6865711-1978_02_09.jpg
Digital In Arbeit

Die Kirche kann sich nicht der Kunst verweigern

Werbung
Werbung
Werbung

Die Entwicklung der Kunst, ihre Aufgabenstellung und ihre Aussage haben ein untrennbares Verhältnis zur Kirche. Die Gemeinsamkeit ist leicht herausgefunden; Kunst- und Literatur wird sehr wohl zu subsumieren sein - ringt um Ausdrucksformen des Menschen, ist ein Zeichen der Gestaltung. Die Kirche wieder hat den Gestaltungsauftrag des Menschen, sowohl in seiner weltlichen Form, als auch in seiner transzendentalen Beziehung zu begleiten und zu bedeuten.

Dieser enorm geistige Vorgang verlangt Auseinandersetzung mit dem Geistigen. Kunst ist immer ein Spiegel der Zeit, in vielem eine Vorausahnung oder eine Warnung. Denken wir an die Literatur, die in ihren Utopien die Ohnmächtigkeit des Menschen gegenüber einer technisierten, totalen, vielfach sprachlosen Welt längst vorausgesagt hat

Mag es nun George Orwells „1984“ oder Aldous Huxleys „Brave New World“ sein, die Zeichen der Zeit wurden hier von Künstlern ebenso gedeutet, wie etwa in der Malerei oder in der Büdenden Kunst, wo das Ringen um Form das Verlieren der Gestaltungskraft, das scheinbare Ausufern und Zerlegen, ja wie Abstraktion genau gezeigt haben, daß die Gebundenheit unseres Lebens verloren gegangen ist. Darin kann man Zeichen für Plurali-tät, aber auch für die Verwirrung der Geister sehen. Vielleicht mag uns das Spannungsfeld des Menschen in seiner Geschichtlichkeit, eingebunden in die Aussage des Evangeliums, eine Orientierungsmöglichkeit sein. Beim Turmbau zu Babel haben wir die „eine“ Sprache verloren, die dem Menschen erst durch das Pfingster-lebnis wieder zuteil wird: ein jeder hörte den anderen in seiner Sprache reden.

Es ist außer Frage, daß wir diese Zeichen der Kunst nicht rechtzeitig gelesen haben, noch heute mit dem nötigen Ernst lesen. Vor allem hat die Kirche noch nicht genügend verstanden, jene Zeichen, die sie selber setzt, den Menschen hinreichend zu erläutern. Der Mut der Kirche in Österreich ist anzuerkennen, eine Wotruba-Kir-che gebaut oder - ehrlicherweise muß man sagen - zugelassen zu haben. Die Leistung mußte anerkannt werden, daß die Mehrzahl der bedeutenden architektonischen Leistungen nach 1945 von über die Grenzen unseres Landes bekannten Architekten gerade im Kirchenbau vollbracht wurden. Es darf auch nicht verkannt werden, daß in der Gestaltung des Sakralen büdende Künstler herangezogen wurden, oder daß unter Otto Mauer die wesentlichsten Impulse der fünfziger und sechziger Jahre von der Galerie nächst St. Stephan ausgegangen sind.

Ob aber alle Charismen, die in der Kirche waren, von der Kirche genutzt wurden?

Was kann die Aufgabe der Zukunft sein?

Kunst ist gestaltende Freiheit; wenn die Kirche Anwalt der Freiheit sein will, muß sie aktiv die Entfaltung von Kunst ermöglichen und fördern. Dies vor allem zu einer Zeit, wo der Staat die Tendenz zeigt, die Kunst zu vereinnahmen.

Nicht alle Formen erfahren heute gleichermaßen Förderung durch die Öffentlichkeit. Der Staat ist aus naheliegenden politischen Erfolgsgründen sehr oft in der Gefahr, mehr der Gefälligkeit zu Diensten zu sein, als der Qualität.

Da sich die Kirche in ihren Ent-Scheidungen längerfristigen Gesichtspunkten zuwenden kann, soll sie die Funktion des Erahnens der Zukunft durch die Kunst ernst nehmen.

Die Ansätze sind gegeben, vor allem aber müssen weiterhin experimentelle und avantgardistische Strömungen gefördert werden, von denen sich auch der Zeitgenosse eben auf Grund der Funktion der Kunst noch gar kein endgültiges Urteil gebüdet haben kann.

Wichtig ist aber nicht nur der Auftrag, sondern auch das Gespräch mit dem Künstler. Der Künstler muß die Chance erhalten, alle Fragen stellen zu können, die für ihn wichtig sind.

