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Die innenpolitische Szene bleibt in Bewegung

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Ägyptens Innenpolitik ist im Oktober 1976 mit den ersten freien Parlamentswahlen aus langjähriger Erstarrung erwacht. Drei Parteien und eine Vielzahl unabhängiger Mandatare haben seitdem demokratische Aktivitäten entfaltet, von denen freisinnige Ägypter während der Nasser-Ära nicht einmal zu träumen gewagt hätten. Anderseits haben das Ausbleiben der in Aussicht gestellten freien Oppositionspresse, die im Sommer vorgenommene Erschwerung von Parteigründungen und die dadurch bedingte Auflösung illegaler Aktivitäten von Konservativen, Linksextremisten und islamischen Sektierern die vorläufigen Grenzen der neuen ägyptischen Parteiendemokratie erkennen lassen. Im großen und ganzen läßt sich jedoch eine recht positive Bilanz ziehen. Der Oppositionsführer Mustafa Kamai Murad hat inzwischen ungeachtet der Kleinheit seiner Fraktion an Einfluß, Anhang und Ansehen gewonnen. Am Beispiel dieser sozial-liberalen Opposition ist vor allem deutlich geworden, wie sehr Ägyptens Glaubwürdigkeit als internationaler Wirtschaftspartner von demokratischer Ordnung und Stabilität im eigenen Haus gefördert wird. Die Sozialliberalen hatten den Ausgleich mit Israel zu einem Zentralpunkt ihres Wahlprogramms gemacht; auf ihre Vorarbeiten und Vorschläge gründet sich weitgehend der wirtschaftliche Sanierungsplan, mit dem in diesem Herbst Sadats deutscher Finanzberater Alex Moeller her vorgetreten ist.

Der Präsident selbst hat Fragen politischer, wirtschaftlicher und administrativer Natur in den letzten Monaten besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

Auf politischem Gebiet zeigt sich der Präsident bestrebt, den im Zeichen der neuen Freiheit auftretenden Strömungen so großen Spielraum wie möglich zu lassen. Sadat zieht erst dann die Zügel an, wenn radikale Außenseiter sein Liberalisierungskonzept in Frage zu stellen drohen. Charakteristisch für diese Taktik sind die jüngsten Vorgänge um den Neugründungsversuch der vorrevolutionären Wafd-Partei.

Die Idee einer Auferweckung des Wafd fand noch im Mai und Juni begeisterte Anhänger, unter ihnen unabhängige Abgeordnete, aber auch zahlreiche Fraktionsmitglieder der ägyptisch-sozialistischen Regierungspartei. Ministerpräsident Mamduh Salem sah deren absolute Mehrheit schon dahinschmelzen. Das war der eigentliche Grund für einen Zusatz zur ursprünglichen Vorlage für das Parteiengesetz, in dem die Neugründung vorrevolutionärer Parteien untersagt wurde.

Aus der Umgebung des Präsidenten Sadat verlautete jedoch noch im Sommer, daß es mit diesem Paragraphen nicht so genau zu nehmen sei. Davon ermutigt, versammelten sich im September unter dem Vorsitz des konservativen Politikers Fuad Serag ed-Din erstaunlich viele junge Leute, Vertreter der freien Berufe und eine immer noch stattliche Schar von Parlamentariern zur illegalen Konstituierung des neuen Wafd. Hochrufe auf seine Königliche Hoheit, den Erbprinzen Ahmad Fuad, wurden laut. Sadats Establishment hüllte sich in wohlwollendes Schweigen. Die avantgardistische Zeitschrift „Oktober“, Sprachrohr der politisch und wirtschaftlich liberalen Kräfte, ließ ihren Leitartikler Ihsan Abdel Kuddus dem Wafd seine Reverenz als historische Größe erweisen, zugleich jedoch die Zugkraft der alten Nationalkonservativen in Zweifel stellen. Mit dieser Prophezeiung sollte Abdel Kuddus Recht behalten. Nach einigen Tagen erregter Kaffeehausgespräche vor leeren Tassen - es war gerade Ramadan-Fasten - war der Neo-Wafd vergessen. Die Neugierigen strömten zu anderen, legalen Gründungsversammlungen.

Fuad Serag ed-Din und seine Parteifreunde suchten nun nach einem zugkräftigen Programm und glaubten es in dem Ruf nach Widerrufung der Bodenreform gefunden zu haben. Für eine solche Wiederherstellung der al ten Besitz- und Lebensverhältnisse in der Niltal- und Deltaoase wären nämlich nicht nur die Großgrundbesitzer, sondern auch viele Fellachen zu haben gewesen. Der Übergang von der „Daira“ (der Agrarverwaltung auf Partnerschaftsbasis) zur nasseristischen Kooperative hatte zwar zu einer theoretischen „Bauernbefreiung“, nicht aber unbedingt zu besseren Lebens- und häufig zu schlechteren Arbeitsbedingungen geführt. Sadat selbst hat in den letzten Jahren gewisse Korrekturen an der Bodenreform vornehmen und in Einzelfallen Grundbesitz an die alten Eigentümer rückerstatten lassen.

Als Parteiprogramm hätte eine Berichtigung der Bodenreform jedoch Ägyptens ländliche Gegenden in Aufruhr versetzt. Das konnte sich Sadat nicht leisten, der in den Städten mit zwei revolutionären kommunistischen Bewegungen und mit der anarchistischen Muslimsekte Al-takfir wa al-higra bereits alle Hände voll zu tun hat. Erließ also Fuad Serag ed-Din den Mund verbieten, in der Regierungspresse die Agrarreform verherrlichen und den Generalsekretär der ägyptischen Sozialisten, Fuad Muhi ed-Din, bei einer Großkundgebung im Kairoer Vorort Kaljubia der „infamen Reaktion“ den Kampf ansagen.

Nach diesen schlechten Erfahrungen mit Außenseitern aus dem rechten, linken und fanatisch-religiösen Lager zeigte sich Sadat nun hellhöriger für berechtigte Kritik seitens legaler Oppositionsgruppen. Auch dem seit einem Jahr vorgetragenen Verlangen der Sozialliberalen, von der Regierung über den Stand der Nahostverhandlungen aus erster Hand informiert zu werden, ist der Staatschef diesmal nach dem amerikanisch-sowjetischen Kommunique zur Palästinafrage nachgekommen. Seine Aussprache mit dem Oppositionsführer Mustafa Kamai Murad zu diesem Thema wurde in allen gemäßigten politischen Lagern als „Triumph der Demokratie“ begrüßt. Ägypten scheint auf einem guten Wege zu sein.

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