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Die Immunität wird zum Asylrecht

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Am 17. Jänner soll das Parlament im Verfassungsausschuß des Nationalrates die Vorberatung des sozialistischen Initiativantrages zur Neuregelung der parlamentarischen Immunität aufnehmen. Selbst überzeugte Kreisky-Fans werden kaum behaupten, daß mit diesem weiteren Schritt zu dem vom Bundeskanzler propagierten „Privilegienabbau“ einem dringenden Bedürfnis der öffentlichen Meinung entsprochen wird. Das österreichische Volk hat im gegenwärtigen Zeitpunkt sicherlich ganz andere politische Sorgen.

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Am 17. Jänner soll das Parlament im Verfassungsausschuß des Nationalrates die Vorberatung des sozialistischen Initiativantrages zur Neuregelung der parlamentarischen Immunität aufnehmen. Selbst überzeugte Kreisky-Fans werden kaum behaupten, daß mit diesem weiteren Schritt zu dem vom Bundeskanzler propagierten „Privilegienabbau“ einem dringenden Bedürfnis der öffentlichen Meinung entsprochen wird. Das österreichische Volk hat im gegenwärtigen Zeitpunkt sicherlich ganz andere politische Sorgen.

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Trotzdem wäre es falsch, wenn der einzelne Staatsbürger meinte, „das ganze gehe ihn nichts an“. Hat doch schon Nationalratspräsident Anton Benya in seiner Ansprache zum Abschluß der parlamentarischen Arbeiten des vorigen Jahres nachdrücklich daraufhingewiesen, daß die Immunität kein Privileg des einzelnen Abgeordneten darstellt, sondern das Parlament als solches arbeitsfähig und unabhängig erhalten soll!

Die Immunität gehört zum parlamentarischen System

Im Mutterland der parlamentarischen Demokratie, in Großbritannien, ist daher die „Unabhängigkeit des Parlaments“ jener gängige Rechtsbegriff, der von Alters her zum Ausdruck bringt, daß es sich nicht um einen persönlichen Freibrief des einzelnen Parlamentsmitgliedes handelt, sondern um die Begründung eines besonderen Rechtsstandes für parlamentarische Vorgänge gemäß der Autonomie der Volksvertretung.

Die früheste Definition einer parlamentarischen Immunität findet sich in der „Bill of Rights“ von 1689. Nach 9 dieser Bill dürfen die Freiheit der Rede sowie der Inhalt der Debatten im Parlament an keinem anderen Gerichtshof oder Orte außerhalb des Parlaments unter Anklage oder in Frage gestellt werden.

Davon ausgehend hat die Frnzösi-sche Revolution 1789 die Immunität der Parlamentarier weiterentwickelt und würde praktisch zum Vorbild für die meisten europäischen Demokratien. Erstmals wurde hier auch der beruflichen Immunität (irresponsa-bilitö) eine außerberufliche Immunität (inviolabilitö) angeschlossen.

Das österreichische Immunitätsrecht folgt dem französischen Vorbild

Nach geltendem österreichischen Recht können die Abgeordneten „wegen der in Ausübung ihres Berufes geschehenen Abstimmungen niemals, wegen der in diesem Beruf gemachten mündlichen Äußerungen nur vom Nationalrat verantwortlich gemacht werden“, genießen also die berufliche Immunität.

Darüber hinaus bestimmt aber unsere Bundesverfassung, daß kein Abgeordneter „wegen einer strafbaren Handlung - den Fall der Ergreifung auf frischer Tat bei Verübung eines Verbrechens ausgenommen -ohne Zustimmung des Nationalrates verhaftet oder sonst behördlich verfolgt werden darf. Der Nationalrat hat über ein Ersuchen der zur Verfolgung berufenen Behörde um Zustimmung zur Verhaftung oder sonstigen behörlichen Verfolgung eines Abgeordneten binnen 6 Wochen zu beschließen.“

Gegen diesen weitgehenden außerberuflichen Immunitätsschutz werden nun verschiedene Einwendungen erhoben. Bekannt ist beispielsweise die Tatsache, daß Bundeskanzler Bruno Kreisky den Journalisten Günther Nenning einen „Wurstel“ nennen konnte, weil der Nationalrat dies offenbar als eine Äußerung im Zusammenhang mit dem Beruf des Abgeordneten

Kreisky ansah und dessen Auslieferung ablehnte.

