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Die Juden als Blitzableiter

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Ein Gespenst ist wieder aufgetaucht in Polen: der A ntisemitismus. Selbst der Führung ist das peinlich. Das einflußreiche Politbüromitglied, General Moczar, sah sich in der vergangenen Woche genötigt zu erklären:,, Wir werden das einfach nicht zulassen."

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Ein Gespenst ist wieder aufgetaucht in Polen: der A ntisemitismus. Selbst der Führung ist das peinlich. Das einflußreiche Politbüromitglied, General Moczar, sah sich in der vergangenen Woche genötigt zu erklären:,, Wir werden das einfach nicht zulassen."

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Einer der wesentlichsten Merkmale der polnischen Erneuerungsbewegung ist der Kampf gegen die Schatten der Vergangenheit, die Enttabuisierung von heiklen Themen, das Aufbrechen von Schweigezonen, die das Regime mit geistigen Stacheldrahtzäunen umgeben hatte.

So ist es kein Wunder, daß schon im Dezember vergangenen Jahres, nahezu unbemerkt von der polnischen Öffentlichkeit und den westlichen Massenmedien, in der KP-WJchenschrift „Poli- tyka“ ein Appell von Intellektuellen erschien, die Ereignisse von 1968 zu untersuchen und die damals von einer antisemitischen Welle Hinweggefegten zu rehabilitieren.

1968 hatte ein Machtkampf innerhalb der KP-Führung zu antisemitischen Ausfällen geführt.

Die damaligen Studentenunruhen, die sich an der Absetzung des Mickie- wicz-Dramas „Dziady“ entzündet hatten wurden am 10. März 1968 von der PAX-Zeitung „Slowo Powszechne“ (dem Organ der regimenahen Katholiken) „zionistischen Elementen“ in die Schuhe geschoben. Der damalige Parteisekretär von Warschau, Kespa, doppelte nach: Die Unruhen seien von „jüdischen Studenten“, die im Interesse des „internationalen Zionismus agierten“, entfesselt worden.

Gierek, damals noch Parteichef von Kattowitz, verurteilte ebenfalls auf einer Versammlung am 14. März den „Zionismus“; der damalige Parteichef Gomulka, wiewohl selbst mit einer Jüdin verheiratet, bot den in Polen noch lebenden Juden die Ausreise nach Israel an. „Nach Schätzungen verließen zwei Drittel der rund 50.000 noch in Polen lebenden Juden das Land bis zum Ende des Jahres.“ (Leslie: „The history of Poland since 1863, Cambridge Uni- versity-Press 1980)

Nicht immer freiwillig, denn eine wahre Hexenjagd hatte begonnen:

„Zionist konnte nur Jude sein, daher wurden fast alle in Polen lebenden Juden befragt. Sie wurden zu den Behörden bestellt und nach ihrer Einstellung zum israelisch-arabischen Krieg gefragt. Jede Antwort, in der Israel nicht ausdrücklich verurteilt wurde, galt als Beweis zweifelhafter Loyalität und hatte die Versetzung auf einen schlechteren Arbeitsplatz zur Folge. Da in Polen die Wohnung oft zum Arbeitsplatz gehört, mußten viele Juden feststellen, daß sie nicht nur ihre Stellung, sondern auch ihre Wohnung zu räumen hätten .. . Die Kampagne wuchs sich zu einem allgemeinen Angriff auf die Juden in Polen aus.“ (Bethell: „Die polnische Spielart“. Gomulka und die Folgen, Wien 1972)

Intellektuelle wie Schaff und Billig wurden aus dem ZK ausgeschlossen, Finanzminister Älbrecht gefeuert, Hochschulprofessoren und Journalisten entlassen.

Am Höhepunkt der Kampagne beteiligte sich der damalige Innenminister, Chef des Partisanenverbandes ZBOWID, General Moczar, besonders eifrig an ihr. Es steht heute freilich fest, daß Moczar kein „überzeugter“ Antisemit war, sondern die Strömung ausnützte, um Gomulka zu schaden und die Position des damaligen Parteichefs zu erschüttern.

Die Ereignisse von 1968 sind in der polnischen Jugend und auch bei den Intellektuellen unvergessen geblieben und wurden als „Schande“ der polnischen Kulturnation empfunden. Doch das

Thema blieb, nach Gomulkas Sturz 1970, auch in der Gierek-Ära tabu, wurde nicht „aufgearbeitet“.