Gerade das Gespräch mit den Künstlern scheint noch nicht gelungen. Es gibt nur eine bescheidene Künstler-Seelsorge, die weder institutionell ausgewiesen, noch unterstützt ist.

Vor allem kann die Kirche, deren Rolle im Medienbereich nach wie vor nicht zu unterschätzen ist, auf einige Publikationsmöglichkeiten hinweisen. In Pressvereinen gibt es immer wieder erfreuliche Anläufe, der Kunst mehr Raum zu geben. Man könnte mehr erreichen, wenn alle Pressvereine gemeinsam die Kirche in ihrer Auseinandersetzung mit der Kunst stützten. Dabei muß immer wieder betont werden, daß in allen Bereichen, in der bildenden Kunst, in der Musik, in der Literatur, vielleicht am schwächsten in Film und Fernsehen, Menschen tätig sind, die über die Taufe hinaus kirchliche Kirche erfahren haben. Die Verantwortlichen der Pastoralen mögen sich für Österreich gemeinsam die Frage stellen, ob diese Begabungen auch für die Kirche hinreichend genutzt wurden.

An einige praktische Möglichkeiten sei noch gedacht Im reichen Pfarrbüchereiwesen könnten österreichische Autoren eine vorrangige Förderung erfahren, insbesondere da viele, die ihrem Ringen um das Büd des Menschen Vorerfahrungen einer christlichen Existenzauffassung bieten können.

In Ergänzung dazu müssen mehr kulturelle Veranstaltungen, wie Lesungen und Ausstellungen in Pfarrzentren und Jugendclubs geführt werden. Gerade das Erwachsenenbildungswesen der Kirche wäre in der Lage, mehr als bisher Verständnis für Kunst und das Ringen um die Existenz des Menschen darzustellen.

Im Zusammenhang sei besonders auf die Kunsterzieher verwiesen, die nicht zuletzt infolge des mangelnden Kontaktes der Kirche mit den Kunsthochschulen heute unter dem starken Einfluß kleiner radikal-marxistischer Gruppen an den Kunsthochschulen stehen, wie aus den Wahlergebnissen der österreichischen Hochschülerschaft leicht ersichtlich ist.

Weiters sollte für kirchliche Aufträge der Grundsatz des Wettbewerbes und der Ausschreibung für Bau und Auftragsgestaltung gelten. Die Kirche soll von sich aus an namhafte Architekten und Künstler herantreten, um nicht nur im Sakral-Bau, sondern auch bei profanen Einrichtungen, wie Pfarrzentren und Wohnungsbau beispielgebend zu sein.

Vielfach wurde die Qualität der Ruhe und der schöpferischen Muße in den österreichischen Klöstern von Künstlern schon erkannt. Die Schaffung von Gesprächsbasen mit Theologen und Phüosophen, aber auch mit Männern der Pastorale ist bewußt auf dieser Ebene zu schaffen.

In gleicher Weise müssen hier Möglichkeiten in Publikationsorganen der Kirche und im kirchlichen Verlagsbereich noch mehr ausgeschöpft werden, wobei vielleicht auch an ein Zielpublikum zu denken wäre, das oft heute vergessen wird, wie es bei den älteren Menschen der Fall ist. Nicht zuletzt soll auch die Schaffung eines repräsentativen kirchlichen Kunstpreises angeregt werden.

Kunst muß in Verbindung zur Wissenschaft als einer der sensiblen Bereiche in Gegenwart und Zukunft verstanden werden. Die günstige Ausgangslage nach dem Zweiten Welt-krieg und die positive Entwicklung bis zu den sechziger Jahren in beiden Bereichen ist durah den starken ideologischen Einbruch der marxistisch orientierten Studentenrevolte und die Frankfurter Schule gestoppt worden.

Die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen verlangt einen starken Wertbezug der Kirche, nicht aber den Wunsch nach Behübschung durch die Kunst.

Aufregung über Kunst ist nur nach qualitativen Gesichtspunkten möglich, muß wertmäßig belegbar sein. Der Kunst verweigern können sich die Menschen, und daher auch die Kirche nicht: „Kunst bleibt Kunst, auch wenn sie ethisch belangbar ist... “ (Otto Mauer).

Das „Amt“ dieses Mannes in der Kirche ist seit seinem Tod unbesetzt; niemand kann für ihn „erfunden“ werden. Die Kirche aber kann die Auseinandersetzung dort fortführen, wo sie von Otto Mauer für die Kirche jahrelang geführt wurde. Vielleicht wäre gerade die Schaffung eines Otto-Mauer-Kunstpreises ein verheißungsvoller neuer Beginn...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung