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Die Jugend hat aus „Holocaust” gelernt

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Fünf Umfragen hat der ORF anläßlich der TV-Serie „Holocaust” in Auftrag gegeben, die in Kürze zusammengefaßt publiziert werden. Die letzte hat erst im Sommer stattgefunden und wird Aufschlüsse über die Langzeitwirkung geben. Die FURCHE präsentiert heute bisher unbekannte Ergebnisse, die vor allem ein signifikant positives Echo der Jugend auf diese Serie - wie bereits in FURCHE Nr. 17 auf Grund von Schülerzeitungskommentaren vermutet - beweisen.

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Fünf Umfragen hat der ORF anläßlich der TV-Serie „Holocaust” in Auftrag gegeben, die in Kürze zusammengefaßt publiziert werden. Die letzte hat erst im Sommer stattgefunden und wird Aufschlüsse über die Langzeitwirkung geben. Die FURCHE präsentiert heute bisher unbekannte Ergebnisse, die vor allem ein signifikant positives Echo der Jugend auf diese Serie - wie bereits in FURCHE Nr. 17 auf Grund von Schülerzeitungskommentaren vermutet - beweisen.

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Basis der von den Instituten Fessel und IFES im Auftrag des ORF durchgeführten ersten großen „Holocaust-Untersuchung waren Interviews mit 2600 Personen zwischen dem 4. und 8. März 1979. Wesentliche Resultate davon sind bisher nicht bekannt geworden, darunter interessante Abweichungen in der Meinung über diese Serie nach sozialen Gruppen, insbesondere aber nach Altersgruppen.

Zunächst fallt auf, daß 70% der Gruppe bis 19 Jahre zumindest eine der vier Folgen gesehen haben, sogar 72% der Gruppe bis 29, aber dann ein Abfall auf 52% bei den Uber-60jähri- gen festzustellen ist. 73% der „in Schulausbildung” Befindlichen haben zumindest eine Folge gesehen, aber nur 54% der Rentner oder Pensionisten. Daß die jüngere Generation nicht zu kurz kam, scheint auch daraus hervorzugehen, daß bei den Haushaltsstrukturen der Haushalt „mit Kindern unter 14 Jahren” an der Spitze hegt (62% dieser Gruppe haben zumindest eine „Holocaust”-Folge gesehen).

Regional war in Oberösterreich und Salzburg die geringste Seherbeteiligung zu registrieren (könnte mit der vorherigen Ausstrahlung in der BRD Zusammenhängen), in Wien die größte, wie überhaupt das Interesse mit der Größe des Wohnortes gewachsen ist.

Kaum überrascht, daß vor allem die Jugend und besonders die Schüler die Serie „geschichtlich interessant” einstuften, während bei anderen Altersund Berufsgruppen nicht mehrheitlich, aber häufiger die Meinung „bietet nichts neues” angekreuzt wurde.

Daß die Serie besonders (zu über 70%) von den Noch-nicht-30jährigen als „notwendig” eingestuft wurde (von der Gruppe „in Schulausbildung” sogar zu 77%), liegt auf der gleichen Linie.

Bezeichnend für die Verdrängung der Vergangenheit durch die ältere Generation und das Interesse der jüngeren waren die Ergebnisse der Frage, ob „Holocaust” im Bekanntenkreis ein Gesprächsthema war. Fast im gleichen Ausmaß, in dem unter der Jugend darüber gesprochen wurde (bis 19 Jahre: 60%), insbesondere unter Schülern und Studenten (65%), wurde unter den Senioren darüber geschwiegen (für 62% der Uber-60jähri- gen war „Holocaust” kein Gesprächsthema).

Mehrheitlich schweigsam war man auch unter den Frauen und unter Landwirten beziehungsweise in den Bundesländern, die das deutsche Fernsehen sehen können. Total gesehen war „Holocaust” für 49% der Befragten Gesprächsthema, für 50% nicht, und 1 Prozent machte keine Angabe.

