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Die Kinderfeinde

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Die Geburtenrate sinkt, die Lebenserwartung steigt. Kindergärten stehen leer, aber Pflegeplätze für alte Menschen sind rar. Am Arbeitsmarkt überwiegt die Nachfrage das Angebot, aber Lehrer stehen in Klassen ohne Schüler. Die Zahl der Pensionsempfänger explodiert, aber Beitragszahler werden weniger. Problemregionen werden entvölkert, aber im Westen des Landes wird es enger. Die Folgen, die durch den Bevölkerungsrückgang nach der Jahrtausendwende auf Österreich zukommen, sind ziemlich klar. Und mit diesen Folgen wird sich Mitte Oktober eine Regierungsklausur auseinandersetzen. Nicht mit den Ursachen?

Wobei der Versuch, das „NichtKind“ beim Namen zu nennen, sicher nicht einfach ist. Nicht so einfach, daß mit einigen Reizworten - Pille, Egoismus, Feminismus — das Auslangen gefunden werden dürfte.

Gar keine Frage, daß die Pille — und der„Pillenknick“ in der Statistik ist nicht wegzudiskutieren — die Geburtenrate gesenkt hat, daß dadurch die ungewollten Schwangerschaften seltener geworden sind. Demgegenüber sind wir aber ebenso mit dem Phänomen konfrontiert, daß rund 15 Prozent der Ehen — und die Tendenz ist weiter steigend — ungewollt ohne Kinder bleiben. Ärzte sehen ein Massenproblem auf uns zukommen. Und die Therapie im Weg der künstlichen Befruchtung ist umstritten.

Gar keine Frage, daß die hohen Abtreibungszahlen schockieren. Doch das Bekenntnis zur Adoption ist nur halbherzig. Manche, die sie in der Theorie bejahen, haben schon das Wort von der „Rabenmutter“, die ihr Kind weggibt, auf den Lippen.

Gar keine Frage, daß sich die Prioritäten verschoben haben: erst berufliche Etablierung, dann Wohnung oder Haus, Auto nicht zu vergessen, danach erst

Kind(er). Das entspricht dem Denken unserer Leistungs- und Konsumgesellschaft ebenso wie dem moralischen Nasenrümpfen, wenn „Kinder“ Kinder bekommen.

Erst recht keine Frage, daß unter solchen Voraussetzungen auch die Rahmenbedingungen der Steuergesetzgebung (siehe Seite 4 und 5) ins Gewicht fallen. Die Diskriminierung der kinderreichen Familie ist eklatant.

Und schon gar keine Frage, daß die Individualisierung des Lebens die Bindungsfähigkeit und -Willigkeit angegriffen hat, sobald äußere Zwänge und Abhängigkeiten weggefallen sind.

Die Frau wurde vom Mann unabhängiger. Heute haben Frauen einen höheren Bildungsabschluß erreicht. Und den sollen sie nicht auch im Beruf umsetzen dürfen? Warum nicht?

Daß Mutterschaft und Berufstätigkeit in Konkurrenz stehen, liegt nicht an der Frau. Es liegt daran, daß unser System Frauen, die nach Jahren der Kindererziehung in den Beruf zurückkehren wollen, praktisch ausbremst.

So lobenswert Ansätze für ein Erziehungsgeld auch sind: Auf das Nachher ist das keine Antwort.

Apropos Berufstätigkeit: Karrieredenken und Selbstverwirklichung treibt keine Frau an das Fließband, wohl aber ein niedriges Familieneinkommen. Der Eigenbeitrag dazu macht sie aber auch vom Mann — sprich: vom Haushaltsgeld - unabhängiger.

Viele Vorwürfe, die in diesem Zusammenhang an Frauen adressiert werden, gehen an den Absender zurück. Nicht selten ist er männlichen Geschlechts.

Die Mutterrolle der Frau wird betont. Die Väter stehlen sich davon.

Die Erziehung ist verweiblicht. Die Mutter, die Kindergärtnerin, die Volksschullehrerin: Bis zum zehnten Lebensjahr eines Kindes ein Kontinuum. Ein „Kindergärtner“ wird belächelt. Volksschullehrer ist (fast) nichts für Männer, der Direktorsposten dann sehr wohl.

Hier merkt man nichts von partnerschaftlicher Gesellschaft. Und in der Familie?

Daß es Fortschritte gibt, soll nicht bestritten werden. Aber eine echte Aufgabenteilung in Haushalt und Erziehung? Liegt es nicht am Willen, liegt es am System. Wird die Idee eines geteilten Karenzurlaubes Frauen nützen? Oder Männern - so wie heute Frauen — durch ein unbestimmtes Nachher schaden?

Wer denkt woran? Ein kleines, aktuelles Beispiel: Endlich ein langer Einkaufsabend, ein langer Einkaufssamstag! Uber alles wurde nachgedacht, über Zeitausgleich und Zulagen. Aber über die Knirpse, die am Abend vor die Tür des Kindergartens gestellt werden? Uber die Volksschüler, die etwa eine Fünf-Tage-Schule besuchen? Keine alleinstehende Mutter ist zu beneiden.

Ohne Nachdenken wird es zu keinem Umdenken kommen: Das gesellschaftliche Gesamtklima ist kinderfeindlich. Und Zukunftsangst - Warum soll ich das einem Kind antun? — tut ein übriges.

Kinder sind Hoffnungen, sagt ein Sprichwort. Aus der Statistik spricht Hoffnungslosigkeit.

Das überfordert eine Regierung, fordert aber alle heraus. Die Schocktherapie der Bevölkerungsprognose bleibt ohne Bewußtseinsänderung unwirksam. Da geht es nicht nur, aber sehr wohl auch um unsere Lebenserwartung, die jenseits der Jahresringe und Pensionen liegt.

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