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Die katholische Kirche darf nicht schweigen

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FURCHE: Welche Auswirkungen'zeigt die SPÖ-Bundespoli-tik der letzten neun Jahre auf Tirol?

SALCHER: Die Auswirkungen der Bundespolitik sind in jeder Gemeinde sichtbar. Gerade das Bundesland Tirol hat sehr viele Aktivitäten der Bundesregierung positiv gespürt. Ich möchte die vielen Straßenbauten erwähnen, die neuen höheren Schulen, die Universitäts- und Klinikbauten in Innsbruck, die zweigleisige Strecke Innsbruck-Telfs der österreichischen Bundesbahn mit dem Schnellnahverkehr, dann die Waggonaufträge, die die Jenbacher Werke vor großen Schwierigkeiten bewahrt haben, und den Arlberg-Tunnel als besonders signifikantes Beispiel. Es zeigt sich also, daß in diesen neun Jahren sehr viel geschehen ist.

FURCHE; Beruht der gute Draht zur Bundesregierung, den man Tirol gemeinhin nachsagt, auf einer guten Zusammenarbeit im Land?

SALCHER: Das ist sicher der Fall. Wir haben ja als SPÖ hier im Land eine Formel für die Landespolitik entwickelt: einmal so viel Zusammenarbeit wie nur möglich im Interesse des Landes, zum zweiten so viel Kontrolle wie notwendig, damit die Mehrheit nicht übermütig wird, und zum dritten so viel eigene Initiativen durchzusetzen, wie nun einmal durchsetzbar sind.

Der erste Punkt, die Zusammenarbeit, ist insbesondere darin gelegen, daß wir uns über Vorhaben für Tirol, auch über Bundesvorhaben für Tirol, einigen und diese dann gemeinsam in Wien vertreten. Ich halte nichts davon, daß jede Partei für sich solche Vorhaben vertritt, das wäre für das Land nicht gut. Der Erfolg der Zusammenarbeit ist also deutlich sichtbar.

FURCHE: Besteht auch schon Einigkeit über den Termin der nächsten Landtagswahl?

SALCHER: Ich habe mit Landeshauptmann Wallnöfer gesprochen. Er ist nicht bereit, vor der Nationalratswahl in die entscheidenden Verhandlungen einzutreten, was ich auch verstehe. Es ist aber sicher damit zu rechnen, daß wir im Oktober dieses Jahres die Landtagswahl haben.

Unser Vorschlag, die Gemeinderatswahlen - mit Ausnahme Innsbrucks - mit der Landtagswahl zusammenzulegen, beide Wahlen sind im Frühjahr 1980 fällig, wird von der ÖVP höchstwahrscheinlich abgelehnt werden, weil man den amtlichen Stimmzettel für die Gemeinderatswahl als Voraussetzung für gemeinsame Wahlen trotz diverser Zusagen nicht einführen will.

FURCHE: Wieviel Mandate haben Sie derzeit im Landtag und was ist Ihr Wahlziel?

SALCHER: Derzeit haben wir im Landtag elf Mandate, die wegen des ungerechten Wahlsystems bei uns sehr viel teurer sind als bei der ÖVP. Das Wahlziel wird sein, zumindest ein Mandat dazuzugewinnen und damit der ÖVP die Zwei-Drittel-Mehrheit zu entreißen. Außerdem glauben wir, daß durch Änderungen im Landesverfassungsgesetz eine Drittel-Minderheit doch langsam auch jene Rechte bekommen müßte, die auf Bundesebene das Nationalratsdrittel schon hat, zum Beispiel, Gesetze beim Verfassungsgerichtshof auf die Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu können.

FURCHE: Noch vor den Landtagswahlen wird es Nationalratswahlen geben. Sie sind ja auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus, ACUS, der man nachsagt, sie habe das Ziel, möglichst viele Christen dazu zu bringen, mit Kreisky „ein Stück Weges“ zu wandern. Welche Erfolge erwarten Sie durch die ACUS von der Wahl?

SALCHER: Die Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus wird so falsch gesehen. Wir sind weder eine christliche Fraktion in der SPÖ noch eine sozialistische Fraktion in der Kirche. Wir haben nicht die Aufgabe, bei den Katholiken zusätzliche Stimmen zu gewinnen, gewissermaßen als Organisation aufzutreten.

