6843965-1976_08_06.jpg
Digital In Arbeit

Die „Iron Lady“

Werbung
Werbung
Werbung

„Sehen Sie mich an, meine Damen und Herren, wie ich heute abend vor Ihnen stehe, in meinem roten Chiffon-Abendkleid, mit zartem Makeup und mit sanft gewelltem Blondhaar — und das soll die ,Iron Lady', die eiserne Jungfrau der westlichen Welt sein?“ Mit diesen Worten begann die Führerin der britischen Konservativen Partei vor einigen Tagen eine Rede bei einer lokalen Londoner Parteiversammlung.

Den Titel „Iron Lady“ oder „Iron Maiden“ hatte Margaret Thatcher taxfrei von der britischen Presse erhalten, als sie in einer aufsehenerregenden Rede auf die ständig wachsende militärische Macht der Sowjetunion und auf deren unverändert gebliebenes Weltherrschaftsstreben hinwies.

Britische Labourabgeordnete, vor allem des linken Flügels, waren empört über diesen konservativen „Sabotageversuch an der Ost-West-Detente“ wie sie es nannten, und der britische Verteidigungsminister Roy Mason sprach von einem „Wiederkäuen altmodischer, reaktionärer Tory-Dogmen“, durch die alle internationalen Koexistenzbestrebungen gefährdet werden könnten, „wenn man sie wirklich ernst nehmen würde“.

Genau das aber scheinen die Russen getan zu haben. Der sowjetische Botschafter in London richtete eine offizielle Beschwerde über Margaret Thatchers Rede an das britische Außenministerium, doch wurde seine Note auf sehr englische Weise beantwortet. Nicht der Minister selbst, sondern Lord Goronwy-Roberts, Staatssekretär im Foreign Office,

teilte dem sowjetischen Botschafter kühl mit, daß in einem freien Land neben allen sonstigen Rechten auch das der Redefreiheit herrsche, und das gelte natürlich auch für die Führerin der parlamentarischen Opposition.

Margaret Thatcher selbst hat bisher nicht nur nicht die geringste Reue über ihre aggressive Rede gezeigt, sie hat vielmehr deren Inhalt sogar mehrmals erneut bestätigt, zuletzt in einem TV-Interview anläßlich des Jahrestages ihrer Wahl zur konservativen Parteiführerin.

Tags zuvor hatte Margaret eines ihrer relativ seltenen Rededuelle mit Harold Wilson im Unterhaus gehabt, bei denen sie im allgemeinen nicht allzu gut abschneidet. Bezugnehmend auf ihre große Warnrede warf sie der Labourregierung vor, unmäßige Kürzungen des britischen Verteidigungsbudgets zu planen, durch die die militärische Sicherheit des Landes und damit des ganzen Westens gefährdet werde. Premierminister Wilson wies diese Behauptung natürlich scharf zurück und erklärte, es sei seltsam um eine Partei bestellt, die einerseits Sturm laufe gegen die angeblich viel zu hohen Regierungsausgaben, anderseits aber diesbezügliche Kürzungen lieber bei den Sozialdiensten oder beim Wohnbau vornehmen wolle als bei Rüstungsausgaben. Aber als kurz danach die tatsächlichen Kürzungen der Verteidigungsausgaben für die nächsten drei Jahre bekanntgegeben wurden, betrugen diese nur rund 180 Millionen Pfund — etwa ein Viertel der ursprünglich von Schatzkanzler Healey geplanten Kürzungen. Po-

litische Kommentatoren konnten nicht umhin, hier Zusammenhänge mit Maggie Thatchers Warnungen aufzuzeigen, und sie taten dies auch in bezug auf ein anderes Ereignis. War es wirklich nur ein Zufall, daß wenige Tage nach dieser nun schon fast legendären Rede der konservativen Parteiführerin kein Geringerer als der ehemalige amerikanische Verteidigungsminister Schlesinger eine ganz ähnliche, nur noch viel schärfer gehaltene Rede hielt, in der er eine akute Krise für den Weltfrieden voraussagte, wenn man das wachsende militärische Ubergewicht der Sowjetunion nicht ehestens auszugleichen trachte?

Wie dem auch sei, Margaret Thatcher hat ihr erstes Jahr als First Lady der Tories mit stärkstem Aplomb für sich und ihre Partei abgeschlossen. Von der Frau, die am 11. Februar 1975 die Führung einer demoralisierten Partei in einem von einer schweren Wirtschaftskrise geschüttelten Land antrat, ohne politische Erfahrung, wenn man von ihrer kurzen Amtszeit als Erziehungsministerin absieht, von dieser Frau konnte niemand das Wunder erwarten, fix und fertige Erfolgspläne oder Allheilmittel für ihre Partei oder für das ganze Land sozusagen aus einem Hut hervorzuzaubern. Und doch hat sie, wenigstens was die Tories betrifft, wirklich nahezu Wunder vollbracht.

Die Ovationen, die Margaret Thatcher etwa nach ihrer großen Rede auf der Konservativen Parteikonferenz im vergangenen Oktober dargebracht wurden — impulsiver, stürmischer und länger als man dies seit

vielen Jahren auf einer Parteikonferenz erlebt hatte — waren nicht nur Ausdruck der Anerkennung für brillante Rhetorik, sondern vielmehr begeisterter Dank der Tory-Dele-gierten für ein klares, kompromißloses Programm, für ein einfaches, aber entschlossenes Bekenntnis zu den bewährten Prinzipien des wohlverstandenen Toryismus und last,

but not least für einen mitreißenden Angriff gegen die Auswüchse des Sozialismus.

Margaret Thatcher versteht es, ihre Thesen ebenso zu vertreten, wie sie in hohem Maße die Kunst des Politikers versteht, sich im Gespräch nicht auf später vielleicht unbequeme, allzu konkrete Behauptungen oder Voraussagen festlegen zu lassen. Im Verlauf einer Fernsehsendung versuchte der Interviewer immer wieder, Mrs. Thatcher als eine Exponentin der „extremen Rechten“ in Wort und Tat festzunageln, aber er hatte die Rechnung ohne die hübsche Wirtin gemacht. Ein ums andere Mal wurde nicht sie, sondern ihr Interviewer bloßgestellt, wenn Maggie ihm nachwies, daß er sie falsch oder daß er aus dem Zusammenhang gerissen zitierte Bemerkungen bewußt oder unbewußt falsch verstanden hatte. Dabei zeigte sich wieder einmal, daß Mrs. Thatchers vielleicht stärkste Waffe die allgemeine Versuchung ist, sie zu unterschätzen: es ist nur zu leicht, angesichts dieser hübschen, gepflegten, typischen Vertreterin des englischen Mittelstandes auf den messerscharfen Intellekt und die stählerne Entschlossenheit zu vergessen, die diese Frau zu dem gemacht haben, was sie heute ist und morgen vielleicht schon sein wird.

Ob das Jahr 1976 Margaret Thatcher bereits in der historischen Rolle als erster weiblicher Premierminister Großbritanniens sehen wird, ist vorläufig noch sehr ungewiß; feststeht aber, daß sie alle nötigen Voraussetzungen für dieses Amt mitzubringen scheint.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung