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Die Kamera auf der Bühne So ein Theater: kein Tag ohne

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Rheater im Theater, Vorderbühne, Vorspiel. Eine fotografische Apparatur mit dem großen Auge des Zyklopen tritt auf. Darunter ich als Mike Martens, wissenschaftlicher Fotograf in Götz Löpelmanns Stück „Darwins Reise”. Damals, bei einer meiner ersten größeren Rollen Ende der 70er Jahre im Studententheater im Fribourg, war Schauspieler und Fotograf noch in Personalunion, die zukünftige Perspektive für das eine oder andere noch unentschieden. Das Letztere nahm in den 80er Jahren überhand, auch wenn die „schauspielerischen” Eskapaden bis heute u. a. in Kunstaktionen und Performances fortgesetzt werden.

Die Rolle damals als Fotograf jedenfalls war die Initialzündung zur Theaterfotografie. Indem ich die auf der Bühne benutzte Kamera mit einem Film bestückte, statt wie üblich nur so zu tun, als ob man fotografieren würde, entstanden Bilder von szenischer Prägnanz und Eindringlichkeit. Diese Bilder wurden aus der Inszenierung geboren und nicht im nachhinein ab-gekupfert. Die Entdeckung der Theaterfotografie von der Bühne statt vom Zuschauerraum aus bildete meinen Hintergrund, pathetisch ausgedrückt: die Initiation. Sie zwingt mich bis heute zu einem eher dramaturgischen, bühnenimmanenten Blick. Während andere Fotografinnen sich in die Souffleurkastenperspektive drängen lassen und die Szene vom gleichen Ort in Froschperspektive abfotografieren, um die stadtbekannten Lokalbühnenhelden zu Provinzgöttern zu krönen (theaterfotografischer Mythos: die wichtigsten Leute gehören in der wichtigsten Szene optimal ins Bild gesetzt), versuche ich das Theatergebilde als im mindesten dreidimensionales, künstlerisches Schaffen zu begreifen, dessen Emanationen einen Raum umschreiben. Und weil Theater nicht wie auf einem Computerprogramm gedreht und gewendet werden kann, liegt es an mir, mich schwarzgekleidet und geräuschlos der Szene anzupirschen und auf die Lauer' zu legen, um ein Bild herauszustehlen. Dieser szenische Diebstahl des einsamen Einmannbetriebes bleibt unentdeckt. Erstaunlicherweise bin ich bei der ersten Visionierung eines Stücks meist gespannter, was sich irgendwie auch in den Fotos ausdrückt. Sehe ich ein Stück zum zweiten oder dritten mal, warte ich stets auf die erinnerten Höhepunkte und - verpasse sie, weil ein Stück nie zweimal gleich gespielt und bis zur Derniere nicht ,fertig' wird. Deshalb scheinen mir Kino und TV-Filme aufgrund ihrer Fixfertigküche oftmals so langweilig.

Der Theaterfotograf ist einer der ersten in das neue Produkt einzuweihenden Zuschauer. Einer zudem, dem das Produkt möglichst premierenrichtig serviert sein soll, obwohl die Fototermine meist zu früh angesetzt sind und deshalb die Regie und das Ensemble auf Nachsicht wegen Wartezeit, Requisitenprovisorien und Probechaos beim Fotografen hoffen (Ich plädiere in der freien Szene dafür, bloß wenige Pressebilder herzustellen und erst in der dritten oder vierten Aufführung die eigentlichen Dokumentationen zu erstellen). So bin ich also mit einem gespannten, unbefangenen und dennoch (meist - leider - für Programmhefte, Plakate und Presseankündigungen) determinierenden Blick dabei, bin ein Kritiker, ein Ins-Bild-

Rücker, ein Szenenausschnei-der, ein Ausschnittwähler, ein Rechtecker, ein die Sprache Verstoßender, ein Szenende-stillierer, ein Höhepunktraffer, ein Entscheidungsmoment-verpasser.

Theater im Theater, Werkanalyse, entr'act.

Die Metainszenierung liefert der Fotograf. Er schließt das eine ein, das andere aus, verdichtet Dichters Worte, gibt der nebensächlichen Charge Schärfe, schneidet Bezugspersonen weg, verkürzt Weiten und Winkel, gefriert Bewegungen, zoomt und verdampft Sehdistanzen, reduziert den Panoramablick auf optische Zwei-dimensionalität (der Cinemascopeeffekt wird im Theater viel zu wenig genutzt, obwohl er gerade in diesem Medium

Wunder vollbringen könnte). Kurz: Regie vor und hinter der Kamera, in der Lichtkammer des Theaters und im Bühnendunkel der Apparatur. Bei kooperativer Praxis ist sogar gegenseitige Befruchtung möglich.

