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Die Kirche als Ort der Versöhnung

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Versöhnung ist ein Hauptthema der christlichen Botschaft. Wie realisiert die Kirche selbst Versöhnung? Hängt nicht ihre Glaubwürdigkeit von der Antwort darauf ab?

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Versöhnung ist ein Hauptthema der christlichen Botschaft. Wie realisiert die Kirche selbst Versöhnung? Hängt nicht ihre Glaubwürdigkeit von der Antwort darauf ab?

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Die Bibel stellt ausdrücklich fest, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen der Versöhnung durch Gott und der Versöhnung der Menschen untereinander: „Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben.“ (Mt 6,14) Die Glaubwürdigkeit der Kirche, die Wirksamkeit ihrer Botschaft von der Versöhnung hängt nicht zuletzt davon ab, wie sie selbst Versöhnung realisiert. Dafür können folgende Bedingungen genannt werden:

1. Am Anfang steht die Wahrnehmung, daß die Kirche nicht nur in einer Welt der Konflikte lebt, sondern selbst Konflikte er-

zeugt und von Konflikten bestimmt wird.

2. Weil das Gericht beim Haus Gottes bestimmt (1 Petr 4,17), ist die Reflexion auf die kirchlichen Defizite im Umgang mit Konflikten geboten. Nur so kann dem feststellbaren Überdruß an ihrem Liebeskerygma begegnet und der Verdacht besiegt werden, sie gebrauche das Friedensvokabular nicht um der Sache, sondern um ihrer Macht willen.

3. Es ist keine Schande, aus den Ergebnissen der Humanwissenschaften, der Kommunikations-, Konflikt- und Friedensforschung zu lernen, um die christliche Lo\ gik der Versöhnung praktisch erschließen zu können.

4. Wer soviel von Versöhnung redet wie die Kirche, sollte einen großen Teil der Energie dazu verwenden, Regeln für den Umgang mit Konflikten und deren Lösung zu entwickeln. Sie müssen allen Mitgliedern der Kirche zugänglich sein, in ordentlichen, öffentlichen Verfahren angewendet und auch von der amtlichen Autorität als bindend respektiert werden. Der Sinn solcher Regeln ist es, vernünftige Lösungen von Konflikten zu ermöglichen, das heißt auch produktive, das wahre Leben steigernde Lösungen.

5. Solche Regeln sind zu entwik-keln im Abbau der monologischen Konzeption der Kirche durch Förderung der Impulse zu einem kollegialen, dialogischen Verhalten. Was Thomas von Aquino über ein geregeltes Streitgespräch (disputatio) gesagt hat, kann überhaupt für vernünftiges und liebevolles Verhalten im Konflikt gelten: Das erste Hindernis für die Wahrheitfindung im Streitgespräch, meint er, liegt darin, daß einer nicht hören will, was sein Gegner sagt. Das zweite Hindernis ist, wenn er auf das, was er gehört hat, mit Geschrei und Schmähung antwortet. Das dritte, wenn einer im Streitgespräch nicht auf die Wahrheit aus ist, sondern auf Sieg und Ehre. Hören, was gesagt wird, sei es gelegen oder ungelegen, sachlich antworten und Interesse an der Wahrheit haben, sind noch längst keyae selbstverständlichen Maximen für das Verhalten der Christen.

6. Solche Regeln werden nicht möglich sein ohne einen deutlichen Wandel im Begriff der Einheit. Sie ist möglich und verwirklicht in den Gegensätzen und erlaubt ös, diese zu ertragen und fruchtbar zu erleben. Alle Christen, die im Streit miteinander liegen, sei es innerhalb ihrer Konfession, sei es interkonfessionell, müssen sich auf die Vorausset-

zung dieser Konflikte besinnen: daß sie in entscheidenden Punkten eins sind, in der Anerkennung der Autorität der Bibel, im Glauben an Gott, in der Beziehung zu Jesus Christus, im Gebet. Aus dieser Erkenntnis erst wächst die Kraft, die gegensätzliche Vielheit im Christentum positiv zu sehen, als Möglichkeit einer Auslegung der vielfarbigen Wahrheit des Evangeliums.

