6950935-1984_12_03.jpg
Digital In Arbeit

„Die Kirche hat die Pflicht zum Dialog"

Werbung
Werbung
Werbung

FURCHE: Während Sie drei Wochen lang die Polen in Brasilien und Argentinien besuchten, aber auch die lateinamerikanische Kirche kennenlernten, hat die Krise in Polen zu weiteren Kontroversen — auch in und mit der Kirche — geführt, ebenso zur Kritik an manchen Ihrer Äußerungen, wie sie aus Südamerika berichtet wurden.

PRIMAS JOZEF GLEMP: In der Uberschrift einer Zeitung hieß es: „Glemp kritisiert Walesa", und im Text dann: „Glemp rühmt Walesa". Meine Haltung zur „Solidarnosc" hat sich nicht geändert.

FURCHE: In einem Interview, das während Ihrer Reise in der Kirchenzeitung .Jtiedziela" erschien, sprachen Sie sogar von der Notwendigkeit, „eine eigene Theologie der Befreiung" für Polen zu entwickeln. Glauben Sie, daß es in diesem Sinne Gemeinsamkeiten zwischen manchen südamerikanischen Situationen und der polnischen Lage gibt?

GLEMP: „Befreiung" als Begriff einer politischen Theologie kann leicht mißverstanden und mißbraucht werden, im marxistischen wie im antimarxistischen Sinne. Auch in Brasilien ist das, was man „Theologie der Befreiung" nennt, keine allgemeine Doktrin. Unabhängig davon lebt die normale Seelsorge. Ich empfand, daß sich in der Pastoralbewegung, die unter diesem Namen läuft, mehr eine Mode und eine Ungeduld gegenüber der sozialen Ungleichheit ausdrückt als eine präzise Lehre.

Obschon in Polen die Theologen nicht von „Befreiungstheologie" sprechen, habe ich den Begriff in einem bestimmten Sinne gebraucht. Ihre soziale Botschaft, ihr Eintreten für die Armen, richtet sich in Polen ja nicht gegen die Reichen, denn solche gibt es in Polen nicht.

Und doch existiert für uns eine „Theologie der Befreiung". Ihre Botschaft ist seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in der Lehre Kardinal Wyszynskis, in den Hirtenbriefen der Bischöfe, des Kardinals Wojtyla und Johannes Paul II. enthalten: Ein Ruf zur inneren Befreiung durch Wahrheit und Liebe, zur Freiheit durch die Entscheidung zum Guten.

FURCHE: Wann immer die „Umstände" in Polens Geschichte schwierig oder gar katastrophal gewesen sind, übernahm die Kirche eine Art Führungsrolle für die Nation. Kann sie diese auch heute erfüllen?

GLEMP: Das ist eben der Sinn einer „Befreiungstheologie auf polnisch", die auf soziale Gerechtigkeit, auf Verteidigung der Menschen- und Arbeiterrechte gerichtet ist: daß sie zugleich einem wirklichen Patriotismus entspricht.

FURCHE: Ist aber nicht gerade der Patriotismus der Kirche für manche Polen fragwürdig geworden, weil in ihren Augen die Kirche ihre nationalpolitische Funktion nicht so erfüllt, wie sie es sich wünschen?

GLEMP: Es gibt eine Krise bei manchen Leuten, die den Zukunftsglauben verloren haben oder falsche Vorstellungen hatten. Gerade weil unser Patriotismus, recht verstanden, religiös gestimmt ist, öffnet er sich gegenüber anderen Nationen, nicht zuletzt gegenüber den Nachbarn. Er hat nichts mit Chauvinismus zu tun... Gewiß, manchmal muß die Kirche, wie Kardinal Wyszynski sagte, zeitweilig und stellvertretend einige gesellschaftliche Aufgaben zur Verteidigung der Nation übernehmen.

FURCHE: Also eine politische Rolle?

GLEMP: Ja, aber sie muß dabei unabhängig von politischen Kräften bleiben, denn anders würde sie zu einer der Konfliktparteien.

FURCHE: Heißt das, neutral bleiben oder eine Schiedsrichterrolle übernehmen?

GLEMP: Ihre Aufgabe ist es, die Entzweiten zu vereinen. Deshalb kann sie sich weder für die Opposition noch für Kollaboration im politischen Sinne engagieren. Die Kirche muß sich die Freiheit vorbehalten, dem Bösen zu widerstehen und das Gute zu unterstützen — gleich auf welcher Seite sich das eine oder das andere befindet.