Fotografie und Theater haben einiges gemeinsam. Das künstliche Licht der Wirklichkeit erhellt die Bühne der Illusionen. Theater wie Fotografie spiegeln Tatsachen vor, beteuern die Realität und erfinden immer neues Leben aus zweiter Hand wie in Piatons Höhlengleichnis. Die leere Theaterbühne entspricht der leeren Negativbühne, der theatralische Guckkasten dem fotografischen Klickkistchen. Der Verschluß ist der eiserne Vorhang, Tageslicht und Kunstlicht sind vertauscht. Die Bühnentechnik zaubert mit Rückwänden, Prospekten und Staffagen aus dem Bühnenturm perspektivische Dimensionen, die Kamera operiert mit Tiefenschärfe, Brennweite und Fokus. Die Ergebnisse sind ähnlich: Illusion der Wirklichkeit im Verhältnis 1:1 und 1:200. Im einen Fall eingeteilt in Akte, Szenen und Aufzüge, im andern Fall in drei dutzend Mikroweiten im Format 24x36 Millimeter, Mikro-dramen in der Länge zwischen einer 500stel bis zur achtel Sekunde, ob es dem Stückinhalt paßt oder nicht. Und je nach Wachsamkeit des Zyklopenauges und nach ästhestischem Overkill durch die dramatis personae - wie in einer zeitgenössischen Performance ohne inhaltliche Absprache - ein vorläufiges Ende, ein Partitur-, ein Filmwechsel, der, wenn möglich, nicht länger als 20 Sekunden dauern soll, damit kein gewichtiger Moment verpaßt ist. Während das Theater Ausschnitte aus dem Leben spiegelt, muß sich die mickrige, mit Silberhalogenidkristallen ausgeschlagene Bühne von scharfem Licht ausfressen lassen, muß sich dennoch mit allen Färb- und Graunuancen von Stoff, Fleisch und Schrei stopfen, ohne das Augenzwinkern zu vergessen. Kein Wunder, daß die Theaterfotografie das synästhetische Gesamtwerk eines Schau- und Hörspiels nur unzureichend und verkümmert wiedergeben kann.

Theater im Theater, Prozeßanalyse, entr'act.

Egal mit welcher Kamera, Theaterfotografie ist die auf Optik verkürzte chemotechni-sche Flachversion des Fotografietheaters: sehen, wahrnehmen, Bild wählen, (Auto)fo-kussieren, verfolgen, den Rundblick der Nebenschauplätze eliminieren, die Kombination von Blende und Zeit manipulieren, integral die Meßwerte eruieren, mittenbetont speichern, gegen die Auslösungsangst im ruhigen Spielmoment kämpfen, dennoch den Verschlußvorhang möglichst sanft auslösen, den Filmpart um eine Einheit transportieren, später in der fotografischen Dunkelkammer die in ausgeklügelter Bauweise, che-motechnisch gelagerte, lichtempfindliche Emulsion im 24-Grad-Celsius-Entwickler 10 Minuten baden, das Bild aus der Latenz ins Tageslicht holen, fixieren, staubfrei trocknen, in

Streifen zu sechs in die Archivhüllen stoßen, dann endlich die Negative mustern, begutachten, auf ihre Einmaligkeit und dramaturgische Kristallisationskraft hin durchleuchten, einige Pars pro toto auswählen, vergrößern, wieder baden in Entwickler, Stopper, Fixierer, Wasser, durch die heiße Trockenpresse quetschen, mit Copyright stempeln, an die Auftraggeber verschicken. Dann wird die fotografische Miniatur weiter malträtiert, wird verkauft, beschnitten, in der Öffentlichkeit bloßgestellt, mißbraucht, herumgereicht und befingert, für den Moment geliebt, bald vergessen, wird fleckig, vergammelt. Die Fressefotografie ist wahrlich eine Hure, die Lulu der Medien.

Es gibt Puritaner der Theaterfotografie, die auf schwarzweiß Fotos schwören. Dabei verkennen sie ganz gewaltig, daß Licht immer Farbe ist. Die Verwendbarkeit ist eine andere Frage. Doch im Sinne einer umfassenden Dokumentation der Theatermaschinerie (Dramaturgie, Bühnenbild, Spielanlage, Kostüme, Lichtregie sind ebenso als wichtige Bestandteile wie der Text und die den Text sprechenden und den Metatext spielenden Personen zu begreifen) gehört die techisch komplexere und finanziell aufwendigere Ergänzung dazu. Die Dokumentation der Gegenwart ist das Forschungs- und Erinnerungsgebiet der Zukunft.

Da dürfen sich dann alle freuen, ob das Stück durchfiel oder ein cum laude verdiente; der Fotograf kennt seine Macht der Fälschung: auch ein schlechtes Stück kann er gut und spektakulär fotografieren. Die Gewähr, ein gutes Bild impliziere eine gute Produktion, gibt es nicht. Der Leistungsbeweis kann sehr einseitig sein.Doch keine Bilder, seien sie noch so aseptisch und hochglänzend hergestellt, entheben vom Gang ins Theater. Jede Besucherin sieht das andere, das vorher -auch durch den Fotografen -nicht gesehene, jeder Besucher will dorthin, wo der Schweiß angesichts der Anstrengung in den Achselhöhlen tropft, wo die Spucke ins Parkett spritzt, wo der Fundusmief durch die Nasen weht, wo unvorhergesehen eine Maus über die Bühne trippelt, wo der Beifall und die Buhrufe den Skandal begründen und nicht nach Was-sergeplätscher wie im Hörfunk tönen, wo das Spiel in Echtzeit läuft und nicht vi-deomässig be- und verschnippelt und von Pausen und Räuspern befreit wird. Das ist die Aura des Theaters, die Einsichten ins Ich gewährleistet und die Phantasie nicht am eisernen Vorhang abprallen läßt.

So ist auch mir bei jedem Bild bewußt, daß noch so viele gelungene Bilder keinen Theaterbesuch erübrigen, aber, und auch das ist tröstlich, immerhin die Erinnerung an denselben nähren. Die Bilder setzen, je älter sie sind, Bedeutung an.

Theater im Theater, Hinterbühne, Nachspiel

Der Schwierigkeit, aus weit über 100 Produktionen freien Theaterschaffens der Schweiz (ausgenommen sind die Truppen, die sich vorwiegend mit Kinder- und Jugendtheater beschäftigen ) eine Zusammenstellung zu machen, die aktuell ist und zugleich Rückschau halten kann, bin ich dadurch begegnet, daß ich mich entschloß, einige ausgewählte Gruppen in ihrem Theaterschaffen integral zu zeigen. Damit sei ihre Kontinuität, Beständigkeit und Beharrlichkeit unter Beweis gestellt, womit sie die Szene in kritischem Schwung behalten.

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