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Die Kirche und ihre Jugend

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Junge Menschen in den einzelnen Kulturkreisen zeigen heute mehr Gemeinsamkeiten als die Jugend zur Zeit ihrer Väter. Schallplattenindustrie, Film und Fernsehen haben eine breite gemeinsame Basis im Lebensgefühl - siehe die rhythmische Musik, Jeans, Haartrachten oder Sport - und in den Wertungen geschaffen. Dennoch ist die Rede von „der Jugend“ eine starke Verallgemeinerung. Die arbeitende Jugend lebt unter erheblich anderen Bedingungen als die studierende Jugend. Jugendlichen der Wohlstandsgesellschaft steht eine nicht kleine Zahl von Hungernden und Slumbewohnern gegenüber. Das stark ausgeprägte Traditionsbewußtsein junger Afrikaner prägt deren Lebensgefühl beträchtlich anders als der noch immer naive Fortschrittsglaube, dem junge Europäer oft huldigen. Der Student in Ostafrika studiert unter einem enormen Leistungsdruck, von dem sich ein Kollege in Schweden keine Vorstellung macht. Während junge Australier kaum von Generationskonflikten geplagt werden, haben Jugendliche in der Dritten Welt überall dort eine starke Generationsspannung zu meistern, wo Industrialisierung und städtische Ballungszentren Entwurzelungsphänomene schaffen.

Weltweit gesehen ist auch die religiöse Situation der Jugendlichen sehr unterschiedlich. Bei einem Großteil junger Christen auf der ganzen Welt findet man jedoch charakteristische Grundzüge:

• eine Faszination durch die Person Jesu, die durch das Abklingen der „Jesusbewegung“ keinesfalls verschwunden ist;

• eine Suche nach Identität und Echtheit;

• eine starke Resonanz für soziales Engagement, das vielfach in fruchtbarer Polarität zu einem neuen Entdek-ken der Innerlichkeit (Meditationsbewegung) steht;

• das Eintreten für soziale Gerechtigkeit und damit im Zusammenhang eine Verlagerung der dominierenden Werte vom Individuellen zum Sozialen hin;

• eine große Suche nach neuen Ausdrucksformen der Frömmigkeit: an' einem religiösen „Happening“ in der Diözese Trier nahmen Tausende von Jugendlichen teil, das Konzil der Jugend in Taiz6 vermochte Zehntausende „auf die Beine zu bringen“;

• das Entdecken des Leibes auch für religiöse Ausdrucksformen;

• eine Ausschau nach Identifikationsmöglichkeiten, die etwa in der Beliebtheit von „Porträts“ und Postern engagierter Christen bei Jugendlichen der Bundesrepublik Deutschland einen neuen Ausdruck findet;

• eine gesunde Ablehnung des Formalistischen, Legalistischen in der Religion;

• eine Hochschätzung des persönlichen Gewissens;

• einen starken Sinn für Toleranz;

• das Erkennen des Ungenügens einer bloß rational interpretierten und verwalteten Welt;

• die Skepsis gegenüber einem bloß intellektualistischen Sprechen über Gott;

• eine große Kommunikationsfähigkeit vor allem in den industrialisierten Ländern;

• einen großen Freimut, aber auch eine starke antiinstitutionelle Einstellung;

• eine Distanz zu Teilbereichen der traditionellen kirchlichen Moral, vor allem der Sexualmoral (sie ist in Indien ebenso feststellbar wie in Europa, Afrika und Amerika);

• gelegentlich auch eine Flucht ins Irrationale, die in der zahlenmäßig zwar geringen Abwanderung in neue „Jugendreligionen“ einen Ausdruck finden kann.

In dieser Situation sollten wir uns weniger eine angepaßte Jugend wünschen, als eine, die „im Glauben selbständig und entsprechend ihren Charismen in der Liebe tätig“ ist. Der Weg dazu führt über eine Jugendarbeit, die nicht so sehr für die Jugend, sondern mehr mit der Jugend erfolgt. Die Bischofssynode 1977 hat das klar erkannt und betont, daß die Jugendlichen nicht „Objekte der Seelsorge“, sondern „Subjekte in der Seelsorge“ sind.

In welchem Maß dies in unseren Gemeinden erreicht wird, dürfte von der Beantwortung mehrerer Fragen mitbestimmt werden:

• Nehmen wir das Gültige wahr, das es in der Jugend von heute gibt?

• Haben wir die Bereitschaft, ihre Werte, Hoffnungen, Sehnsüchte ernstzunehmen?

• Sind unsere Gemeinden Orte, in denen der Jugend Freude, Hoffnung, Freiheit und Mut begegnen?

• Nehmen wir die strapaziöse Aufgabe auf uns, uns mit der Jugend konfrontieren zu lassen?

• Nehmen wir ihre eigenständige Rolle in der Kirche ernst, indem wir nicht nur versuchen, sie nach unseren Vorstellungen zu erziehen, sondern uns selbst auch durch sie „evangelisie-ren“ zu lassen?

• Gelingt es uns, das Institutionelle an und in unserer Kirche so zu handhaben, daß der dienende Charakter aller institutionellen Momente erfahren werden kann?

Die Kirche würde ihrer Aufgabe untreu, wollte sie nicht immer wieder auch den jungen Menschen „Umkehr“ predigen. Dies heißt aber doch, sie einzuladen, sich auf das Wagnis eines neuen und verheißungsvollen Lebens mit Jesus Christus einzulassen. Ohne einem Jugendfetischismus zu verfallen, kann man aber auch sagen, daß die Kirche der Erwachsenen neben der Bekehrung der Jugend immer auch eine Bekehrung zur Jugend als Aufgabe erkennen müßte. Sie bedarf immer wieder einer geistigen Verjüngung, will sie nicht in Routine erstarren. Adolf Exeler wies in diesem Zusammenhang auf historische Beispiele für die verjüngende Kraft, welche für die Gesamtheit von jungen Menschen ausgehen kann, mit Nachdruck hin (Franz von Assisi).

Die Chancen für eine Begegnung zwischen Kirche und Jugend aber sollten wir auch heute optimistisch sehen. Denn schließlich haben jene die besten Aussichten, die die besseren Ziele und Motive anzubieten haben. Und diesbezüglich müßten Christen doch optimistisch sein!

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