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Die Kinder lesen wieder mehr

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Bilder konsumieren oder einen Text erarbeiten? Das Fernsehen macht dem Buch bei Kindern und Jugendlichen keine Konkurrenz, behaupten die Untersuchungen der Leseforscher.

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Bilder konsumieren oder einen Text erarbeiten? Das Fernsehen macht dem Buch bei Kindern und Jugendlichen keine Konkurrenz, behaupten die Untersuchungen der Leseforscher.

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„Früher hatte der Kinderbuchautor schon allein deswegen ein Publikum, weil den Kindern oft langweilig war und weil sie die Zeit, mit der sie nichts anzufangen wußten, lesend zubrachten, heute ist Kindern zwar noch langweiliger als früher, aber sie schauen fern, um die Langeweile nicht zu spüren. Dabei verlernen sie das Lesen — oder sie lernen es gar nicht richtig —, weil das Konsumieren von Bildern einfacher ist, als das Erarbeiten eines Textes.“ Dies ist ein Abschnitt aus der Rede, die Christine Nöstlinger anläßlich der Verleihung des Hans-Christian-Andersen-Preises 1984 hielt.

Dieser Behauptung widerspricht Lucia Binder vom Internationalen Institut für Jugendliteratur und Leseforschung: „Wissenschaftliche Forschungen haben ergeben, daß das Fernsehen kein Gegner des Lesens ist. Die Kinder lesen noch immer Bücher, ja das Lesen gewinnt sogar wieder an Interesse.“

Die Bücher müßten aber richtig angepriesen werden. Die Kinder müßten zum Lesen verlockt werden. Wichtig sei neben dem Interesse der Elternnatürlich die Schule. Auch das Institut für Jugendliteratur und Leseforschung versucht durch verschiedene Aktionen Kinder anzusprechen: in zwei Wiener Parks wird bereits mehrere Jahre erfolgreich die Aktion „Lesen im Park“ durchgeführt.

Im Kurpark Oberlaa und im Donaupark wurden Bücherstuben eingerichtet. Hier können Kinder Bücher lesen, aber auch Bücher ausleihen.

Dazu meint Lucia Binder: „Es ist wichtig, den Kindern dort eine Möglichkeit zum Lesen zu geben, wo sie ihre Freizeit verbringen. Denn Lesen sollte für die Kinder immer ein lustvolles Erlebnis sein. Mit Zwang und Drohungen erreicht man überhaupt nichts.“

Selbstverständlich haben sich die Lesegewohnheiten bei Kindern in den letzten Jahrzehnten verändert, allein schon durch die veränderte Umwelt und das geänderte Buchangebot. Einen einschneidenden Wandel sieht Winfried Kaminsky aus Frankfurt als Reaktion auf die radikalen Jahre nach 1968: „Die darauffolgende Entzauberung der Kinder- und Jugendliteratur und der Fortschrittspessimismus führten zur Abkehr von der gesellschafts-und problemorientierten Kinder-und Jugendliteratur.“

Wie auch die Frankfurter Buchmesse gezeigt hat, sind nach wie vor Fantasy-Bücher die beliebtesten Kinder- und Jugendbücher. Absoluter Bestseller der letzten Jahre war Michael Endes „Unendliche Geschichte“.

Die Beliebtheit von Büchern über Umweltschutz und Umwelt hat in letzter Zeit stark zugenommen. Andere beliebte Kinder-und Jugendbuchautoren sind Christine Nöstlinger, Vera Ferra-

Mikura, Käthe Recheis, Mira Lobe, Erwin Moser und Franz S. Sklenitzka. Ganz besonders gern werden auch Bücher zu Fernsehserien gelesen.

,.Kochrezept“ für einen Kinderbuchbestseller gibt es keines. Doch muß ein erfolgreiches Kinderbuch Spannung, Anschaulichkeit der Darstellung, Identifikationsmöglichkeit für das Kind und Humor enthalten.

Neben den neuen Kinderbüchern werden aber auch die alten

Märchen und Sagen gerne gelesen. Dasselbe gilt auch für ältere Jugendbücher, wie die Winnetouoder Trotzkopfserien.

Damit ist Lucia Binder allerdings nicht einverstanden: „Daß Märchen und Sagen noch immer gelesen werden, ist durchaus positiv zu werten. Eher traurig stimmt mich, daß auch diese alten Jugendbücher noch immer so beliebt sind. Die sind doch überholt und wirklichkeitsfremd.“

Als Grund für die Beliebtheit dieser alten Bücher meint sie: „Eltern oder sonst jemand, der einem Kind ein Buch schenken will, greift gerne zu einem Buch, das er selbst aus seiner Jugend kennt.“

Neunzig Prozent aller Kinder lesen zumindest gelegentlich Comics. Doch sind Comics, wie Lucia Binder versichert, keine wirkliche Konkurrenz für Bücher, wenn sie für so manche auch einen Buch-Ersatz darstellen.

Die Erforschung von Lesegewohnheiten begann am Anfang unseres Jahrhunderts in Großbritannien und den USA. Nach dem Zweiten Weltkrieg verbreitete sie sich darüber hinaus, und es begann auch die Erforschung der Lesegewohnheiten bei Kindern und Jugendlichen.

In Österreich befaßt sich vor allem das Internationale Institut

,,... auf Listen werden Bücher zu bestimmten Themen (Umwelt, Science-fiction, für Leseänfänger) aufgeführt“ für Jugendliteratur und Leseforschung mit diesem Forschungsgebiet. 1965 gegründet, erstellt es nicht nur Forschungsstudien, sondern versucht auch allen, die mit Kinder- und Jugendbüchern zu tun haben, zu helfen. So werden auf Listen Bücher zu bestimmten Themen (Umwelt, Science-fiction, für Leseanfänger, usw.) aufgeführt. Außerdem veranstaltet das Institut Tagungen, Ausstellungen und Enqueten.

Daß die Kinder- und Jugendliteratur besonders in Österreich große Bedeutung hat, zeigt, daß die UNESCO das Institut für Leserforschung beauftragte, in Wien eine internationale Konferenz über Lesegewohnheiten zu veranstalten. Und auf der diesjährigen Buchwoche in der Wiener Hofburg standen die Kinder-und Jugendbücher im Vordergrund.

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