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„Die Kirchen bleiben - und werden doch eine Kirche”

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Prof. Dr. Heinz Schütte, Ordinarius für Systematische Theologie an der Universität Bonn und Berater des vatikanischen Sekretariates für die Einheit der Christen, sprach Anfang Oktober in der TV-Sendung „Orientierung” mit Dr. Stefanie Prochaska und Dr. Peter Pawlowsky über die Bemühungen, zu einer katholischen Anerkennung der Confessio Augustana zu kommen. Dr. Prochaska, Leiterin des Evangelischen Presseverbandes und Mitglied des FUR- CHE-Beirates, interviewte Prof. Schütte für die FURCHE.

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Prof. Dr. Heinz Schütte, Ordinarius für Systematische Theologie an der Universität Bonn und Berater des vatikanischen Sekretariates für die Einheit der Christen, sprach Anfang Oktober in der TV-Sendung „Orientierung” mit Dr. Stefanie Prochaska und Dr. Peter Pawlowsky über die Bemühungen, zu einer katholischen Anerkennung der Confessio Augustana zu kommen. Dr. Prochaska, Leiterin des Evangelischen Presseverbandes und Mitglied des FUR- CHE-Beirates, interviewte Prof. Schütte für die FURCHE.

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Die Reformatoren wollten keine Spaltung. Es ging ihnen darum, die Kirche zu erneuern. Diese Reform war damals dringend erforderlich. Es kam zur Spaltung. Wir wollen keinen geschichtlichen Prozeß machen, hat Johannes XXIII. gesagt. Die Verantwortung ist geteilt; jetzt geht es darum, daiß wir wieder zu einer Einheit finden. In den Jahren nach dem Konzil haben auf offizieller und nichtoffizieller Ebene viele Gespräche stattgefunden. Dieser Diailog hat zu erstaunlichen Ergebnissen geführt. Man ist in Fragen zu einer Verständigung und sogar zu einer Einheit gelangt, in denen dies vorher unmöglich schien.

Nachdem man in schwierigsten Fragen wie der Eucharistie, des Amtsverständnisses, sogar in der Frage Primat und Petrusamt zu Annäherungen gekommen ist - stellt sich nun die Frage: Wenn der Diailog zu dem Ergebnis kommen sollte, daß keine kirchentrennenden Gegensätze vorhanden sind, wie können wir dann wieder zu einer Einheit gelangen? Welche Vorstellung könnte man von einer solchen Einheit haben? Vor etwa 17 Jahren fand der jetzige Kardinal Ratzinger eine Formel: Einheit der Kirchen - die Kirchen bleiben und werden doch eine Kirche. Das könnte das Ziel sein, das alle, wenn der Heilige Geist es gibt, anstreben könnten. Das heißt: die römisch-katholische Kirche, die orthodoxe Kirche, die anglikanische Kirche, die lutherische Kirche, die reformierte Kirche - sie alle bleiben Kirchen mit ihren Theologien, mit ihren Frömmigkeitsformen, mit ihren kirchlichen Orten, mit eigenen Verwaltungen. Aber diese Kirchen werden die Eine, stellen die Eine Kirche Jesu Christi dar, sie bleiben zwar verschiedene, aber nicht mehr geschiedene, getrennte Kirchen.

FURCHE: Würde das auch zur Folge haben, daß es zu einer Abendmahlsgemeinschaft kommt oder die Möglichkeit gegeben ist, daß ein Priester oder Pfarrer einer Kirche in der anderen Dienst versehen könnte?