7. Will die Kirche ihre prophetische Kompetenz gegenüber der Gesellschaft wiedergewinnen, wird sie ohne Schaden ihren ver-

balen Aufwand reduzieren können und sich statt dessen Mühe machen, reicher zu werden an praktisch versöhnendem Verhalten. Es ist überflüssig und gefährlich, in die öffentliche Friedenspropaganda, die in aller Munde ist, einzustimmen. Es ist sinnvoller, durch eigenes Verhalten zu zeigen, daß christliche Versöhnung sich von der Tyrannei totalitärer Friedensdiktate real unterscheidet. Ist es so leicht, einen Unterschied anzugeben zwischen den Schwierigkeiten sowjetischer Juden, ein Ausreisevisum zu bekommen, und der jahrelangen Ungewißheit, in der sich das Lai-sierungsverfahren für katholische Priester hinzieht? Wie nahe liegt es, für beide Vorgänge die Diagnose auf mysteriöse, willkürliche Ausübung der Bürokratie, der Macht an fernen Schreibtischen zu stellen.

Mit diesem schüchternen Hinweis wird ein Letztes klar: Die Kirche ist keine entrückte Welt jenseits der Konflikte, sie ist vorläufig auf das Reich der Versöhnung hin. Wenn Paul VI. sagt, die Kirche sei ihrem Wesen nach eine stets versöhnende Kraft, so ist dem nicht zu widersprechen. Dafür und für nichts anderes Zeugnis zu geben, ist ihre Aufgabe. Es ist nur zu bestreiten, daß aus dem Soll ein vollständiges Ist abgeleitet werden darf. Schon Paulus sah sich genötigt, gegen Endgültigkeiten aller Art, in der die Zustände der Kirche mit dem Himmel verwechselt werden können, an die Vorläufigkeit der Kirche zu erinnern, etwa ihrer Erkenntnis der Welt und des Willens Gottes. Wir schauen in einen Spiegel, rätselhafte Umrisse, unvollkommen, im Fragment, wie ein Kind im Ver-

gleich zum reifen Menschen (1 Kor 13.9-12).

Sooft in der späteren Geschichte auf diesen Unterschied vergessen wurde, war die Kirche in Gefahr, ein unverbesserliches Machtsystem zu werden, das alles faktische Geschehen und Verhalten mit ewiger Gültigkeit behauptet. Wer nicht übereinstimmt, hat keine Chance, mit seinem Appell gehört zu werden, er verfällt dem rein negativen Urteil der Verwerfung. Wäre die Kirche jemals dieser Versuchung ganz erlegen, hätte sie die Solidarität mit der Men-

schenwelt aufgekündigt, die Menschen verlassen, wäre sie zum Prinzip der Unversöhnlichkeit geworden.

Der Traum von der autoritären Idylle, der exakt disziplinierten Friedlichkeit einer geschlossenen Glaubenswelt, immer wieder, auch heute noch geträumt, hat sich nicht realisieren lassen, weil das Bewußtsein der Vorläufigkeit sich immer wieder durchgesetzt hat.

Die Kirche ist nicht der Ort der Versöhnung, weil ihr das Recht eingeräumt und die Macht gegeben wären, der Welt ihre Bedingungen zu diktieren. Sie kann mit dieser hohen Selbstbezeichnung nicht den Anspruch verbinden, ein rundum ungestörtes und reibungsfreies Leben zu führen, schon-gar nicht den Auftrag, für die Herbeiführung solcher Zustände beliebige Mittel einzusetzen. Sie ist unterwegs und hat die Last und die Mühe und die Versuchung auszuhalten.