Diese Möglichkeit bot sich erst, als die polnische Erneuerungsbewegung sich nach dem Erfolg von Danzig durchsetzte und schrittweise alle heiklen, aber totgeschwiegenen Themen der Vergangenheit aufs Tapet gebracht wurden. Der zuvor erwähnte Appell in der „Polityka“, die sich rühmlicherweise 1968 nicht an der antisemitischen Hetze als einzige der Partei-Publikation Polens beteiligt hatte, war ein Anfang.

Die Gedenkfeiern zum Jahrestag der Studentendemonstrationen von 1968 im Hof der Universität Warschau waren ein weiterer Schritt. Eine Tafel wurde eingemauert, auf der es heißt: „Hier wurde am 8. März 1968 eine Kundgebung von Studenten auseinandergetrieben, die die Freiheit des Wortes verlangten. Indem wir den Geschädigten durch diesen Akt Gerechtigkeit widerfahren lassen, mauern wir diese

Tafel zur Mahnung für die künftigen Generationen ein.“

Nur zwei Kilometer von der Universität entfernt, vor dem Gebäude des ehemaligen Sicherheitsministeriums, fand zur selben Stunde freilich eine antijüdische Kundgebung statt. Auf einem an die Mauer gestellten Plakat hieß es:

„An diesem Platz, in den Mauern des Gebäudes des Ministeriums für öffentliche Sicherheit, in dessen Verliesen in den Jahren 1949 bis 1954 polnische Patrioten und Kommunisten als Opfer des zionistischen Terrors verurteilt und umgebracht wurden, wird eine Tafel eingemauert werden - im Andenken an die Henker und als Mahnung für die kommenden Generationen der Polen.“

In mehreren Reden wurde bei dieser Kundgebung darauf hingewiesen, daß auch heute „Juden und Zionisten“ die Studenten manipulierten und sich auch in die „Solidarität“ eingeschlichen hätten, die doch einen „rein polnischen Charakter“ haben solle.

Organisator dieser Kundgebung war eine neugegründete Organisation „Grunwald“, in der sich genau jene Elemente wiederfinden, die schon 1968 an den antijüdischen Ausschreitungen beteiligt gewesen waren - wie Oberst Jan Cwujda oder der Journalist Gontarez.

Damit wurde nun auch Öffentlich, was seit Beginn der politischen Erneuerung schon gelegentlich aufgebrochen war - die Verteufelung der „Solidarität“ als „antipolnisch“ und Jüdischzionistisch“.

Zuerst waren vereinzelt auf „Solida- rität“-Plakaten Judensterne aufgemalt worden. Lech Walesa wurde in Wandschmierereien als „Judenknecht“ bezeichnet. Eine Zeitung „Die Flammen“ erschien - die die „Reinheit Polens“ forderte und die „Verderblichkeit des Zionismus“ beschwor.

Ein Dokument zirkulierte in Parteikreisen, das nachwies, daß Karol Mod- zelewski, Sprecher der „Solidarität“, zweifelsfrei ein Jude sei. Es wurde „entdeckt“, daß Adam Michnik, prominenter Dissident und nun inoffizieller Berater der „Solidarität“ Jude sei; ebenso Professor Litynski einer der Herausgeber der Untergrundzeitschrift „Robot- nik“ (= Der Arbeiter). Auch Andrzej Gwiazda (= Stern), Stellvertreter Wa- lesas in der „Solidarität“, wurde als Jude „entlarvt“.

Mit Recht entdeckten nun auch die westlichen Massenmedien dieses Wiederaufflammen des Antisemitismus in Polen. Sie mutmaßten, daß der polnische Sicherheitsdienst im Auftrag Moskaus diese Kampagne indirekt steuerte.

Zweck der Aktion: Den in Polen (ebenso wie in Österreich) latent vorhandenen „Antisemitismus ohne Juden“ (derzeit gibt es in Polen zwischen 5000 bis 8000) auszunützen und zu kanalisieren, ihn gegen die politisch unliebsame „Solidarität“-Gewerkschaft auszunutzen: zweifellos ein gefährliches und dem Image Polens abträgliches Spiel.

Parteichef Kania hat diese neuen antisemitischen Strömungen verurteilt und zuletzt ebenjener General Moczar, der sich 1968 des Antisemitismus ebenfalls bedient hatte.

In einem Interview für „Zychie Warszawy“ erklärte er jetzt: „Wir dürfen nicht die alten Konflikte aus politischen Gründen ausschlachten, weil es dem Wohl der Nation und des Staates entgegensteht.“ Er rügte zwar „tendenziöse westliche Kommentare über eine angeblich steigende antisemitische Welle“ in Polen, meinte aber: „Wir werden dies einfach nicht zulassen.“

Dieses Versprechen wird in Zukunft zu überprüfen sein.

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