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Die Karriere eines Verbrechers

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„Die menschliche Psyche ist in Wirklichkeit nicht zu erforschen“; irgendein Psychologe soll das einmal gesagt haben. An diesen Satz wird man unwillkürlich erinnert, wenn man sich nach den Ursachen des geradezu riesigen Interesses fragt, das der jüngste Hitler-Film erregt, ein Interesse, das durch die zahllosen Kommentare in den Massenmedien natürlich noch verstärkt wird. Es hat auch bisher kaum einen historischen Film gegeben, der so unterschiedlich beurteilt wurde wie dieser, und es scheint mir als „Zeitgenosse“ - nicht zu verwechseln mit „Parteigenosse“ - zweckmäßig, einiges dazu zu sagen.

Zunächst ist festzustellen, daß es sich um eine - technisch ausgezeichnet gemachte - Filmmontage handelt, denn keine einzige der gezeigten Szenen ist gestellt. Alles stammt aus vorhandenem Filmmaterial, zu 99 Prozent aus den ehemaligen deutschen Wochenschauen. Das allein zeigt eine Schwäche dieses Filmes auf, über eine andere wird noch zu reden sein. Die Schwäche ist darin zu sehen, daß die deutschen Wochenschauen zwischen 1933 und 1945 nicht objektives Berichtsmaterial, sondern ausschließlich Propagandamaterial gewesen sind. Ihre Herstellung unterlag einer strengen Zensur. Logischerweise zeigt der Hitler-Film daher im wesentlichen - vor allem dort, wo es sich um die Hauptperson handelt - nur „gute“ Bilder und Szenen. Der dazu ständig gegebene Sprechkommentar vermag daher nur teilweise, gewisse „positive“ Eindrücke richtigzustellen. Was gezeigt wird, ist historisch wahr, aber weitgehend nur die halbe Wahrheit und die ist bekanntlich gefährlicher als die Lüge.

Anderseits: Was wäre, im Rahmen dieser halben Wahrheit, authentischer als die Wiedergabe dessen, was wirklich geschehen ist? Die Frage, die sich zunächst daraus ergibt, ist eben die, ob dieser Film eine negative politische Wirkung im Sinne eines sogenannten Neonazismus hat Ich möchte das verneinen. Ich glaube, daß die Menschen von heute ganz anders denken als vor 40 Jahrerj und erfahren genug sind, um sich von einer hypertrophen Propaganda nicht mehr täuschen zu lassen. Dazu kommt noch etwas: Der Film versucht, so gut es ein Zweiein- halb-Stunden-Streifen eben kann, ein Buch wiederzugeben, das immerhin fast 1000 Seiten hat. Das ist schlechterdings fast unmöglich, und darum ist dieser Film auch nur dann richtig zu verstehen, wenn man das Buch „Hitler“ von Joachim C. Fest vorher gelesen hat.

Dieses Buch ist ohne Zweifel die beste zeitgeschichtliche Darstellung der NS-Zeit, die überhaupt geschrieben wurde. Die sogenannte NS-Literatur ist ungeheuer umfangreich. Aus den vielen, ausgesprochen neonazistischen Pamphleten, nichtssagenden chronologischen Indexen und anderen „literarischen“ Darstellungen ragt das Werk von Fest turmhoch heraus.

Neben dem Buch Von Fest gibt es nur noch einige wenige andere Werke, die als gut zu bezeichnen sind. So das erste Buch von Speer „Erinnerungen“ und das Werk von Langbein „Menschen in Auschwitz“; sie bemühen sich um Objektivität und vermitteln damit dem Leser die ganze schreckliche Wahrheit der NS-Zeit, ohne auch nur mit einem einzigen Wort nach Rache und Vergeltung zu schreien.

Kann man also den Besuch des Hitler-Filmes dem Publikum empfehlen? Eine völlig überflüssige Frage, weil dieser Film sowieso ein cineastischer Kassenschlager ist. Aber abgesehen davon, glaube ich, sollte man sich diesen Film ansehen, weil er sehr viel zur Klarstellung und historischen Forschung im objektiven Sinne beiträgt. Ich sage das, obwohl es auch, wie schon erwähnt, manches zu kritisieren gibt.

