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Die Ideologie und das Christentum

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Das Thema „Ideologie und Christentum“ muß so lange immer wieder aufgegriffen werden, wie wir in der weltanschaulichen Diskussion dem Argument begegnen, das Christentum sei eine Ideologie unter vielen anderen, denen man allen mit der gleichen Toleranz zu begegnen habe; man kann diesem hartnäckigen Irrtum - trotz und wegen dęr heute nahezu totalen Sprachverwirrung - nicht oft und nicht entschieden genug öffentlich entgegentreten.

Eine Ideologie ist dadurch charakterisiert, daß sie ihr System durch die Totalisierung und Verabsolutierung des Teilaspektes gewinnt, dessen Bezeichnung sie meist mit der Endung „… .ismus“ (dem „Teufelsschwanz“) in ihren Namen aufnimmt: Naturalismus, Biologismus, Materialismus, Sozialismus, Empirismus, Evolutionismus, Humanismus, Agnostizismus, Positivismus usw.

Das Christentum jedoch ist die Religion, deren Anhänger sich gläubig, vertrauensvoll an das wahre Absolu- tum binden, aus dem sie ihren Lebenssinn empfangen, um ihn als freie Personen im Rahmen der ihnen gegebenen Möglichkeiten verwirklichen und erfüllen zu können.

Daß wir und warum wir zu diesem wahren Absolutum, dem Urheber allen Sinnes, an dem wir teilhaben, dem Urheber allen Seins und aller Wirklichkeit, zu Gott „Vater“ sagen dürfen und sollen, das ist die Frohe Botschaft, das Evangelium Jesu Christi, dessen gläubige Annahme und Befolgung geeignet sind, alles Irren durch die verschiedensten „Ismen“ und ihre Verlockungen zur Ruhe kommen zu lassen in der Wahrheit. Es sollte keine Enttäuschung bereiten, daß diese Wahrheit nicht mit den Methoden der Ismen „bewiesen“ werden kann, ist es doch überzeugend, daß sie durch ihre Befolgung, durch ihr Tun erwiesen und bestätigt wird.

Formal bekennt sich die große Mehrheit der Österreicher zum Christentum, das demnach für alle Gruppen der Bevölkerung den gemeinsamen geistigen Hintergrund bilden könnte, als Bezugsmitte des

Gespräches, das die Demokratie erst ermöglicht.

Dennoch unternimmt in Österreich die Mehrheitspartei den paradoxen Versuch, diese ihrer Ideologie dem Werte und der Bedeutung nach übergeordnete Bezugsmitte ihren partikulären Interessen, Zielen und Zwecken unterzuordnen und „ein Stück Weges mitzunehmen“. Und der Führer dieser ideologischen Mehrheitspartei, der sich zum Agnostizismus bekennt, also als einer, der überhaupt nichts Wesentliches erkennen kann, wird so angesehen und behandelt bzw. kann so auftreten, als ob er in unserem Land der einzige wäre, der überhaupt etwas Rechtes erkennt.

Sein Klubobmann macht der an das wahre Absolutum bindenden Religion das Zugeständnis und zweifelhafte Kompliment, daß „die ideologische (!) Substanz des Christentums und die ideologische Substanz der Sozialdemokratie die einzigen größeren Ideen sind, die in Europa auf längere Sicht relevant sein werden“ (Dr. Heinz Fischer, siehe FURCHE vom 20.11. 1974).

In meinem Artikel in der FURCHE vom 7.1. 1977 („Rückfall in alte Irrtümer“) habe ich bereits festgestellt, daß diese Meinung im Lichte des von mir angedeuteten Ideologiebegriffes als „blanker Unsinn“ erscheint Dies hat Herrn Franz Diwisch zu der Behauptung veranlaßt, daß der „blanke Unsinn im blauen Dunst aufgeht“, weil sich doch auch „wir Sozialisten als Christen (!) zum allerhöchsten Appellationsgericht bekennen und es mit Jesaja und Marx, den Sehern einer menschenwürdigen Welt nach Gottes Ebenbild, halten“ (FURCHE Nr. 22/3. 6.1977).

