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Die Indianer Amerikas klagen an

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Um die Rechte der Indianer auf dem amerikanischen Doppelkontinent ging es beim IV. Internationalen Russel-Tribunal, das vor kurzem in Rotterdam seine Beratungen abhielt.

Die Jury des Tribunals bestand aus europäischen und amerikanischen Wissenschaftern aus den Fächern Anthropologie, Rechtswissenschaften und Futurologie (darunter der Österreicher Robert Jungk) sowie Journalisten und Politikern, die Zeugen zu zwölf präzise dokumentierten Fällen anhörten. Der Jury zur Seite stand ein hochqualifizierter wissenschaftlich-rechtlicher Beraterstab.

Es ist nicht möglich, alle behandelten Fälle auf einen Nenner zu bringen. Sie reichten von gänzlich entschädigungslosen Enteignungen von tausenden Jahren hindurch bewohntem Stammesland (der Fall der Hopis im US-Bundesstaat Arizona), der Ausbeutung der natürlichen Rohstoffe des Indianerlandcs (betroffen davon zum Beispiel die Caucas in Kolumbien), sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen auf Großplantagen (denen die Quches und Ixiles in Guatemala ausgesetzt sind) bis zur unmittelbaren Bedrohung der Lebensräume von Indianerstämmen durch technische Großprojekte (der Fall der Campas in Peru).

Vielfach werden Indianern entsprechende Gesundheitsprogramme verweigert, fehlen minimale Hygienebedingungen, wird ihnen das Grundrecht der Religionsfreiheit vorenthalten.

Massensterilisierungen kamen vor (auch in den USA), Folter, Verschleppungen und andere extreme Formen der Unterdrückung stehen auch heute noch in etlichen Staaten des amerikanischen Kontinents auf der Tagesordnung. In vielen Fällen trafen gleich mehrere Anklagepunkte zusammen.

Von einigen Indianern wurden in Rotterdam auch Missionspraktiken der Kirchen angegriffen und dabei auch praktische Beispiele angeführt: Zum Teil hätten die Kirchen nicht Religion, sondern einfach nur ihre (europäische) Kultur zu vermitteln versucht. Die Indianer aber, die vielfach sehr stark an ihren eigenen alten Traditionen hängen, setzten und setzen sich gegen diese Art der Missionstätigkeit zur Wehr.

Und so wurden denn nicht nur die USA und Kanada wegen einseitiger Vertragsbrüche, willkürlich durchgeführter Gebiets- und Verwaltungsgliederungen sowie rücksichtsloser Ausbeutung von Indianerstämmen an den Pranger gestellt.

Angeklagt und verurteilt wurde etwa auch der Salesianerorden: Er habe das Indianerland am Rio Negrobesetzt,die Familienstrukturen der Indianer zerstört, Kinder von ihren Eltern getrennt und ihnen eine für die Umgebung ungeeignete Erziehung aufgezwungen.

Wörtlich meinte das Russel-Tribunal: „Das Niederreißen der Indianerdörfer, die systematische und andauernde Bestrebung, Kultur zu zerstören, deren Tradition sowie den Gebrauch der eigenen Sprache zu verhindern", stehe im Widerspruch zu internationalen Konventionen gegen die Diskriminierung und über die Menschenrechte.

Durch die Forderung nach gut dokumentierten Fällen wurde vieles nicht behandelt. Schwierig belegbaren Fällen ging man aus dem Weg, zum Teil hatten die Minderheitenvertreter auch gar nicht die Möglichkeit, in Rotterdam als Zeugen auszusagen, weil sie nicht aus ihren Ländern ausreisen durften oder aus finanziellen Gründen nicht konnten.

So kam es denn auch bei diesem Russel-Tribunal zu einseitigen Wertungen: Viele Anklagen richteten sich gegen die Vereinigten Staaten, obwohl die Verhältnisse der Indianer in so manchen lateinamerikanischen Ländern nicht nur um Grade, sondern um Kategorien schlechter sind.

Oft wurden kleine indianische Bevölkerungsgruppen behandelt, die sich schon irgendwie politisch geformt hatten, während große Stämme (etwa die nicht minder bedrohten fünf Millionen Maya in Mexiko und Guatemala) nicht einmal erwähnt wurden.

Und natürlich bleiben auch nach diesem IV. Russel-Tribunal die Zweifel an der politischen Unabhängigkeit dieser Veranstaltung bestehen. Der Namensgeber Bertand Russe), die Präsidentin, Hortensia Bussi de Allende, und die bisherigen Themen der Tribunale (Vietnamverbrechen, Lateinamerika und Berufsverbote) deuteten bisher ja auch eindeutig die politische Richtung der Veranstaltung an.

Dennoch: Die Versäumnisse und die politische Akzentuierung des Russel-Tribunals soll die Bedeutung der Veranstaltung von Rotterdam nicht abschwächen: Denn wesentlich war hier, daß auf die zum Teil furchtbare Unterdrückung von Indianern aufmerksam gemacht wird, damit der Gefahr einer totalen Vernichtung von ethnischen Gruppen, ihren Kulturen und Traditionen entgegengewirkt werden kann.

Die amerikanischen Indianer haben sich noch nicht soweit formiert, daß sie einen politischen Machtfaktor darstellen können, auf den man national und international hören müßte. Das mag auch daher kommen, daß sie vielfach von der übrigen Welt völlig abgeschnitten sind. Die Vereinten Nationen oder andere internationale Organisationen sind ihnen noch weitgehend unbekannt.

Wichtig ist für die Indianer und ihre Führer, daß die Weltöffentlichkeit auf die Menschenrechtsverletzungen ihnen gegenüber erst einmal aufmerksam wird. Dabei hat ihnen die Veranstaltung in Rotterdam ganz gewiß einen Schritt weitergeholfen.

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