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Digital In Arbeit

Die Justiz der Medien

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„Die Journalisten sollen nicht Richter spielen!“ Die Österreichische Juristenkommission plädiert für eine strengere gesetzliche Regelung zwischen Justiz und Medien.

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„Die Journalisten sollen nicht Richter spielen!“ Die Österreichische Juristenkommission plädiert für eine strengere gesetzliche Regelung zwischen Justiz und Medien.

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Dürfen die Medien alles, was sie können oder schreiben, was sie wissen? Wo liegen die Grenzen zwischen elementarer Informationspflicht und blanker „Medienjustiz“? Sind die Journalisten nur bloße Erfüllungsgehilfen der Medien oder eigenständige und verantwortungsbewußte Mitarbeiter?

Jeder Rechtsstaat trennt zwischen dem Schutz des Persönlichkeitsrechts des einzelnen und den Interessen der Öffentlichkeit. Gerade die immer wieder vorkommenden Verstöße gegen das Amtsgeheimnis der Justiz zeigen aber, wie schwierig eine Trennung zwischen Justiz und Medien ist. Die demokratische Gesellschaftsordnung sieht in der journalistischen Arbeit eine wesentliche Aufgabe für die öffentliche Meinungsbildung. Denn die freie und ungehinderte Arbeit der Medienleute schützt den Staatsbürger vor einseitiger und willkürlicher Information der jeweiligen Obrigkeit.

In letzter Zeit wurde aber den Medien nichts Gutes nachgeredet. Böse Worte, wie „Medienjustiz“, „Medienwillkür“ und „Medienkampagne“ sind gefallen. -Eine Tagung der österreichischen Juristenkommission im April formulierte es genauer: Das Mediengesetz und die Selbstkontrolle der Presse (durch Presserat und Redaktionsstatuten) reichen nicht mehr aus, um den Persönlichkeitsschutz des einzelnen Staatsbürgers zu garantieren. Die bisherige Praxis habe gezeigt, daß beide völlig versagt haben. Sollte in absehbarer Zeit keine Änderung eintreten, müßte es zu einer Verschärfung des Mediengesetzes kommen, hieß es einhellig am Schluß der Tagung.

Die Antwort ließ aber nicht lange auf sich warten. Justizminister Harald Ofner winkte rasch ab: „Wir gehen nicht mehr hinter Kö-niggrätz zurück!“ Ofner bezog sich dabei auf die sogenannten „Lasser'schen Artikel“ der Strafgesetznovelle von 1862, die bis zur Einführung des neuen Medienrechts, Anfang 1982, in Österreich gültig waren. Diese untersagten der Presse unter Strafandrohung, eine Anklageschrift vor der Hauptverhandlung und Erörterungen über den Wert von Beweismitteln vor der Urteilsverkündung zu veröffentlichen.

Im neuen Medienrecht heißt es demgegenüber, daß „nur im Zeitraum zwischen Anklageerhebung bis zum Urteil in erster Instanz der Ausgang eines Verfahrens oder der Wert eines Beweismittels nicht in einer Weise erörtert werdendürfen, die den Ausgang eines Verfahrens beeinflussen können“.

D. h., daß der Grundsatz zu beachten ist, daß „als nicht schuldig zu gelten hat, wer nicht verurteilt ist“ (Unschuldsvermutung im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention).

Einer der Hauptbefürworter für eine Verschärfung des neuen Medienrechts ist der sozialistische Abgeordnete und ehemalige Sekretär des früheren Justizministers Christian Broda, Dr. Sepp Rieder.

„Ich bin kein Vertreter eines

Maulkorbes“, doch die „Journalisten sollen nicht Richter spielen“, meinte Rieder während der Tagung und sprach den Journalisten gleichzeitig das „Verdächtigungsund Bespitzelungsprivileg“ ab. Er habe nichts gegen intensive journalistische Recherchen, doch müßten sich diese streng im Gesetzesbereich vollziehen, dann sei nichts dagegen einzuwenden, erklärte Rieder.

Die große Gefahr des Journalismus heute liegt aber seiner Ansicht nach nicht in der Aufdek-kung von immer mehr Skandalen in unserem Land — dies sei nach wie vor notwendig —, sondern der Überheblichkeit einzelner Journalisten und Medien, die „alles selbst in die Hand nehmen wollen“.

Sie sehen sich gleichzeitig als Aufklärer, Ankläger und Richter, ohne die endgültige Entscheidung der Behörden abzuwarten.

