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Die „islamischen“ Araber

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Die Entlassung des tunesischen Außenministers Mohammed Mas-moudi durch den künftigen Präsidenten der „Islamischen Arabischen Republik“ ist ein erster Vorgeschmack der inneren Schwierigkeiten, die den libysch-tunesischen Zusammenschluß erwarten. Der 49jährige Spitzenpolitiker, der in Paris studierte, gehört seit 1953 zur „ersten Garnitur“ und war seit 1970 Chef des Außenamtes. Tunesienkenner sahen in ihm gelegentlich einen aussichtsreichen möglichen Nachfolgekandidaten für Präsident Habib Boungiba. Masmoudi war sowohl gegen den völligen Anschluß Tunesiens an ein anderes Land als auch speziell gegen den Zusammenschluß mit Libyen. Er hätte eine Föderation mit Algerien vorgezogen, weil der „aufgeklärte Islamismus“ des dortigen Präsidenten Houari Bou-medienne dem Entwicklungsstand Tunesiens eher entspricht als der Fanatismus des libyschen Militär-diktators Oberst Mo'ammer el-Gaddafi.

Der Termin der Volksabstimmung, durch die der nach nur einstündiger Aussprache zwischen Bourgiba und el-Gaddafi auf der Insel Djerba überraschend zustande gekommene Unionsplan von der Bevölkerung beider Länder gebilligt werden soll, scheint noch nicht endgültig festzustehen. Zuvor müßte das Parlament in Tunis noch eine Verfassungsänderung vornehmen, durch die der Verzicht auf die nationale Unabhängigkeit legalisiert wird.

Erster Präsident der Union würde der im 71. Lebensjahr stehende schwer leberkranke Bourgiba werden. Der Staatschef, der in seinem Land auf Lebenszeit gewählt worden ist, seit Erlangung der Unabhängigkeit absolut regiert und jahrelang das Aufkommen jedes aussichtsreichen Konkurrenten und Nachfolgekandidaten im Keim erstickt hat, fühlte in den letzten Monaten — wie aus seiner Umgebung verlautet seine Zeit immer rascher verrinnen. Er habe aber keinen tunesischen Politiker gefunden, dem er zugetraut hätte, angesichts der großen inneren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Konflikte sein Erbe zu bewahren. Der Massentourismus, der dem Land einen Bauboom, politische Offenheit nach Westen und die wichtigste Devisenquelle bescherte, entwickelte sich rückläufig. Die Industrialisierung steckt noch in den Kinderschuhen. Die Kluft zwischen Stadt und Land blieb offen. Das zahlenmäßig kleine Bürgertum wünscht eine konsequente weitere Verwestlichung, verbunden mit einer starken politischen Führung, innenpolitischer Ruhe und Ordnung. Die etablierten Intellektuellen verlangen nach mehr Freiheit. Die konservative Landbevölkerung reagiert mit Unbehagen auf die Abkehr von den religiösen Traditionen. Die Studenten und die anderen Jugendlichen huldigen heftig pan-arabischen Idealen. Bourgiba würde bei seinem Tod also ungeordnete Verhältnisse, schwer einzuebnende Gegensätze und eine katastrophale Wirtschaftslage, verbunden mit schwerwiegenden sozialen Benachteiligungen der Industriearbeiterschaft hinterlassen.

In dieser ausweglos scheinenden Situation kam dem alternden Hausherrn im Präsidentenpalais von Karthago das Liebeswerben des machtbewußten und zudem noch reichen Libyers nicht ungelegen. Bourgiba hoffte, daß der Zusammenschluß mit Tripolis nicht nur die sozialen Probleme lösen, die heimlichen Sehnsüchte der traditionalistisch-musel-manischen Bauern mit den stürmischen pan-arabischen Leidenschaften der Jugend aussöhnen und Tunesien auch nach seinem Tod noch eine starke Führung schenken werde. Nur so ist der unerwartete völlige Verzicht des Präsidenten auf sein Lebenswerk, die nationale Selbständigkeit Tunesiens, zu motivieren. Wie das mittelständische Bürgertum, das westlichen Idealen huldigt, auf den Einfluß des antiwestlichen und reaktionären el-Gaddafi reagiert, bleibt jedoch ebenso abzuwarten wie die Reaktion der sich bis auf die ihr verwehrte politische Mitsprache westlicher Freiheiten erfreuenden Jugend.

Gleichfalls sehr ernst zu nehmen sind die äußeren Widerstände. Algeriens Staatschef Boumedienne kann der Machtzuwachs für el-Gaddafi nicht recht sein. Er betrachtet sich selbst a^s nordafrikaniseh-west-arahisch-islamischen Führer und muß fürchten, daß sich der mit seinen Machtplänen zum erstenmal erfolgreiche Konkurrent in Tripolis mit der algerischen Opposition verbindet, um auch noch Algerien unter sein Zepter zu bringen. Für König Hassan von Marokko, der in el-Gaddafi seinen Todfeind sieht, signalisiert der Zusammenschluß noch akutere Gefahren. Auch für Ägypten ist die durch den Unionsplan eingeleitete Entwicklung an seiner Westgrenze nicht gefahrlos. Viele Ägypter mißbilligen, daß Präsident Mohammed Anwar es-Sadat den Fusionswunsch el-Gaddafis auf Eis gelegt hat. Auch in Kairo hat der feurige Libyer nicht wenige heimliche Anhänger. Besonders im Offizierskorps, das den Waffenstillstand am Suezkanal ebenso mißbilligt wie die Genfer Friedensverhandlungen, sieht man in dem Berufsoffizier el-Gaddafi die Reinkarnation Gamal Abdel Nassers als panarabischer Heros. Ihre Forderung, nach dem im Oktoberkrieg errungenen „partiellen Sieg“, der angesichts des tatsächlichen Frontverlaufes am Suezkanal und auf den Golan-Höhen allerdings eine eitle Selbsttäuschung ist. müsse man bis zum „Endsieg“ weiterkämpfen, deckt sich mit dem Verlangen el-Gaddafis nach dem „Verschwinden des zionistischen Staates“.

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