Weiters wird behauptet, daß Abgeordnete mit ihren Autos auch in Parkverbotszonen unter dem Schutz der parlamentarischen Immunität parken, wobei es meist nicht einmal zu einem Auslieferungsbegehren der dies feststellenden Behörde komme-sei es, weil einsichtigen Beamten der Aufwand des damit verbundenen Verfahrens in keinem Verhältnis zu der möglicherweise zu verhängenden Geldstrafe zu stehen scheint, oder weil die Legitimierung des Verkehrssünders als Mitglied des Parlaments in unserem vom obrigkeitsstaatlichen Denken noch immer behafteten System den Wachebearnten von der Erfüllung seiner Pflicht abhält.

Vielen dieser Einwände hätte das Parlament freilich bei Behandlung von Auslieferungsbegehren selbst Rechnung tragen können. Beispielsweise hätte der Praxis, bei Verkehrsdelikten grundsätzlich auszuliefern, auch die Übung folgen können, bei Beleidigung einfacher Staatsbürger durch ein Mitglied des Nationalrates den Schutz der Immunität aufzuheben.

Die SPÖ möchte die Immunität dort, wo sie ihr nicht (mehr) gerechtfertigt scheint, abschaffen

Anders ist die Lage freilich dort, wo es bei der bisherigen Rechtslage überhaupt zu keinem Auslieferungsbegehren der für die Verfolgung zuständigen Behörden kommt. Und dieser letztere Umstand mag - unter anderem - die SPÖ bewogen haben, eine Gesetzesinitiative zur Änderung des Immunitätsrechtes zu ergreifen; abgesehen von den taktischen Erwägungen, zur Verwirklichung des schon so lange propagierten „Privilegienabbaues“ endlich etwas Konkretes zu unternehmen und gleichzeitig vom „Fall Androsch“ etwas abzulenken.

Der Initiativantrag der Abgeordneten Heinz Fischer und Genossen hat eine Änderung der Bundesverfassung zum Inhalt, bedarf also zu seiner Annahme einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Die grundlegende Bestimmung soll lauten: „Die Mitglieder des Nationalrates können wegen ihres parlamentarischen Abstimmungsverhaltens niemals, wegen mündlicher oder schriftlicher Äußerungen in Ausübung ihrer parlamentarischen Funktion nur vom Nationalrat und wegen strafbarer Handlungen, die mit ihrer Funktion als Mitglied des Nationalrates in einem inneren Zusammenhang stehen, nur mit Zustimmung des Hauptausschi*3ses des Nationalrates verantwortlich gemacht werden; die Zustimmung des Hauptausschusses zur behördlichen Verfolgung ist jedenfalls dann erforderlich, wenn das betreffende Mitglied des Nationalrates sich auf einen solchen Zusammenhang beruft.“

Gegen diese beantragte Reform des Immunitätsrechtes wurden von Seiten der Oppositionsparteien bereits einige Bedenken erhoben. So wurde beispielsweise mit Recht die Verlagerung der Auslieferungs-Beschlüsse vom Immunitätsausschuß , bzw. vom gesamten Nationalrat in den Hauptausschuß kritisiert.

Naturgemäß ist in der Parteien-Demokratie die Auslieferung eines

Abgeordneten im allgemeinen vom Willen der Regierungsmehrheit abhängig; der Minderheit steht lediglich die Appelations-Instanz der „Öffentlichkeit“ zur Verfügung, die deshalb eine grundsätzliche Maxime der parlamentarischen Verfahren und Abstimmungen ist.

