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Die Katze vor dem Drachenloch

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Die Opernsaison in Covent Garden wurde mit Götz Friedrichs „Siegfried“, der dritten Station seiner Londoner „Ring“-Inszenierung, eröffnet. Das überwiegend konservative Publikum zollte viel Beifall, obwohl die Szene keinesfalls Gewohntes oder Gefälliges zeigte. Aber das schlüssige Konzept, überraschende, durchwegs motivierte Effekte und die grandiosen Bildwirkungen des dritten Akts hatten offenbar auch zunächst enttäuschte Erwartungen wieder versöhnt.

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Die Opernsaison in Covent Garden wurde mit Götz Friedrichs „Siegfried“, der dritten Station seiner Londoner „Ring“-Inszenierung, eröffnet. Das überwiegend konservative Publikum zollte viel Beifall, obwohl die Szene keinesfalls Gewohntes oder Gefälliges zeigte. Aber das schlüssige Konzept, überraschende, durchwegs motivierte Effekte und die grandiosen Bildwirkungen des dritten Akts hatten offenbar auch zunächst enttäuschte Erwartungen wieder versöhnt.

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Mit „Siegfried“ begab sieh Götz Friedrich in die Gefilde des Märchens. Allerdings ist es für ihn kein Märchen aus einer heilen Welt, keine romantische Geschichte aus dem Grimmschen Bilderbuch, vielmehr das Spiel von Macht und Gier in einer kranken Natur. Zugleich ist es das mit hintergründigem Humor gezeichnete Märchen vom dicken Siegfried und Alberich the Cat. Friedrich geht davon aus, daß seit dem Ende der „Walküre“ Jahre vergangen sind. Mime und Alberich “haben durch das abgeschiedene Leben im Wald schon Tierphysiognomien bekommen. Und Mime hat Siegfried nicht nur als „zullendes Kind“ aufgezogen, sondern ihn auch herausgefüttert, auf daß er stark genug werde, um den Wurm zu fällen. Götz Friedrichs konzessicmsloser Regiewille hat die Not zur Tugend gemacht. Es stand ihm der an Pfunden gewachsene Helge Brilioth für die Titelpartie zur Verfügung. Doch Friedrich begnügte sich nicht damit, dem Publikum vorzugaukeln, dies sei der „herrlichste Held“. Folglich zeichnet er Siegfried als tumbe Kraftnatur undefinierbaren Alters, mit langen verwilderten, am Nacken zusammengebundenen Haaren, eine Mischung aus Höhlenmensch und Wikinger. Mime trägt eine Schweißerbrille auf der Stirn, die seiner tierähnlichen Maske noch zusätzlich Froschaugen zu verpassen scheint. Alberich ist ganz als schwarze Katze geschminkt, mit weißen Augenhöhlen und weißer Schnauzpartie. Dieser Katzenkopf wird schon während des Vorspiels zum zweiten Akt sichtbar und gibt den Worten „Vor Neidhöhle halt ich Wattit“ eigenen Sinn. Die Katze lauert vor dem Mause- oder besser: dem Drachenloch. Wotan hat eine weiße Gesichtshälfte mit schwarzer Augenhöhle und schwarzem Backenknochen, ist also schon als halber Totenkopf vom Ende gezeichnet.

Vieles aus Wagners Anweisungen hat Götz Friedrich wörtlich genommen: Siegfried zieht zu Beginn einen gewaltigen braunen Bären hinter sich her. Brünnhilde liegt, von Schild und Brünne.bedeckt, auf dem Felsen, und der Drachen — zur Zeit der Stilisierung auf der Wagnerbühne das leidige Problem des „Siegfried“ — feiert ein monströses Comeback. Ein Ungetüm mit awei Dutzend übermannshohen Krallen und einem feurigen Kopf wälzt sich unter fürchterlichem Gebrüll heran und läßt die Erde gleichsam aufbrechen.

Zu diesem Spiel auf einer für den ganzen „Ring“ verbindlichen, rechteckigen Grundebene, die von Teleskopen rund üm die Mittelachse bewegt werden kann und sinnfällig „Oberwelt“' und „Unterwelt“ trennt, hat Josef Svoboda eine Dekoration aus lauter herabhängenden Bändern für die ersten beiden Akte geschaffen. Die Szene suggeriert einen dickichtreichen Wald, in dem irisierende Stimmungen möglich gewesen wären, wenn die Beleuchtung, eine bedauerliche Schwäche der Inszenierung, variabler gearbeitet hätte.

Im dritten Akt verwendet Svoboda seine Schnurdekoration aus dem B'ay-isuther „Tristan“, was hier indes nicht maniriert wirkt, weil dieser

Akt wahrhaft überwältigend gelungen ist. Die Unterseite der Spielfläche ist mit Spiegeln belegt. Das ermöglicht eine faszinierende Erda-Szene, wenn die Erde aufklafft und Wotan aus einer Höhe von gewiß sieben Metern in den Schlund, und zugleich in den Urgrund blickt. Brünnhildes Erwachen wird von gleißenden Lichtstrahlen begleitet, eine zusätzliche optische Motivation dafür, daß sie zuerst Sonne und Licht begrüßt. Götz Friedrichs gesamte Regie, locker und natürlich in der Personenführung, zeichnet sich durch den Verzicht auf jegliche ideologische Verbiegung des Sujets aus, meidet vordergründige Politisierung, wenngleich die politischen Konstellationen des Machtspiels evident bleiben.

Der musikalische Eindruck war ein gespaltener. Der zerdehnte erste Akt gewann keine Kontur, weil auch der dynamische Pendelschlag auf halbe Werte gestellt war. Colin Davies brauchte eine Anlaufzeit von fast zwei Akten, um im dritten zum kongenialen Höhepunkt zu finden. Hier gab es dann fulminante Steigerungen, organisch wachsende und aufblühende Melodik. Unter den Sängern dominierten die Nibelungen: Ragnar Vlfung, ein Elite-Mime und Zolt&n Kelemen“ als ein mit schneidender Schärfe charakterisierender Alberich. Helge Brilioth ist seiner Stiromkrise noch nicht entronnen: Siegfried als Sprechpartie. Berit Lindholm hatte starke Momente beim darstellerisch ausgefeilten Erwachen Brünnhildes. Sich neben ihrem Partner zu stimmlichen Höhepunkten zu steigern fiel ihr nicht schwer. Donald Mclntyre hatte schon in Bayreuth bewiesen, daß der Wanderer ihm unter den drei Wotanpartien am besten liegt. Eine Entdeckung war der mächtige Baß von Matti Salminen als Fafner (der sich übrigens in der Sterbeszene wieder in den Riesen des Rheingold zurückverwandelt).

Beim derzeitigen „Ring“-Boom hat Götz Friedrich — das zeigte sich in London — ein gewichtiges Wort mitzureden.

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