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Die Kirche hütet sich vor Einmischung in die Politik

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Wenn alles in Polen auf Erneuerung drängt, warum sollte diese Bewegung ausgerechnet vor seiner Kirche haltmachen? Ein neuer Primas, mehr als ein Vierteljahrhundert jünger als sein Vorgänger, ist in den erzbischöflichen Palast in der Warschauer Miodowa-Stra- ße eingezogen. Noch haust Jözef Glemp in einem Gästezimmer, denn die Residenz wird renoviert. Neu ist auch, daß ein Primas sich zwei Stunden Zeit für einen Journalisten nimmt.

Unbefangen, gelassen, selbstbewußt, doch ohne jede Spur von kirchen fürstlicher Pose stellt er sich den Fragen, während seine Hand den munteren Zwergpinscher beruhigt, den die ungewohnte neue Umgebung mit Plüschpracht und Zimmerpalme zum Bellen reizt.

Wir wechseln die Sprachen; vom Deutsch, das seine Eltern sprachen (Der Vater kämpfte „für die Preußen“ vor Verdun, der Großvater vor Sedan), blieb nicht genug, und der baltendeutsche Bauer, bei dem Glemp im Kriege arbeitete, schimpfte auf Russisch. Italienisch spricht der Primas nach fünf römischen Jahren so gut wie der Papst. Doch er zieht das Polnische vor, als ich ihn auf den dramatischen Augenblick seines Amtsantritts anspreche.

Er hält die Situation von heute sogar für noch schwieriger als jene nach dem Kriege, von der Kardinal Wyszynski zu sagen pflegte, er habe das Gefühl gehabt, alle Umstände seien gegen ihn.

Glemp meint: „Jetzt steht mehr auf dem Spiel, man kann mehr verlieren. Für die Kirche freilich gibt es keine schwierigen Zeiten, sie muß immer die Erlösung, die Wahrheit, das Evangelium verkünden. Eigentlich gibt es immer gute Zeiten für die Kirche, denn sie muß immer Zeugnis ablegen."

FURCHE: Doch jetzt gibt es doch auch ganz konkrete Probleme in Polen, zu denen die Kirche Stellung beziehen muß. wirtschaftliche, gewerkschaftliche. politische…

ERZBISCHOF JÖZEF GLEMP: Dort, wo wir müssen, beziehen wir einen Standpunkt. Immer werden wir für Wahrheit, Gerechtigkeit, Frieden ein

treten - das sind Werte, für die die Kirche kämpfen, die sie beanspruchen und von denen sie auch öffentlich reden wird. Das ist unsere Aufgabe.

Ich hüte mich jedoch vor Einmischung in die Politik. Ich möchte nicht, daß wir in die Politik hineingezogen werden, denn sie ist nicht unsere Aufgabe. Indirekt können wir einwirken auf das System der gesellschaftlichen Beziehungen. Das ist eine Tatsache, und das war die Rolle der Kirche in Polen seit Jahrhunderten. Aber heute meinen wir, daß unsere Aufgabe die Erweckung der Moral der Gewissen ist,

und vor allem der Treue zum Evangelium, zu dem, was die Kirche lehrt.

FURCHE: Ist aber die Kirche in den letzten Monaten nicht oft in die Lage geraten, daß sie den Staat geradezu ersetzen mußte?

GLEMP: Natürlich gibt es schwierige Situationen; sie waren es für Primas Wyszynski. Aber ich glaube nicht, daß das lange dauert. Ich glaube, daß heute unsere Gesellschaft so reif ist, daß sie sich selber Rat weiß in sozialen und politischen Fragen. Die Kirche wird die Rolle spielen, für die sie bestimmt ist - es sei denn, es entstehen au-

ßergewöhnliche Situationen, wo man intervenieren muß.

FURCHE: Können sich dabei aber nicht auch ideologische Hindernisse in den Weg legen?

GLEMP: Ideologie - das ist Sache eines anderen Bereichs, das kommt aus einer anderen Schicht. Wir jedoch müssen auf die praktischen Dinge schauen, auf das, was Sache der Menschen, der Gesellschaft, der Nation ist. Da gibt es die Tendenz zum gegenseitigen Verstehen, ja es gibt sogar Bereiche, in denen man Zusammenarbeiten kann. Die Kirche wird etwa beim Kampf gegen den Alkoholismus, in Familienfragen, in Fragen der Achtung des Lebens, überhaupt der Achtung vor den Menschen Zusammenarbeiten.

FURCHE: Haben Sie nach Ihren Gesprächen mit Ministerpräsident Jaruzelski und mit dem Vizepremier Oz- dowski. der ja Katholik ist. den Eindruck. daß die Regierung ihnen entgegenkommt. daß man Sie nicht nur braucht, sondern auch schätzt?

GLEMP: Gewiß, sie sprechen sich offen aus, denn es geht uns ja darum, daß das ganze Volk aus der Krise herauskommen kann. Ich meine, das sind ehrliche Leute. Unsere Gespräche waren natürlich eher höflicher Art, denn das waren meine ersten Begegnungen, Grundsatzprobleme haben wir noch nicht so vertieft; dafür gibt es noch Zeit.

FURCHE: Dafür gibt es ja auch die gemeinsame Kommission von Kirche und Staat. Hat diese in der letzten Zeit Fortschritte erzielt?

GLEMP: Gewiß, die Kommission begegnet sich ziemlich oft. Zweifellos gibt es große Fortschritte bei diesen Gesprächen. Das ist ein Dialog, der auf gegenseitiger Wertschätzung der Partner beruht.

FURCHE: Gehört dazu auch, daß sich beide Seilen gewisse Grenzen ziehen?

GLEMP: Ja. ich denke sie werden sich schon zusammenreden. Ich weiß noch nicht wie, denn der Weg ist noch weit. Das ist erst der Anfang.

Das Gespräch führte Hansjakob Stehle

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