FURCHE: Das mag für die Hierarchie und den Klerus gelten. Für die Laien, die katholischen Staatsbürger, sieht das wohl anders aus?

GLEMP: Natürlich. Priester müssen größere Distanz von den „heißen Eisen" des täglichen Lebens halten. Wenn ich zum Beispiel einen Priester von dem Druck einer Gruppe von Leuten befreit habe, die nur eine einzige Art Predigt von ihm hören wollen, dann geschah das zum Wohl dieses Priesters und auch der Seelsorge in dieser Pfarrei. Laien hingegen können sich im öffentlichen Leben so engagieren, wie es ihrem religiösen und staatsbürgerlichen Gewissen entspricht.

Da gibt es dann manchmal Gewissenskonflikte, deren Ursache in einer Gesellschaftsstruktur liegt, deren Ideologie im Gegensatz zur Lehre der Kirche steht und die auch keinen politischen Pluralismus im westlichen Sinne erlaubt. Und doch ist an dieser Struktur nicht alles schlecht. Wir wissen, daß sich politische und soziale Strukturen unter dem Einfluß der Menschen ändern können, die inmitten dieser Strukturen leben und wirken. Dies eben ist die Aufgabe der katholischen Laien: den Strukturen ihren Geist zu vermitteln.

FURCHE: Ist das möglich im Fall des heutigen Polen, ohne — wie es 1981 geschah — dem Regime die Furcht einzujagen, man wolle es überhaupt beseitigen?

GLEMP: Kardinal Wyszynski sagte einmal sehr weise, daß der Kommunismus in Polen kein vorübergehendes, kurzfristiges Phänomen ist. Daher hat die Kirche die Pflicht zum Dialog mit der Regierung, ohne die eigenen Grundsätze aufzugeben.

FURCHE: Ihre Gespräche, Ihre Vermittlungsbemühungen vor und nach der Periode des Kriegsrechts in Polen haben gleichwohl nicht zu jenem „Gesellschaf tsvertrag", zu jener „nationalen Versöhnung" geführt, für die der Episkopat und besonders der ,J>ozialrat des Primas" 1982 präzise Vorschläge unterbreitet hatte?

GLEMP: Das liegt nicht nur an den politischen Umständen, auch an dem hohen Grad von Emotio-nalität, mit dem gesellschaftliche Konflikte stets ausgetragen werden. Meistens werfen sich beide Seiten gegenseitig einen Mangel an Zugeständnissen und an Kompromißbereitschaft vor. Ich selber spreche deshalb nicht mehr von „Versöhnung", um nicht falsch verstanden zu werden. Man muß jetzt sozusagen mit „friedlicher Koexistenz" anfangen — und das ist der niedrigste Grad gesellschaftlichen Zusammenlebens.

FURCHE: Also nur ein Nebeneinander von Regierenden und Regierten, kein Miteinander?

GLEMP: Nein - mehr! Koexistenz schließt den Dialog nicht aus. Die ideologische Kluft ist zwar tief, aber der Dialog ist notwendig für die Existenz des Staates. Er kann zu einem Minimum von Vertrauen zwischen Staatsmacht und Bürgern führen, aber das ist ein schwieriger, langwieriger Prozeß, der auch durch jene weltanschauliche Kluft behindert wird, die man nicht mit bloßen Slogans überbrücken kann.

So zeigt etwa die Entfernung der Kreuze aus den Schulräumen im Namen von Rechtsvorschriften und der daraus folgende Protest, die Erbitterung der Menschen, wie tief diese Kluft empfunden wird und wie eine allzu konsequente Trennung von Kirche und Staat manchmal zu einer Art Vivisektion wird, zu einem Eingriff in etwas sehr Lebendiges.

FURCHE: Daher wohl auch die Bedeutung, diejezt ein Verständigung sabkommen zwischen Kirche und Staat für die allgemeine Lage im Lande gewinnen kann.

GLEMP: Ja, nach unserem Verständnis geht es dabei um die rechtliche Regelung der Lage der Kirche in Polen, um ihre Anerkennung als Person des öffentlichen Rechts, aber auch um die Rechtsperson der Diözesen, der Pfarreien, der Seminare und einiger kirchlicher Organisationen. Wir meinen, daß einem solchen Verständigungsabkommen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Polens zum Heiligen Stuhl folgen kann. Aber das Abkommen ist dafür keine Vorbedingung. Es könnte noch im März zustande kommen.

Copyright FURCHE/„Zeit".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung