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Die kalte Enteignung stellt sich vor

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Tausende österreichische Familien müssen ihre Haushaltsausgaben neu überdenken. Mit Jahresbeginn 1977 ist erstmals das eingetreten, was nach wie vor viele Steuerzahler für ein von bösen Buben oder gar von der Opposition an die Wand gemaltes Gespenst halten: Die jüngste Lohnrunde brachte zwar Lohnerhöhungen, die knapp über der Inflationsrate (1976 - 7,3 Prozent) lagen, was aber nur eine rein optische Angelegenheit ist. Denn die Lohnerhöhungen werden auf die Bruttobezüge berechnet. Bedenkt man aber, daß die Sozialversicherungsbeiträge in den mittleren Einkommenskategorien um rund 15 Prozent stiegen, bedenkt man weiters, daß auf Grund der progressiven Lohnsteuer für erhöhte Löhne die Steuern nicht proportional, sondern geometrisch steigen, dann weiß man auch: Reale Einkommenseinbußen sind längst an der Tagesordnung, Hannes Androsch beginnt, am Lebensstandard der Familie Österreicher herumzuknabbern.

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Tausende österreichische Familien müssen ihre Haushaltsausgaben neu überdenken. Mit Jahresbeginn 1977 ist erstmals das eingetreten, was nach wie vor viele Steuerzahler für ein von bösen Buben oder gar von der Opposition an die Wand gemaltes Gespenst halten: Die jüngste Lohnrunde brachte zwar Lohnerhöhungen, die knapp über der Inflationsrate (1976 - 7,3 Prozent) lagen, was aber nur eine rein optische Angelegenheit ist. Denn die Lohnerhöhungen werden auf die Bruttobezüge berechnet. Bedenkt man aber, daß die Sozialversicherungsbeiträge in den mittleren Einkommenskategorien um rund 15 Prozent stiegen, bedenkt man weiters, daß auf Grund der progressiven Lohnsteuer für erhöhte Löhne die Steuern nicht proportional, sondern geometrisch steigen, dann weiß man auch: Reale Einkommenseinbußen sind längst an der Tagesordnung, Hannes Androsch beginnt, am Lebensstandard der Familie Österreicher herumzuknabbern.

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Noch am 25. November 1976, einen Tag nach einer Pressekonferenz des ÖVP-Sozialprechers Herbert Kohlmaier, der die zu erwartenden realen Einkommenseinbußen . der Rentner und Pensionisten aufgezeigt hatte, ließ die „Sozialistische Korrespondenz” folgende Phantasie-Meldung über die Fernschreiber rattern: „Auch 1977 wird die Erhöhung der Pensionen deutlich über der erwarteten Steigerung der Preise liegen. Die Pensionserhöhung mit sieben Prozent (die Preissteigerungen werden mit 6,2 Prozent angenommen) sei diesmal geringer, weil sich in dieser Richtzahl nun die wirtschaftlichen Rückschläge des letzten Jahres zwangsläufig auswirken.” Dies erklärte SPÖ-Sozialex- perte Abgeordneter Schranz zu einem Zeitpunkt, da unzweifelhaft feststand, daß sich der Jahres-Inflationswert nicht mehr auf 6,2 Prozent, sondern nur über sieben Prozent einpendeln konnte (der Verbraucherpreisindex stieg tatsächlich um 7,3 Prozent).

Inflation nicht mehr abgegolten

Kohlmaiers Aufschrei vom 24, November: 1977 wird den Pensionisten erstmals nicht einmal mehr die Inflation abgegolten. Bei einer Erhöhung der Pensionen um sieben Prozent (brutto) ging unter Berücksichtigung der Inflation der reale Wert der Pension bereits um 0,28 Prozent zurück! Was nun nach ÖVP-Hofberichterstat- tung ausschaut, ist schlicht und einfach wahr: In den Jahren 1966 bis 1969 nahmen die Pensionen real um 4,7, um 3,9, dann um 3,5 und schließlich um 3,9 Prozent zu. Von 1970 bis 1976 lauteten die Werte: 1,0 - 2,3 - 1,0 - 1,3 - 0,8 - 1,6 und 3,7 Prozent.

Kabarettreife Dinge spielen sich aber erst in jenen Pensionskategorien ab, die in der Nähe des Existenzminimums liegen. Vorerst unterscheiden wir zwei Fälle: Im ersten Fall liegt ein Pensionist mit seiner Pension unterhalb des Existenzminimums, bekommt dann eine Ausgleichszulage bis zur Höhe des Existenzminimums und braucht davon natürlich keine Steuer zu zahlen. Im zweiten Fall bekommt ein Pensionist aus eigener Leistung (ohne Ausgleichszulage) den selben Betrag, womit er bereits erstmalig in die Steuerprogression hineinrutscht und Steuern zahlt. Der Ausgleichszulagenbezieher hingegen ist durch einen Erlaß des Finanzministers davon ausgenommen. Für eine Pension von 4090 Schilling (das entspricht dem für ein Ehepaar angenommenen Richtsatz für die Hinzurechnung der Ausgleichszulagen) müssen heuer 148,70 Schilling Steuer bezahlt werden.

Das Groteske daran ist, daß der Staat einerseits ein soziales Minimum festlegt, auf der anderen Seite aber jenen, die dieses soziale Minimum gerade erreichen, durch die Steuer wieder etwas wegnimmt. Der Staat überläßt damit seinen Bürgern nicht einmal mehr, was er selbst als lebensnotwendig anerkennt, wie es Herbert Kohlmaier ausdrückt. Diese Groteske bedeutet schließlich, daß ein 4090- Schilling-Pensionist heuer real sogar um etwa zwei Prozent (!) weniger verdient als im Vorjahr.

Nun aber zu Hannes Androschs Gruselkabinett der Progressionsschrauben, das vorzustellen, bisher interessanterweise fast ausschließlich den Kommunisten Vorbehalten blieb, die am 17. Oktober 1976 verlauten ließen, im zweiten Quartal 1976 seien die Bruttoeinkommen durchschnittlich um 8,3 Prozent gestiegen: „Das ist unter Berücksichtigung der höheren Lohnsteuerabzüge eine Nettosteigerung der Löhne und Gehälter von 6,5 bis 7 Prozent. Die Preiserhöhungen in der gleichen Zeit betrugen aber 7,6 Prozent.”

Nun ein ganz konkretes Beispiel aus dem Österreich des Jahres 1977: Nehmen wir an, ein mittlerer Verdiener bekommt auf Grund der jüngsten Lohnrunde monatlich 12.960 Schilling statt wie früher 12.000 Schilling. Rechnen wir die Lohnerhöhungen von den Bruttosummen aus, wie es wohlmeinende Gewerkschafter weiterhin tun, so ergibt sich eine Erhöhung um acht Prozent. Berücksichtigen wir aber, daß im konkreten Fall der Sozialversicherungsbeitrag von 1314 Schilling auf 1520.25 Schilling angestiegen ist (also um’15,7 Prozent), und berücksichtigen wir auch, daß der Steuerabzug (Annahme: Familie mit zwei Kindern) von 1241.70 auf 1491.90 Schilling angewachsen ist (um fast 20 Prozent!), so zerrinnt die achtprozentige Lohnerhöhung im Nichts. Denn netto berechnet bleiben 9947.85 Schilling über, während es beim 12.000- Schilling-Lohn des vergangenen Jahres 9444.30 Schilling waren. Der Net- to-Lohn ist also um 503.55 Schilling gestiegen, was einer Erhöhung um 5,33 Prozent entspricht.

Von der Lohnerhöhung bleibt weniger als nichts

Ziehen wir von dieser 5,33-Prozent- Erhöhung noch den Kaufkraftverlust entspreehend der Steigerung der Verbraucherpreise ab, dann stecken wir bereits in den roten Zahlen: Der 12.000-Schilling-Verdiener mit vierköpfiger Familie bekommt heuer bereits um rund zwei Prozent real weniger. Und das ist kein Einzelfall. Zumal die angenommene Lohnerhöhung um acht Prozent bei der jüngsten, eher schaumgebremsten Lohnrunde eine durchaus repräsentative Marke war. In tieferen und höheren Einkommenskategorien waren auf Grund der Progression durchwegs reale Einkommenseinbußen zwischen ein und drei Prozent zu verzeichnen.

Die Mähr vom reduzierten Lebensstandard war eine Mähr. Während rosarote Wirtschaftsforscher in rosaroten Wachstumsraten schwelgen, während Beschwichtigungshofräte beschwichtigen, müssen die Steuerzahler immer mehr Steuern zahlen. Und den Gürtel vorerst um ein Loch enger schnallen.

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