So wie das Buch von Fest hat auch sein Film eine bedeutende thematische Schwäche. Buch und Film zeigen den Nationalsozialismus, seine Entstehung, Entwicklung und sein Ende ausschließlich und unmittelbar an der Person Hitlers. Sein Aufstieg „aus dem Nichts“, seine fast unbegreifliche persönliche Ausstrahlung, aus der auch die totale und blinde Ergebenheit seiner Mitarbeiter und Anhänger zu erklären ist, seine Skrupellosigkeit in der p Taktischen Handhabung der Politik, geboren aus dem totalen Mangel eines moralischen Bewußtseins, seine, von ihm wahrscheinlich sehr gepflegte, völlige Unkenntnis der politischen und militärischen Situation außerhalb seines Machtbereiches und schließlich sein geistiger Verfall, der im übrigen von Goebbels schon lange vor der nationalsozialistischen Höllenfahrt bemerkt wurde, sind der rote Faden, der sich durch die Darstellungen von Fest und damit auch durch den Film hindurchzieht.

Buch und Film lassen aber eine we sentliche Komponente der Hitler- schen Weltanschauung viel zu kurz kommen: Es ist die Wahnsinnsidee der sogenannten „Rassenlehre“, das, was man im Anfang der NS-Zeit die „Judenfrage“ und später die „Endlösung“ nannte. Natürlich wird einiges davon sowohl im Buch als auch im Film erwähnt. Aber was darüber zu lesen und zu sehen ist, muß dem Leser bzw. Zuseher so vorkommen, als wäre die Ermordung von fast sechs Millionen Menschen in den Gaskammern der Vernichtungslager nur ein schreckliches Beiwerk des Nationalsozialismus und nicht eines seiner wesentlichen Grundprinzipien gewesen. Die weni gen Aufnahmen, die der Film darüber zeigt, sind entsetzlich. Aber sie erscheinen gewissermaßen nur als ein unvermeidbarer Einschub in ein anderes Thema.

Diesen Eindruck hatte man schon vom Buch; er wird im Film, der alles nur gewissermaßen in einer Zeitrafferdarstellung zeigen kann, noch wesentlich verstärkt und das ist, neben seiner historischen Unrichtigkeit, gefährlich.

Ich erinnere mich dabei eines Gespräches, das ich, getarnt als Auslandsjournalist, mit anderen Auslandsjournalisten beim Parteitag 1937 in Nürnberg geführt hatte. Damals sagte einer meiner „Kollegen“ - ich glaube, es war ein Engländer - zu mir, daß es schrecklich sei, wie sehr die Menschen anläßlich eines solchen, szenisch grandiosen Festes die Judenverfolgung vergessen können. Und das 1937, wo die totale Vernichtung der Juden und - man soll das auch nicht vergessen - unzähliger „arischer“ Gegner des Nationalsozialismus zwar schon geplant, aber noch lange nicht in die Tat umgesetzt war! Im Film wird man, wie gesagt, zwar kurz daran erinnert, aber es fehlt fast jede Beziehung zum Filmthema und wird gleichsam nur als eine unerläßliche, beinahe möchte ich sagen lästige Ergänzung gebracht.

Der Zeitpunkt des Erscheinens dieses Filmes gibt auch noch Anlaß zu anderen Überlegungen: Uber die Bundesrepublik Deutschland bzw. ihre inneren Verhältnisse ist im Frühjahr dieses Jahres eine Welle internationalen Mißtrauens hereingebrochen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht fast in der gesamten Weltpresse irgendeinen Bericht über neonazistische Strömungen in der Bundesrepublik lesen kann. Die Grundlagen dazu liefern einige Exzesse rechtsextremistischer Kreise. Daß es sich dabei um verschwindend kleine Gruppen handelt, denen man wegen ihrer zahlenmäßigen Schwäche nicht einmal den Titel einer „Minderheit“ geben kann, wird offensichtlich verschweigen.

Wenn solche kriminelle Einzelfälle auftreten, wird ihnen aber erst durch eine entsprechende Publizistik ein Erfolg bereitet, den sie sonst nicht hätten. Das zumindest hätte man von Goebbels lernen können, daß die wichtigste Waffe gegen einen politischen Gegner das Totschweigen ist. Auch : Herr Brandt müßte das wissen! Sein Brief an Bundeskanzler Helmut Schmidt über die Gefahren, die der Bundesrepublik angeblich von dieser Handvoll rechtsextremistischer Grüppchen drohen, hat erst der Sache gewissermaßen einen offiziellen Anstrich verliehen. Er hätte lieber über die Gefahren schreiben sollen, die der Bundesrepublik tatsächlich von den Linksextremisten drohen.