Wir sehen unsere Aufgabe längerfristig. Es gibt nämlich so viele historische Mißverständnisse, es gibt so viele kathoüsche Verbände, die als Vorfeldorganisationen der ÖVP arbeiten, es gibt so viele Dinge, über die wir uns in der Kirche zu beklagen haben, etwa, daß in der Tiroler Synode kein Sozialist sitzt, daß wir das nicht kurzfristig sehen, sondern ACUS als Gesprächs- und Diskussionsbasis zum Abbau solcher Mißverständnisse sehen. Und ich glaube, diese Betrachtungsweise ist sinnvoll, denn sonst würden wir nur neuen Grund zu Polemik, Auseinandersetzung und Unfrieden da und dort geben.

FURCHE: Es wird manchmal, speziell von katholischer Seite, mit Befremden aufgenommen, daß in der ACUS kein Regierungsmitglied vertreten ist. Können Sie das begründen beziehungsweise sagen, welche prominenten Sozialisten in der ACUS mitarbeiten?

SALCHER: Wir haben die ACUS als Diskussionsgemeinschaft mit Kontaktleuten in allen österreichischen Bezirken aufgebaut, natürlich auch in allen österreichischen Bundesländern. Ich möchte zeigen, daß prominente Leute von uns schon intensiv mittun. In Vorarlberg ist es der Landtagsklubobmann Winder, in Tirol der Landtagsvizepräsident Let-tenbichler, in Niederösterreich Landesrat Grünzweig, in der Steiermark der frühere Nationalratsabgeordnete Scheibengraf, im Burgenland Landesrat Vogel, um nur einige zu nennen. Das sind schon Leute, die in der Partei etwas bedeuten.

Regierungsmitglied hat sich noch keines von sich aus bereit erklärt, mitzutun, und ich habe auch kein Regierungsmitglied angesprochen, denn es kommt mir nicht auf Ga-lionsfiguren an, sondern auf die kon-' krete Arbeit in der Arbeitsgemeinschaft.

FURCHE: Stimmt es, daß in der Arbeitsgemeinschaft auch Christen mitarbeiten, die nicht Sozialisten sind, sondern einfach Interesse am Dialog mit Sozialisten haben, daß aber anderseits keine Sozialisten dabei sind, die nicht wenigstens sogenannte „Taufscheinkatholiken“ sind?

SALCHER: Das ist nur zum Teil richtig. Erstens einmal haben wir besonders bei der letzten Diskussion über Fragen der Entwicklungshilfe festgestellt, daß sowohl katholische als auch evangelische junge Christen intensiv mitgearbeitet haben, zum Teil sehr kritisch mitgearbeitet haben, daß sie also diesen Dialog richtig finden und suchen. Das sind zum Großteü keine SPÖ-Mitglieder.

Zum anderen gibt es selbstverständlich auch Leute, die keine „Taufscheinkatholiken“ sind, überhaupt keiner Religionsgemeinschaft zugehören und diesen Dialog sehr begrüßen, ja selber auch dabei mittun. Ich möchte etwa den Grazer Stadtrat Stingl als Beispiel nennen oder den Leiter des Renner-Instituts Dr. Slavik, die ein eminentes persönliches Interesse an dieser Diskussion zeigen und auch sehr engagiert mitwirken, da und dort Vorurteile abzubauen.

FURCHE: Wie beurteilen Sie das bisherige Verhalten der katholischen Kirche im Wahlkampf?

SALCHER: Die katholische Kirche darf keine schweigende Kirche sein, will sie ihre Funktion erfüllen. Die katholische Kirche darf aber anderseits auch nicht soweit in die Diskussion eingreifen, daß sie eine Wahlempfehlung für oder gegen eine Partei abgibt. Wenn man die Kirche so betrachtet, dann hat sie bisher ein vorbildliches Verhalten an den Tag gelegt. Das heißt nicht, daß nicht der eine oder andere Pfarrer über das Ziel hinausschießt, aber das ist ja beim einen oder anderen Vertrauensmann von uns das gleiche, das darf man nicht verallgemeinern.

FURCHE: Halten Sie die Themen, die in letzter Zeit besonders zu Konflikten zwischen Kirche und SPÖ geführt haben, also Fristenlösung und Scheidungsreform, für Wahlkampfthemen?

