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Die Jahrhundertkatastrophe

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1984 werden in Afrika mehr Menschen dem Hungertod zum Opfer fallen als jemals zuvor. Doch nicht nur die dahinsiechende Sahel-Zone wird weiter der sich ausbreitenden Wüste Sahara weichen müssen. In diesem Jahr hat die Dürre auch den reichen Süden des Schwarzen Kontinents heimgesucht.

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1984 werden in Afrika mehr Menschen dem Hungertod zum Opfer fallen als jemals zuvor. Doch nicht nur die dahinsiechende Sahel-Zone wird weiter der sich ausbreitenden Wüste Sahara weichen müssen. In diesem Jahr hat die Dürre auch den reichen Süden des Schwarzen Kontinents heimgesucht.

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Afrika steckt in der wohl furchtbarsten Krise seiner Geschichte. Der schrecklichen Katastrophe begegnet man auf dem gesamten Kontinent, ob am Kap oder am Horn, ob im Süden oder Westen, ob in der immer trockenen Sahel-Zone oder in den klassischen Feuchtgebieten. Der Schwarze Kontinent stöhnt unter der schwersten Dürre dieses Jahrhunderts. Menschen sterben an Unterernährung wie die Fliegen, ganze Viehherden krepieren, ehemals fruchtbares Ackerland verkrustet.

Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen werden 26 schwarzafrikanische Staaten mit einer Bevölkerung von rund 150 Millionen Menschen von der Trockenheit erwürgt. Die Situation ist nach FAO-Chef Eduard Saouma „äußerst alarmierend":

War die Eigenproduktion von Getreide gegenüber 1981 um 3,5 Millionen Tonnen gesunken, hat sich die schon hohe Importabhängigkeit der 26 Katastrophenländer bei Grundnahrungsmitteln nahezu verdoppelt. 5,3 Millionen Tonnen Getreide - 1982/83 waren es noch 3,3 Millionen Tonnen — müssen eingeführt werden, wobei aber mindestens drei Millionen Tonnen aus Spenden stammen.

In der Sahel-Zone scheint die Lage hoffnungslos. Rund 6000 Millionen Mark — das sind 42 Milliarden Schilling — veranschlagen die beiden bundesdeutschen kirchlichen Entwicklungshilfeorganisationen „Misereor" und „Brot für die Welt", um den 32 Millionen dort ansässigen Menschen zu helfen.

In der Sahel hat es seit zehn Jahren kaum geregnet, seit zwei Jahren keinen einzigen Tropfen. Zwanzig Prozent der Viehbestände sind verendet, die Dörfer der einst wohlhabenden Bauern werden der Wüste preisgegeben.

Allein Senegal weist ein Getreidedefizit von 270.000 Tonnen auf. Doch nicht nur die furchtbare Dürre ist an den Tausenden Hungertoten schuld. Seit die senegalesische Regierung Lebensmittel verteilen läßt, produzieren die Bauern nichts mehr und ziehen selbst in die Städte. Daß es so gut wie keine Hirse, das Grundnahrungsmittel Afrikas, gibt, ist der totalen Vernachlässigung einer konsequenten Agrar- und Ernährungspolitik zuzuschreiben.

In Mocambique, wo die Trok-kenheit schon seit 1980 anhält, sind die Verluste verheerend. 300.000 Tonnen Getreide, 80.000 Tonnen Bohnen und Erdnüsse sowie eine Million Tonnen Manjok konnte man im letzten Jahr abschreiben. In der Bettlernation Mocambique, die schon bei halbwegs guten Wetterbedingungen 300.000 Tonnen Getreide importieren muß, waren Nahrungsmittelhilfen in der Größenordnung von 540.000 Tonnen notwendig.

Auch die reiche Republik Südafrika wird von der Dürre heimgesucht. Erstmals mußte der Apartheidstaat große Mengen an Mais einführen. 1983 wurden nur vier Millionen Tonnen Mais geerntet, heuer werden die Erträ-

ge noch weiter sinken - und das in einem Land, das noch 1981 seine Silos mit 15 Millionen Tonnen Mais füllen konnte.

Völlig hilflos gegen die Trok-kenheit sind die Bantustans, die sogenannten „Homelands", die schon in normalen Jahren kein Auskommen finden. Doch als Ausgeburten der südafrikanischen Apartheidpolitik haben sie keine internationalen Hilfsaktionen zu erwarten.

An der Grenze zwischen Mocambique und Südafrika wird der Hunger durch eine zusätzliche Dimension verschärft. Beide Nationen leben im ständigen Bürgerkrieg mit oppositionellen Befreiungsarmeen, zum einen mit der antimarxistischen „Resistencia National Mocambicana" (RNM), zum anderen mit dem „African National Congres" (ANC). Da auch die Guerilla wie die Zivilbevölkerung hungern, werden Lebensmitteltransporte regelmäßig überfallen. Internationale Organisationen schätzen die Hungertoten in Mocambique bereits auf über 100.000 Menschen, amtlich werden 7000 Opfer ausgewiesen.

Ganz vorne in der Liste der völlig verarmten Staaten Afrikas steht wieder einmal Äthiopien. Im ehemaligen italienischen Kolonialreich hungern etwa fünf Millionen Menschen — vor allem in den nördlichen Provinzen Eritrea, Ti-gre, Ollo und Gonda, die so gut wie keine Ernten einfahren konnten.

Unter der Präsidentschaft des Marxisten Haue Mariam Men-gistu erklärte die Organisation Afrikanischer Einheit (OAU) noch Anfang 1984 in Addis Abeba, daß die Lage zwar ernst sei, doch von einer weitverbreiteten Hungersnot nicht die Rede sein könne. Fünf Monate später sterben nach Schätzungen des Roten Kreuzes rund 40 bis 50 Prozent aller Kinder unter vier Jahren, die übrigen tragen schwerste Schädigungen an Gehirn und Muskulatur durch das PEM-Syndrom, einen andauernden Protein-Eiweiß-Mangel, davon.

Nicht einmal auf lange Sicht wird laut einem FAO-Bericht eine konsequente Hilfe möglich sein, denn Äthiopien steuert einer ökologischen Katastrophe entgegen. Auf dem äthiopischen Zentralplateau — 70 Prozent der Bevölkerung hat sich dort angesiedelt - wächst so gut wie kein Baum mehr, der den Boden vor der Erosion schützen könnte.

Hinzu kommt eine ähnliche Situation wie im Süden des Kontinents, die sich aber noch verstärkt offenbart: In zwei der vier Dürreprovinzen, in Eritrea und Tigre, herrscht nicht nur Hunger, sondern ein schon lange andauernder Bürgerkrieg. Mit Hilfe von Sowjets und Kubanern versucht Präsident Mengistu die Autonomiebestrebungen der Provinzen endgültig abzuwürgen.

Die ständigen Kämpfe zwischen Armee und Guerillas machen westliche Hilfsmaßnahmen, die seit Ende der siebziger Jahre massiv einsetzten, fast unmöglich. Es fehlt an Lastwagen, an sicheren Transportwegen und an Treibstoff, den die Armee hütet.

Das Katastrophenjahr 1984 bringt die Sünden der Vergangenheit ans Licht. Man hat in den „guten" Jahren verabsäumt, Nahrungsmittelhilfen durch agrarische Eigeninitiativen abzulösen, die landwirtschaftlichen Entwicklungsraten durch afrikanische Eigenanstrengungen zu erhöhen.

Doch die Dürre hält an, und ein Ende ist nicht in Sicht. Da hilft kein Jammern über versäumte Chancen zur Durchsetzung „echter Entwicklungshilfe". Das Motto der Stunde heißt Katastrophenhilfe: Die retten, die noch zu retten sind.

Die bundesdeutsche Fernsehanstalt ARD hat zusammen mit den kirchlichen Hilfsorganisationen, die den richtigen Gebrauch der Spenden kontrollieren, seit Ostern eine „Afrikahilfe" ins Leben gerufen. Drei österreichische Zeitschriften, ö 3 und die Caritas haben als Patenland ihrer Katastrophenhilfe Gambia in Westafrika gewählt.

Auch die österreichische Bundesregierung hat ihre entwicklungspolitischen Maßnahmen vergrößert. 355 Millionen Schilling stehen im Budget zur Verfügung. Nicht inbegriffen im Budget sind Soforthilfemaßnahmen — also Katastrophenhilfe, Nahrungsmittel- und Medikamententransporte vor allem nach M07 cambique, Äthiopien und Mauretanien —, deren verfügbare Mittel von jetzt nahezu 21 Millionen Schilling per Budgetüberschreitungsgesetz ausgeweitet werden sollen.

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