur Macht gelangen soll, neuerlich in interne Schwierigkeiten geraten. Denn die Befürworter einer Annäherung an die FDP stehen den Gegnern einer solchen Taktik unversöhnlich gegenüber. Aber Hessen könnte hier den Durchbruch bringen. Denn unter dem Eindruck der großen Erfolge fand sich Alfred Dregger, sonst im unversöhnlichen Strauß-Lager zu finden, zu Angeboten an die FDP bereit.

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