Hier liegt die wirkliche Gefahr für die wiedererstandene deutsche Demokratie! Wenn man erfahren muß, wie hilflos die deutsche Rechtssprechung und die Justizverwaltung den gutorganisierten Kreisen der Terrorbanden gegenüberstehen, muß einen echte Sorge erfassen. Das Empörendste dabei ist die Art des Strafvollzuges, die einem Zwangsaufenthalt in einem erstklassigen Hotel entspricht.

Noch etwas ist im Zusammenhang mit Buch und Film von Fest zu sagen. Sieht man von den erwähnten Schwächen dieser Darstellungen ab, so sind beide jedenfalls wertvolle Beiträge zur Zeitgeschichte. Zeitgeschichte ist aber in unseren Schulen ein Stiefkind. Das war sie eigentlich schon immer. Ich erinnere mich, daß der Geschichtsunterricht zu meiner Zeit im Gymnasium im wesentlichen mit dem Jahr 1848 abschloß und alles, was sich später bis zum Ersten Weltkrieg in und um Österreich ereignete, wenn überhaupt, so nur sehr oberflächlich behandelt wurde.

Ich weiß nicht genau, bis zu welcher Zeit sich heute ein ausführlicher Geschichtsunterricht in den höheren. Schulen erstreckt. Aber es ist bekannt, daß die Zwischenkriegs- und die NS- Zeit jedenfalls nicht mit der Vollständigkeit behandelt werden, die notwendig wäre, um der Jugend von heute ein objektives und halbwegs umfassenden Bild über diese, für unsere Tage so wichtigen geschichtlichen Ereignisse zu vermitteln. Dieser Fehler sollte schleunigst gutgemacht werden!

Daher sind Buch und Film zu empfehlen - ich sage es noch einmal -, weil sie trotz der aufgezeigten Mängel den Menschen von heute und hoffentlich auch in der Zukunft vorführen, wohin die Menschheit geraten kann, wenn Macht ohne Moral die Grundlage der Politik bildet.

Die Gespenster kommen nicht zur Ruhe. Was seit Jahrzehnten für tot, erledigt, zur ganz und gar bewältigten Vergangenheit erklärt wird, verhält sich nicht so, wie es soll. Auf der einen Seite die Filme über Hitler und den Nationalsozialismus und eine Flut von Schallplatten und Büchern, die zu einem erheblichen Teil sehr unkritisch - dafür aber mit großem kommerziellem Erfolg! - schildern, was so viele Menschen früher, in einer weniger euphorischen Form, niemals akzeptieren wollten. Daneben aber, wieder aufgeführt, die „harten“ Filme über den Zweiten Weltkrieg, die Judenausrottung und KZ-Greuel nicht aussparęn - auch sie finden ihr Publikum. Offenbar auch die internationalen Reaktionen, wie weh die im Zeichen der Völkerverständigung und des Wiederaufbaus nach dem Krieg vernarbten Wunden offensichtlich noch tun. Welche Emotionen noch vorhanden sind (und auch da und dort mißbraucht werden können). Ist, was nun mehr als drei Jahrzehnte zurückliegt, doch nicht in dem Ausmaß vorbei und vergangen, wie es mancher gerne hätte,

wächst eine neue Generation heran, die keineswegs „mit diesen Dingen verschont“ werden, sondern wissen will, was war, wie es war, warum es so war.

Zugleich zeigen Reaktionen der Hinterbliebenen der Kappler- Opfer auf Kapplers Flucht, und doch nicht endgültig erledigt und schon gar nicht bewältigt? Es hat den Anschein. Und man kann darin ein gutes Zeichen sehen. Ein Zeichen dafür, daß die Fragen, denen sich die Generationen, die sie beantworten hätten müssen, nicht gestellt haben, jetzt von lang nach Kriegsende geborenen Menschen aufgegriffen werden. Europa ist offenbar weit davon entfernt, „geschichtslos“ oder gar „geschichtsfeindlich“ zu werden.

Wir veröffentlichen auf dieser Seite, was ein verdienter Politiker zum Film „Hitler — eine Karriere“ zu sagen hat. Und, ergänzend, einen Bericht aus Italien - darüber, wie ein Christ (und Erzbischof) auf Kappler reagiert.

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