Wenn nun in Zukunft die Beschlußfassung über Auslieferungs-*begehren nicht mehr in den öffentlichen Sitzungen des Nationalrates, sondern in den nicht öffentlich zugänglichen Beratungen des Hauptausschusses erfolgen soll, fällt dieses „Prinzip der Öffentlichkeit“ weg, was sicherlich einen wesentlichen Mangel darstellt.

Darüber hinaus aber trägt der Initiativantrag nicht dazu bei - wie es im Motivenbericht heißt - „das Wesen der parlamentarischen Immunität in jenem Umfang, wie dies vom Standpunkt des parlamentarischen Systems her gerechtfertigt und notwendig ist, herauszuarbeiten...“. Man muß sich nur die praktischen Folgen der beantragten Neuregelung vorstellen.

Die SPÖ-Initiative macht die Immunität zum mittelalterlichen Asylrecht

Nach dem vorgeschlagenen Text sollen die „Mitglieder des Natiönalra-tes ... wegen strafbarer Handlungen, die mit ihrer Funktion als Mitglied des Nationalrates in einem inneren Zusammenhang stehen, nur mit Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates verantwortlich gemacht werden (können); die Zustimmung des Hauptausschusses ist jedenfalls dann erforderlich, wenn das betreffende Mitglied des Nationalrates sich auf einen solchen Zusammenhang beruft.“

Abgesehen davon, daß die Formulierung „strafbare Handlungen, die mit ihrer Funktion als Mitglied des Nationalrates in einem inneren Zusammenhang stehen“ verdient, in eine Stilblütensammlung aufgenommen zu werden, weil sie unterstellt, daß ein Parlamentarier gewissermaßen beruflich zur Begehung strafbarer Handlungen veranlaßt sein kann, zwingt sie im konkreten Fall das Mitglied der Volksvertretung, sich gegenüber einem Organ der Vollziehung - die der Kontrolle des Parlaments unterworfen sein soll auf seine Funktion als Parlamentarier zu berufen.

Das legt einen Vergleich mit dem mittelalterlichen Asylrecht nahe, demzufolge Rechtsbrecher bei-

spielsweise in Kirchen Zuflucht und Schutz gegen ihre Verfolger suchten.

Unter diesem Aspekt ist der sozialistische Reformvorschlag nicht nur vom Standpunkt der Oppositionsparteien bedenklich. Im Gegenteil: Es müßte doch als besonders kurios empfunden werden, wenn sich etwa der Innenminister aus gegebenem Anlaß gegenüber einem ihm unterstellten Wachebeamten auf einen inneren Zusammenhang mit seiner Funktion als Parlamentarier berufen und sich somit unter den Schutz des Hauptausschusses gegen eine weitere Amtshandlung stellen würde!

Was ist mit der Unvereinbarkeit zwischen Nationalrat und Regierung?

Unbeabsichtigt verweist damit die sozialistische Gesetzesinitiative auf einen größeren Zusammenhang, wie

beispielsweise das Problem der Unvereinbarkeit zwischen , Parlamentsmitgliedschaft und Regierungszugehörigkeit.

Die ebenfalls naheliegende Frage, ob die gegenwärtige Immunitäts-Regelung für die zweite Kammer unseres Parlaments - den Bundesrat -nicht ebenfalls reformbedürftig erscheint, wurde bisher noch überhaupt nicht in die Diskussion einbezogen.

Selbst wenn man also den eingangs erwähnten Aspekt berücksichtigt, daß nämlich die ganze Diskussion um den sogenannten „Privilegienabbau“ in erster Linie aus taktischen Gründen vonrZaun gebrochen wurde, muß man sich bewußt sein, daß es sich hiebei nicht um ein isoliertes Problem, sondern um eine Vielzahl damit zusammenhängender Fragen handelt. Eine halbwegs befriedigende Lösung ist deshalb auch nur im größeren Zusammenhang denkbar.

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