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Die historische Versöhnung

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Brasiliens Präsident Joao B. Figuei-redo war im Mai in Buenos Aires zu Gast. Routinevisite beim Nachbarn, dem zweiten lateinamerikanischen Riesen, Argentinien? Nein. Dieser Staatsbesuch bedeutet für Südamerika, was die Annäherung zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland für das Nachkriegseuropa bedeutet hat: alter Streit wird begraben.

Mit diesem Schritt wird eine politisch-historische Landschaft neugeformt. Mit einem Bündel von Rahmenverträgen, welche die Unterschriften der beiden Präsidenten-Generale Fi-gueiredo und Jorge Videla tragen. Das Instrument der Neugestaltung soll der beschlossene permanente Dialog der Außenminister sein.

Die Landschaft, die bisher eifersüchtig Getrenntes und Abgekapseltes auf Ergänzung und Zusammenarbeit festlegt, ist gewaltig: die beiden Staaten umfassen fast zwei Drittel des Kontinents, drei Fünftel der 200 Millionen Südamerikaner leben in Brasilien und Argentinien.

Den Umschwung leitete Brasilien ein, das eigenwillig die Öffnung zu Europa, Japan und Afrika, nicht aber zu seinem Nachbar betrieb, den es als (welt-)wirtschaftlichen Konkurrenten sah. Als 1979 klar war, daß die teuren ölimporte nicht mehr zu verkraften sind, besann man sich auf die gemeinsamen Energiereserven der großen Ströme des Rio de la Plata-Beckens.

Brasiliens Außenminister Ramiro Saraiva Guerreiro „lateinamerikanisierte” konsequentseinen Ministeriumsapparat in Jtamaraty von Brasilia und brach die zehnjährige Konfrontationstaktik ab. Im Oktober des Vorjahres bot er Argentinien und dem zwischen den Giganten eingeklemmten Paraguay ein Gegengeschäft für die gemeinsame Nutzung des Parantsga-Stromes an.

Damit ist für Brasilien der Weg frei, um das weltgrößte Wasserkraftwerk (12.600 Megawatt!) bei Itaipu zu errichten, während Argentinien flußabwärts ohne brasilianisches Veto die beiden Großanlagen von Yacyretä und Corpus vorantreiben kann.

Was dieser erste Schritt ausgelöst hat, zeigt der Mai-Besuch Figueiredos: das erste Mal seit 1935 betrat ein brasilianischer Staatschef die argentinische Kapitale.

Die unterzeichneten Abkommen, an denen die beiden Super-Wirtschaftsminister Antonio Delfim Neto und Jose Martinez de Hoz gebastelt haben, sind die Grundlage für eine umfassende Energieplanung: der Uruguay-Fluß soll gemeinsam genutzt werden; die Kernenergie-Erfahrung Argentiniens, das mit Atucha I (320 Megawatt) seit 1974 über das einzige funktionierende Atomkraftwerk Lateinamerikas verfügt, werden mit dem brasilianischen Vorsprung bei der Uransuche und -Verwertung zusammengeworfen; die Elektrizitätsverbunde sollen verschmolzen werden.

Die Energieverbrüderung verringert die ölimporte (typisch für die Zersplitterung Südamerikas: eigenes öl wird zum großen Teil außerhalb des Kontinents verkauft, die ölimporte müssen deshalb von den brennstoffarmen Ländern Lateinamerikas in Ubersee besorgt werden) und bringt bei der Kernenergie (in Zusammenarbeit mit Europa) mehr Freiraum gegenüber den USA mit ihrer strikten Nonprofilerati-ons-Politik.

Zu den Energieströmen werden sich auch Produktionsgemeinschaften gesellen. Die vorhandenen Reserven der beiden Länder werden sich nicht verdoppeln, sondern multiplizieren: zwischen Sao Paolo und Buenos Aires liegen Ballungszentren mit den am besten ausgebildetenen Bevölkerungsgruppen Südamerikas, mit Forschungspotential, Knowhow und den reifsten (eigenen) Industrien des Kontinents. Werden diese Grenzräume integriert, könnte ein Brennpunkt für eine „lateinamerikanisierte” Entwicklung des Kontinents entstehen.

Mit der historischen Versöhnung zwischen Brasilien und Argentinien sind aber auch die großen Auslandfirmen in den Bereichen der Chemie, Pharmazie, Elektronik und Fahrzeugbau zufrieden. Fällt der harte Wettbewerb zwischen den beiden Ländern weg, müssen die Niederlassungen nicht mehr doppelt errichtet werden. Und der Großraum um das Rio de la Plata-Bek-ken wird zu einem einzigen Markt.

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