Den Massenmord an den Juden halten 77% für erwiesen, 13% nicht. Diejenigen, die noch daran zweifeln, sind vor allem ältere Menschen,.Personen mit geringer Schulbüdung bzw. geringem Einkommen, Bäuerinnen (20%) und Bewohner der Bundesländer Steiermark und Kärnten (19%) bzw. von Städten über 50.000 Einwohnern, ausgenommen Wien. Am wenigsten zweifeln daran Maturanten, Schüler, Studenten, Haushalte mit Kindern unter 14 Jahren, Wiener, Tiroler und Vorarlberger. Wie Umfragen vor und nach der Ausstrahlung ergaben, ist die Zahl der Zweifler durch die Serie immerhin um 5% zurückgegangen.

Die Frage, wer in erster Linie schuld am Judenmord war, beantworteten relative Mehrheiten fast aber Personengruppen mit „Hitler”, nur die Hochschulabsolventen wählten mehrheitlich dieAntwortmöglichkeit „eine kleine Personengruppe”. Die Möglichkeit „die Nazis insgesamt” fand besonders in den bäuerlichen

Kreisen . Zustimmung, die weiteren Varianten - „alle, die davon wußten, aber nichts unternahmen” bzw. „die gesamte Bevölkerung”, also die Kollektivschuldthese - wurden noch am ehesten von jüngeren Personen bzw. von Gebildeteren und besser Verdienenden gewählt, aber insgesamt nur von einem Fünftel der Bevölkerung. Am ehesten tendieren die Wiener zur

Kollektivschuldthese, am wenigsten die Tiroler und Vorarlberger.

Soll ein Schlußstrich unter die Verbrechen der NS-Zeit gezogen werden? Die Bereitschaft, NS-Verbrechen nicht zu verfolgen, nimmt mit dem Alter zu. Rund 80% der Gruppen um 60 Jahre sind für den Schlußstrich, von den Unter-20jährigen nur 66%, von den Personen „in Schulausbildung” gar nur 57%. Regional gesehen sind die Tiroler und Vorarlberger am wenigsten, nämlich nur zu 65%, zu einem Schlußstrich bereit. Zu einem Schlußstrich sind auch die mehr Gebildeten und mehr Verdienenden weniger gern bereit. Der Prozentsatz derer, die keinen Schlußstrich ziehen wollen, ist durch die Serie übrigens um 7 Punkte größer geworden.

Was die Mitverantwortung der Österreicher an den NS-Verbrechen betrifft, überraschten die Antworten insofern (siehe Kasten Frage 21), als das Alter von 60 Jahren eine magische Grenze darzustellen scheint, jenseits derer plötzlich die Schuld mehrheitlich den Deutschen allein angelastet wird. Mehrheitlich den Deutschen allein gibt man freilich auch unter Landwirten, Bäuerinnen, Arbeitern, •in Städten über 50.000 Einwohnern (ausgenommen Wien) sowie in Kärnten und der Steiermark die Schuld. Auch hier brachte die „Holocaust”- Ausstrahlung eine kleine Korrektur in der Richtung, die Schuld weniger allein bei den Deutschen zu suchen.

Altersmäßig linear verlaufen die Antworten auf Frage 22 (siehe Kasten). Nach der gleichen Kurve sieht es beim Verdienst aus, Kleinverdiener sind fürs Vergessen, Großverdiener fürs Bewußtmachen solcher- Ereignisse, komplizierter ist es mit der Schulbüdung und dem Beruf der befragten Personen. Immerhin fallt auf, daß Selbständige und Freiberufler, Pensionisten und Rentner, Landwirte und Bäuerinnen eher dafür sind, „Gras darüber wachsen” zu lassen, Angestellte, Beamte, Hausfrauen und vor allem Schüler und Studenten aber mehrheitlich dagegen.

Besonders klar sprechen sich Familien mit Kindern unter 14 Jahren dafür aus, die damaligen Ereignisse bewußt zu machen.

Und das ist doch ein gutes Zeichen und gibt Hoffnung, daß die nächste Generation aus der Geschichte genug lernen wird, um nicht die leidvollen lind (verständlicherweise) gerne verdrängten Erfahrungen der Generation ihrer Eltern und Großeltern selbst nochmals machen zu müssen.

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