Seit Watergate wurde der Journalismus um eine Facette reicher: Die intensiven Nachforschungen zweier Journalisten brachten eine politische Lawine ins Rollen — seither träumt jede jüngere Journalistengeneration von der Enthüllung eines „ähnlichen Falles“ — der „Enthüllungsjournalismus“ war geboren.

Seit den umfangreichen Aufdeckungen eines Alfred Worm im AKH-Skandal gibt es auch in Österreich einen „Watergate-Effekt“. Vom AKH über WBÖ, Causa Androsch und Proksch, Weinskandal bis Bundesländerversicherung ist seither ein reiches journalistisches Betätigungsfeld dazugekommen.

Als schlimmstes Beispiel dieser Art zitierte die Juristenkommission das Beispiel einer Wochenzeitschrift („Profil“), die ein Gerichtsurteil veröffentlichte, das eigentlich erst am Abend desselben Tages gefällt wurde. Der Angeklagte war damit schon im vorhinein von der Zeitschrift verurteilt worden, ohne die Entscheidung des Gerichts abzuwarten.

Jeder fragt sich hier nun, wie die Zeitschrift zuvor schon das Gerichtsurteil in die Hände bekam. Gibt es durchlässige Informationsquellen in den Reihen der Justizfunktionäre, die ihr Wissen eiligst bestimmten Medien weiterleiten? Hat das vielzitierte Amtsgeheimnis längst schon ausgedient? Wie kann dann noch unbeschränktes Vertrauen in die Arbeit der Justiz herrschen?

Rieder wirft den Justizfunktionären Laxheit und Gleichgültigkeit vor. Journalisten hingegen, die auf dunklen Wegen zu „heißen“ Informationen gelangen, können sich aber im Bedarfsfall auf das Redaktionsgeheimnis berufen und so jede Aufklärung über ihre Informationsquellen verhindern. Die derzeitige Gesetzeslage bietet einfach zuwenig Schutz vor derartigen Mißbräuchen des Amtsgeheimnisses, erklärte man einstimmig bei der Juristenkommission, deshalb fordert man eine baldige Änderung der Gesetzeslage.

Weil nach übereinstimmenden Erfahrungen auch der moralische Widerstand gegen die Verletzung des Amtsgeheimnisses zu schwach ist, muß es zu einer Verstärkung der Strafbestimmungen des Paragraphen 310 des Strafgesetzbuches (Verletzung des Amtsgeheimnisses) als auch zu einer Neuordnung von Paragraph 23 des Mediengesetzes (verbotene Einflußnahme auf ein Strafverfahren) kommen, erklärten die versammelten Juristen.

Die Medien hätten in diesem Punkt in letzter Zeit völlig versagt, sie hätten sogar eine Art „Paralleljustiz“ entwickelt, die den Ausgang eines Verfahrens ständig vorwegnehme. In manchen Fällen, so argumentierte Rieder kürzlich in einem Pressegespräch, sei eine regelrechte „Medienkampagne“ zu verzeichnen, die offensichtlich nicht der Intention der Leserschaft selbst entspreche, sondern nur den eigenen Interessen diene.

Ob es nun noch vor dem Sommer im Parlament zu einer Verschärfung des Medienrechts kommt, ist noch nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Sicher ist jedenfalls, daß der Bereich zwischen Justiz und Medien auch weiterhin eine heikle Angelegenheit bleiben wird. Die notwendige Medienberichterstattung aus dem Gerichtssaal als Ort der legalen Informationsquelle und dem Schutz des Amtsgeheimnisses bedarf noch gründlicher Diskussionen.

Die als notwendig erkannte und gesetzlich verankerte Pressefreiheit läßt sich offensichtlich nur sehr schwer gegen Mißbräuche schützen. Mit verschärften Strafandrohungen allein dürfte dem Problem nicht gänzlich beizukommen sein.

Es scheint dies der Preis der Freiheit zu sein, daß wir neben den unbestreitbaren Vorzügen der Pressefreiheit auch weiterhin mit unangenehmen Folgen des Mißbrauches zu leben haben.

Wohl zu keiner Zeit fiel es leicht, wahrhaftig zu berichten, aus der Vollmacht seines Gewissens heraus zu kommentieren. Die Fehl-barkeit eines jeden von uns, auch des sorgsamsten Journalisten, gehört auch in Zukunft zu unserem allgemeinen Schicksal.

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