So groß ist die Verwirrung! So viel ist noch zu tun - vor allem für die christlichen Medien! Sie haben mit noch größerer Klarheit immer wieder dafür einzutreten, daß der Kirche auch inhaltlich-faktisch die Funktion und Bedeutung zukommt, die ihr nicht nur formell-quantitativ, sondern auch der Sache nach sinngemäß entspricht.

Heute, da den einzelnen Gläubigen immer mehr bewußt wird, daß auch sie Kirche sind, heute, da dem falschen, vermeintlichen Wissen der Ideologien und der die Geister nahezu vollständig beherrschenden bloßen Naturwissenschaftlichkeit so viel Boden abgewonnen wird für die Anerkennung auch der geistigen.

„seinsüberschreitenden“, überzeitlichen Wirklichkeitsbereiche, für die Glaubensmöglichkeit und - wie wir hoffen - schließlich für den Glauben.

Heute, da unser Einsatz so gestärkt wird durch die begeisterte und begeisternde Akklamation, die unserem unermüdlichen großen Papst in aller Welt von einer sinnhungrigen Menschheit entgegengebracht wird,heute scheint doch die rechte Zeit zu sein, die politischen Parteien endlich in ihre Zuständigkeitsbereiche der gesellschaftlich relevanten Sach- und Ordnungsfragen zu verweisen und von ihnen nicht mehr die Beantwortung weltanschaulicher Fragen zu erwarten.

Die für alle Gruppen gültige und maßgebende christliche Soziallehre läßt ohnedies eine reiche Pluralität von Wirkungsmöglichkeiten und Orientierungen mit den verschiedensten Akzenten und Zielen zu. Zum Beispiel ist auch für die christliche Soziallehre der Mensch ein Sozialwesen, und es ist auch nach ihr durchaus legitim, eine politische Gruppierung durch den Sozialaspekt, durch den Kampf um die soziale Gerechtigkeit besonders zu akzentuieren; ebenso legitim kann sich eine andere politische Gruppe etwa durch den Personalaspekt akzentuieren!

Nicht legitim aber ist (s. o.) die Totalisierung, die Verabsolutierung eines Teilaspektes, die Ideologisierung! Das Bild des Menschen, „wie ęr wirklich ist“, ist maßgebend für alle politischen Gruppierungen. Sie alle haben die anthropologische Tatsache zu respektieren, daß der Mensch durch seine Natur, seine Geistseele und seine Personalität konstituiert ist und nur deshalb als Maß akzeptiert werden kann, weil Gott das wahre Maß seiner Seele ist.

Dieses wahre Maß ist eine untrügliche Orientierungshilfe. Es zeigt im Gewissen vor aller Reflexion mit Gewißheit an, ob sich ein Mensch als Person der ihm begegnenden Welt mit jenef Haltung zuwendet, mit der er sich ihr zuwenden soll: zweckfrei und am Sinn orientiert, am Seinsollenden, nicht am Faktischen.

In fast allen politischen Programmen kommt zwar ein Bekenntnis zu dieser Grundhaltung zum Ausdruck, doch fast überall fehlen die praktischen Konsequenzen. Der Glaube ohne Werke aber ist tot; ebenso sind es Programme und Bekenntnisse. Keinem kommt Glaubwürdigkeit, Legitimation und Mandat zu, der nicht die Grundhaltung der wahren „Sachlichkeit“ in sich aufgerichtet hat und sie durchzuhalten bemüht ist, die Haltung der Hingabe an „die Sache, um die es geht“ - in allen Lebensbereichen!

Die billige stereotype Verwechslung dieses globalen und universalen sittlichen Gebotes zur wahren Sachlichkeit mit unpersönlicher, kalter Sachlichkeit und bloßer Dringlichkeit beruht auf einem Irrtum aus Oberflächlichkeit.

Die Bedingungen der Möglichkeit wahrer Sachlichkeit und ihrer Bewährung sind - dies sei zusammenfassend festgestellt - in keiner Ideologie erfüllbar, wohl aber im Christentum.

(Dr. Friedrich G. Kuhn ist Generaldirektor der Salzburger Preßvereinsbetriebe.)

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