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Die Inseltürken wollen nichts mehr vom Anschluß wissen

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Im Regierungsviertel der selbsterklärten Republik Türkisch-Zypern gibt es lange Gesichter. Während Lef- koscha - so nennt sich der 1974 besetzte Teil der Inselhauptstadt Nikosia - schon jetzt mit roten Fahnen und weißem Halbmond zum dritten Jahrestag dieser „türkischen Friedensoperation” rüstet, glaubt in der Regierung Raouf Denktasch bald niemand mehr daran, daß es bei dem Jubiläum viel Grund zum Feiern geben wird.

Anlaß zu dieser Mißstimmung hat das Scheitern des zypemtürkischen Versuches geliefert, sich beim Silber- jubüäum Königin Elizabeths und der Londoner Commonwealth-Konferenz durch eine offizielle Dreierdelegation vertreten zu lassen. Das Kleeblatt wurde jedoch nicht vorgelassen, während Zypern-Präsident Makarios als legitimer Sprecher der Inselrepublik Lorbeeren und Erfolge einheimsen konnte.

Hatte ihm noch im Februar der Exodus der Türken von den Wiener Zyperngesprächen einen Herzanfall beschert, so zuckt der politische Erzbischof jetzt nur noch die Schultern über den Mißerfolg der zweiten Gesprächsrunde in Nikosia. Nicht einmal der neue Wahlsieg Ecevits, der in seiner ersten Amtszeit vor drei Jahren den türkischen Angriff auf Zypern ins Werk gesetzt hat, kann die Zyperngriechen jetzt erschüttern. Zu fest sind sie vom inneren Zerfall des Staates der Zypemtürken im Norden ihrer Insel überzeugt.

Diese Hypothese wird nicht nur von Makarios’ Pressesprecher Christodou- lou im modernen Südsektor Nikosias aufgetischt. Wechselt man über die grüne Demarkationslinie, über Stacheldraht und Sandsäcke ins türkische Lefkoscha hinüber, so gibt es dort in den Zeitungen noch viel Wilderes zu lesen. Besonders tut sich dabei das Oppositionsblatt „Halkin Seschi” hervor. An die Adresse der regierenden „Partei der Nationalen Einheit” richtet sein politischer Leitartikler Oren die Warnung vor einem neuen Bürgerkrieg auf Zypern, der jedoch diesmal von Türken gegen Türken geführt werden würde. Das Sprachrohr der auf Zypern alteingessenen Türken wirft Denktasch vor, „kriminelle und arbeitsscheue Vagabunden aus der Türkei nach der Insel zu schleusen, um sich mit deren Hilfe an der Macht zu halten”. Der alte Wunschtraum einer Vereinigung der türkischen Siedlungsgebiete Zyperns mit dem Mutterland Türkei sei ausgeträumt, seit sich diese Anatolier als Herren aufspielten. Wenn es in Lefkoscha Nacht wird, verriegeln die „guten, alten Familien”, die mehr den Kontakt mit London pflegen als mit Ankara, Türen und Fensterläden, verbieten ihren Töchtern, auf die unsicher gewordenen Straßen zu gehen. Dort wird im Dunkeln geraubt, was nicht niet- und nagelfest ist, vergewaltigt, was sich nur an Röcken oder Harems-Pluderhosen sehen läßt. Nicht einmal vor kompletten Fabrikanlagen macht der Vandalismus dieser Neusiedler Halt: Von den Ziegelwerken an der neuen Straße von Lefkoscha nach Varoscha (dem alten Famagusta), die früher in drei Schichten produzierten, stehen nur noch die nackten Mauern!

Im „Selamlyk” (Herrensalon) seines alten Patrizierhauses an den venezianischen Stadtmauern von Lefkoscha läßt Zyperns ehemaliger türkischer Vizepräsident Kücük kein gutes Haar an Denktasch, der ihn, nach seiner Ansicht, um die .Führung der Volksgruppe gebracht hat. Auf dem Rauchtisch liegen Denktaschs jüngste Erklärungen in der Istanbuler „Milliyet”, in denen er die Schuld an allen Ausschreitungen der Besatzungstruppen den „alten” Zypemtürken in die Schuhe zu schieben versuchte.

„Diese Kriminellen gehören zurückgeschickt oder ins Gefängnis”, ereifert sich der große alte Mann der zypemtürkischen Minorität. „Nicht einmal 10.000 Polizisten könnten mit diesen sogenannten Siedlern fertig werden. Das sind entweder professionelle Verbrecher oder- unzivilisierte Wilde.”

Jahrzehntelang ist die Eintracht der Zypemtürken deren Hauptwaffe gegen die zahlen- und bildungsmäßig, sozial und wirtschaftlich überlegenen Griechen gewesen. Heute sind sie jedoch untereinander uneins. Bodenständige Inseltürken wollen vom Anschluß an die Türkei noch weniger wissen als die Griechen vom bei ihnen ebenfalls ausrangierten Idol der „Eno- sis” mit dem hellenischen Vaterland.

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