Die Kirche befindet sich mit keiner ihrer Schichten am Ziel. Alle die Mystiker, die Erleuchteten, die Einfachen, die Gescheiten und die Dummen, die Päpste und die niederen Christen leben unter den Bedingungen der Zeit. Wie alle ohne Unterschied auf die Versöhnung durch Gott angewiesen sind, so sind auch alle aneinander verwiesen. Es ist eine falsche Vorstellung, daß der Weg der Versöhnung eine Einbahn sei, von den Untergebenen zur Obrigkeit, von den Gläubigen zur Hierarchie, als befände sich die eine, vorgesetzte Seite im Zustand der Versöhnt-heit, und die andere hätte sich ihr anzupassen.

Gegenüber den selbstverständlich häufigen Mahnungen zur ge-

horsamen Ergebenheit der Christen in die Autorität ist das Postulat Jesu an die Apostel in Erinnerung zu rufen: „Bei euch aber soll es nicht so sein“ (Lk 22,26) wie bei den Königen und Machthabern. Das heißt doch, daß die geistliche Autorität nicht von vornherein sicher sein kann, im Geist und in der Wahrheit Jesu zu handeln, sondern danach zu suchen hat und daran gemessen wird.

Durch die heute übliche Umbe-nennung des Amtes in Dienst ist nichts getan, solange nicht eine andere Machtübung, eine Jesus gemäße, an die Stelle der „königlichen“ tritt. Die Autorität kann schuldig werden an denen, die ihr anvertraut sind, und sie ist diesen gegenüber der Versöhnung bedürftig, und sie kann diese durch keine geistliche Order eigenmächtig herbeiführen.

Die bösen, dummen, ungerechten Lösungen der Konflikte wer-

den im Laufe der Zeit zur objektiven Struktur. Deshalb sind sowohl die einzelnen Personen wie das Wir der Kirche, die Individuen wie die Institution, auf die Gnade der Versöhnung angewiesen und zur Versöhnungsarbeit verpflichtet. Es gibt genug an objektiven Tatsachen, die dazu herausfordern.

Ich nenne nur eine: die Wertung der Frau in der Kirche. Die von der Institution her gestützte Befangenheit vor diesem Thema, lang überlieferte, zur heiligen Tradition gewordene Urteile, amtliche Diskussionsverweigerung, vorzeitige Verfügungen, Resignation und Schicksalsergebenheit bilden einen Knäuel von Faktoren, die eine öffentliche, freie, sachliche, von allen Seiten redliche Bemühung um diese Frage unmöglich machen.

Die Institution Kirche ist angesprochen, die in ihr gegebenen strukturellen Konflikte stehen zur Debatte, die Versöhnungsbedürftigkeit der Organisation ist gefragt. Es ist nicht möglich, dies alles von der Institution weg den Individuen zuzuschieben.

Paul VI. hat das auch ausdrücklich gesagt. Sein Wort stehe als notwendige Erinnerung, die Hoffnung wecken kann, am Schluß: „Aus Erfahrung weiß die Kirche, daß der Dienst an der Durchsetzung der Menschenrechte in der Welt sie zu dauernder Gewissenserforschung verpflichtet und zu ununterbrochener Reinigung ihres eigenen Lebens, ihrer Gesetzgebung, ihrer Institution und ihrer Handlungsweisen... Im Licht der uns auferlegten Pflicht der Evangelisierung bestärken wir unsere Entschlossenheit, die Rechte des Menschen und die Versöhnung überall in der Kirche zu fördern.“

Die Kirche bezeugt in vorläufiger Weise die endgültige Versöhnung. Sie hat nicht Macht über die Gnade, sondern ist selbst auf Vergebung angewiesen und in ihrer Sünde, in den einzelnen wie in der Institution, bis ans Ende der Zeiten der Versöhnung bedürftig. So ist sie der Ort der Versöhnung.

Der Autor ist Professor für Dogmatik an der Universität Salzburg. Auszug aus einem Referat bei der Österreichischen Pastoralta-

Emg Anfang Jänner 1986 im Bildungshaus ainz „Versöhnte Christen — Versöhnung in der Welt“. Unter diesem Titel erscheint im Frühjahr bei Herder der Tagungsbericht mit sämtlichen ungekürzten Referaten.

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