SALCHER: Ich halte sie nicht für Wahlkampfthemen, die Scheidungsreform schon gar nicht, weil ja da alle drei im Parlament vertretenen Parteien im Grundsatz gleicher Meinung waren, daß man nämlich nach Ablauf einer bestimmten Frist nach Auflösung der ehelichen Gemeinschaft eine Scheidung vorsehen sollte. Unterschiede waren nur in der Dauer dieser Frist festzustellen und in der

Frage, ob nicht besondere zusätzliche Kautelen einzubauen wären.

Fristenlösung - auch hier möchte ich sagen, daß die Diskussion geführt wurde, daß das Gesetz jetzt besteht, und ich gestehe jedem zu, daß er dieses Gesetz kritisiert, insbesondere auch der Kirche. Nur habe ich aus meinen Erfahrungen gesehen, ich habe viel menschliche Not und Konfliktsituationen von werdenden Müttern als Sozialreferent miterlebt, daß die Indikationenlösung, wie sie die „Aktion Leben“ vorgeschlagen hat, nicht einmal von jenen Ärzten berücksichtigt wird^ die die Indikationenlösung der Aktion Leben mitunterfertigt, vielleicht sogar mitausgearbeitet haben.

Ich glaube, die flankierenden Maßnahmen, die von der Bundesregierung getroffen wurden, zeigen doch auch, daß es uns vor allem darauf ankommt, Konfliktsituationen zu vermeiden.

FURCHE: Bundeskanzler Kreisky hat gesagt, er werde nach der nächsten Wahl keiner Koalitionsregierung mit der ÖVP oder mit der FPÖ unter Alexander Götz angehören, es haben auch schon andere prominente SPÖ-Politiker alle Koalitionsspekulationen zurückgewiesen und gesagt, es geht ihnen um die absolute Mehrheit und um sonst nichts. Ist diese ablehnende Haltung der SPÖ gegenüber jeglicher Zusammenarbeit nicht undemokratisch?

SALCHER: Das ist sicher nicht der Fall. Eine Partei wie die unsere tritt aus einer Mehrheitssituation zu einer Nationalratswahl an, und es ist im Hinblick auf die neun Jahre erfolgreiche SPÖ-Arbeit in der Regierung und im Parlament selbstverständlich, daß man sich um Erneuerung des gleichen Vertrauens bewirbt. Und wenn man sich um eine solche Mehrheit wieder bewirbt, dann wäre es ja widersinnig, vor dem 6. Mai über Koalitionen zu diskutieren.

Nur eines ist auch klar zu sagen: Wenn unser Bundeskanzler, der übrigens für die Nationalratswahl Spitzenkandidat in Tirol ist, den Weg, den er für zielführend findet und der sich als richtig erwiesen hat, nur mit einer sozialistischen Mehrheitsregierung gehen zu können glaubt, dann muß das natürlich vor der Wahl gesagt werden, zumal ja die Wähler auch nicht im unklaren gelassen werden sollen, daß sicherlich die kleine schwarz-blaue Koalition als Alternativlösung im Raum steht.

FURCHE: Riskieren Sie damit nicht, daß in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, die SPÖ sei schon so machtbesessen, daß sie sich nur mehr eine von ihr allein getragene Regierung und keine andere Form mehr vorstellen kann, in der sie vertreten ist?

SALCHER: Wer Demokrat ist, wie wir demokratischen Sozialisten es sind, kann sich jede Regierung vorstellen, die die Mehrheit des Wählers hat. Es ist also keine Frage des Vorstellungsvermögens. Aber es ist doch das legitime Recht einer Partei zu sagen: Wir haben unsere Vorstellungen, und die kann man natürlich besser durchsetzen, wenn man die Mehrheit im Parlament hat. Wenn man die Mehrheit nicht hat, dann wird man sich überlegen, was man am besten für das Land tut. Und hier gibt es alle Möglichkeiten von der Opposition über die Minderheitsregierung bis zu Koalitionen, die sich dann anbieten. Sowas soll man nie ausschließen, aber soll es nicht in den Mittelpunkt einer Wahlwerbung einer Mehrheitspartei stellen.

Mit Landeshauptmannstellvertreter Herbert Salcher sprach Heiner Bober ski.

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