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Die Hitler-Zeit im Unterricht

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Klinisch reiner Nationalsozialismus? Was ist das?

Lehrer auf der Schulbank verhalten sich gar nicht anders als ihre Schüler, sie bringen nämlich ihr echtes oder scheinbares Interesse durch aufmerksames oder gespieltes Zuhören zum Ausdruck, und wie die meisten Schüler stellen sie keine Fragen, nehmen nicht Stellung. Selbst dann, wenn es um ein so heißes Eisen wie die Darstellung der NS-Zeit im Schul-, bzw. Kinder- und Jugendbuch geht.,

Genauso spielte es sich auch bei dem ausgezeichneten Referat von Peter Malina zum Thema Zeitgeschichte in der Kinder- und Jugendliteratur anläßlich der 18. Tagung des Internationalen Institutes für Jugendliteratur und Leseforschung in Krems ab. Hauptaussage von Malinas Ausführungen:

Der Versuch, Geschichte objektiv und unverfälscht darzustellen, erweise sich als fatale Falle für Autoren und Leser, die klinischreine Vermittlung von Daten und Fakten als Scheinobjektivität. Sachinformation allein genüge nicht. Notwendig sei das Ansprechen von Gefühlen, das Auslösen von Betroffenheit. Wichtig sei nicht das Schicksal der Geschichte-Macher, sondern das tägliche Leben der durch dieses Geschichte-Machen betroffenen Kinder und Eltern.

Das Stillschweigen der Zuhörer deutete auf allgemeine Zustimmung. Oder doch nicht? Das gemeinsame Mittagessen bot Gelegenheit zu einem Gespräch. Ich griff Malinas Aussage auf und fragte, wie dessen Forderungen im Unterricht umgesetzt werden können.

„Ich halte das für einen Unsinn”, meinte ein AHS-Ge-schichtslehrer mittleren Alters.

„Man kann alles sachlich berichten. Es gibt nichts in der Geschichte, das nicht auch seine guten Seiten gehabt hat”. Wo waren die guten Seiten von KZs? „Nicht in allen Details, natürlich sind schreckliche Verbrechen geschehen, aber man muß das aus der Entwicklung verstehen. Hitler war die Folge politischer Fehler in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg ...”

Die Fakten, die der Lehrer (und Vater) aufzählte, entsprachen den Tatsachen und doch, irgend etwas fehlte.

Eine jüngere Hauptschullehrerin — sie unterrichtet Sozialkunde

— sprach aus, was ich empfand. „So kann man das nicht machen. Ich glaube schon, daß wir den Schülern verständlich machen müssen, daß Hitlers Politik gegen die Juden bestimmten Kreisen gelegen kam und daß er diese Politik nur deshalb durchziehen konnte.”

Ein dritter, etwa vierzigjähriger Deutschlehrer schaltet sich ein:

„So einfach, Frau Kollegin, geht das nun auch nicht. Wir können doch nicht allen Österreichern und Deutschen die Schuld an den Verbrechen gegen die Juden anlasten. Die konnten das alles ja gar nicht wissen”.

„Trotzdem meine ich”, widersprach die Lehrerin, „daß wir Kindern begreiflich machen müssen, daß man in Situationen, die heute an die NS-Ideologie erinnern, anders reagieren kann als die Menschen damals. Daß man nicht dieselben Fehler machen muß, wenn man versteht, warum es in den dreißiger Jahren so weit gekommen ist”.

„Aber Frau Kollegin, das weiß man doch. Die Menschen haben noch nie aus der Geschichte gelernt. Tun wir doch nicht so, als könnten wir die Welt verändern, nur weil wir Schülern Geschichte beibringen.”

„Erzählen Sie das Ihren Kindern zu Hause auch?” Ich hatte bereits Mühe, mein Unbehagen zu unterdrücken.

„Zu Hause ist das etwas anderes, da vertrete ich meinen Standpunkt. Aber für meine Kinder trage ich die Verantwortung. Meine Schüler haben ja auch Eltern, mit denen sie sprechen können.”

„Da habe ich aber eine ganz andere Auffassung vom Unterrichten”, verwehrte sich die Lehrerin gegen die Ansicht der beiden Kollegen.

Der vierte Lehrer am Tisch war bisher schweigsam geblieben.

„Ich habe einige Male versucht, im Geschichtsunterricht engagiert gegen den Nationalsozialismus Stellung zu beziehen”, meinte er nun resigniert. „Aber ich habe es dann aufgegeben. Nachdem zwei Väter sich beim Direktor beschwert hatten, daß ich ihre Kinder gegen sie aufhetze, legte mir mein Chef nahe, vorsichtiger zu sein. Na ja, seither bin ich eben vorsichtig.”

Die weitere Diskussion wurde heftiger, alle beharrten auf ihren Standpunkten. Meine Einwände wurden vom AHS-Lehrer mit der Bemerkung vom Tisch gewischt, daß Leute, die nicht selbst unterrichten, da' nicht mitreden könnten.

Am Ende der Mittagspause löste sich die Tischrunde auf. Das Gespräch hatte mich beunruhigt und so verpaßte ich den Augenblick, der jungen Lehrerin zu sagen, wie froh ich über ihre Einstellung war. Im nachhinein tut mir das leid.

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