Wenn dieses Ziel, das hinter dem Gedanken einer Anerkennung der Confessio Augustana steht, verwirklicht würde, wären die jetzt getrennten Kirchen Schwesterkirchen, dann könnte auch Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft bestehen. Aber vielleicht empfiehlt es sich, zunächst einmal zu sagen, auf welcher Grundlage sich eine solche Einheit verwirklichen kann. Es geht ja nicht um eine Einheit um jeden Preis. Das wollen Sie nicht, das kann Rom nicht, das wollen wir allfe nicht Es gibt einen Grundsatz, der auch in allen Kirchen wohl anerkannt ist, auch Johannes XXIII. hat ihn vor dem Konzil einmal genannt. Es geht um eine Einheit auf der Grundlage der Wahrheit, der Freiheit und der Liebe. In der von Gott ge- offenbarten Wahrheit muß Einheit herrschen. Nicht Einheit in der Formulierung, aber wir müssen bei allen verschiedenen oder unterschiedlich möglichen Formulierungen doch erkennen können: wir meinen die eine von Gott und Jesus Christus geoffen- barte Wahrheit. Einheit im Notwendigen, Einheit in der Wahrheit. In allem, was menschliche Tradition ist, kann und muß größtmögliche Freiheit herrschen, also Einheit in der Verschiedenheit, oder besser, Einheit in der Mannigfaltigkeit.

Was uns alle verbindet, was uns allen aufgegeben ist, ist die Liebe. „Darum soll alle Welt erkennen, daß ihr meine Jünger seid, daß ihr einander liebt.” Das ist die Basis, auf der eine solche Einheit erfolgen kann. Professor Ratzinger hat in Graz vor fast zwei Jahren in einem Vortrag diesen Gedanken ausgesprochen. Damit kommt auch zum Ausdruck, daß es nicht ein Gedanke von Randtheologen in der katholischen Kirche ist, die gar nicht mehr mitten in der Kirche stehen. Kardinal Ratzinger hat damals gesagt: „Wenn nicht von einer Vereinigung zwischen einzelnen und mit einzelnen die Rede ist, sondern wenn Kirchengemeinschaft gesucht wird, dann sind Bekenntnis und Glaube der Kirche angefordert, in der der einzelne mitlebt und zu seiner persönlichen Begegnung mit Gott geöffnet wird. Der Bezugspunkt solchen Mühens müssen die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche sein.”

Dann sagt er, was jetzt über die Anerkennung der Confessio Augustana zu sagen ist: „Die Forschungen der letzten Jahre gehen dahin, daß die Confessio Augustana als grundle gende lutherische Bekenntnisschrift nicht nur aus diplomatischen Gründen so abgefaßt wurde, daß sie reichsrechtlich als katholisches Bekenntnis auslegbar sein sollte; sie wurde auch mit innerer Überzeugung als Suche nach evangelischer Katholizität konzipiert. Demgemäß sind Bemühungen im Gang, eine katholische Anerkennung der Confessio Augustana oder - richtiger - eine Anerkennung der Confessio Augustana als katholisch zu erreichen und damit die Katholizität der Kirchen, Augsburgischen Bekenntnisses festzustellen, die eine kooperative Vereinigung in der Unterschiedlichkeit möglich macht.”

FURCHE: Es gibt aber außer der Confessio Augustana noch andere Bekenntnisschriften der lutherischen Kirche.

Man wird die Confessio Augustana nicht isoliert betrachten dürfen. Die Augustaną ist zweifellos die wichtigste lutherische Bekenntnisschrift. Aber in der Confessio Augustana sind einige Fragen, wie die des Primats und des Petrusamtes, nicht berücksichtigt. Das ist in den Schmalkaldischen Artikeln von 1537 nachgeholt worden. Aber auch diese Schmalkaldischen Artikel müssen eine solche Anerkennung der Confessio Augustana als Ausdruck des katholischen Glaubens nicht unbedingt verhindern. Die Schmalkaldischen Artikel enthalten die Meinung: wo die Messe fällt, dort fällt das Papsttum. Man meinte, in der römischen Kirche werde die Messe als ein Opfer neben dem Opfer Christi gewertet. Von daher bezeichnete man die Messe als Greuel und Abgötterei. In der Tat konnte man damals zu solchen Meinungen aufgrund spätscholastischer und spätmittelalterlicher theologischer Meinungen kommen, aber das war nie die Auffassung der katholischen Kirche in ihrer offiziellen Lehre. Nach katholischer Lehre ist die Eucharistiefeier insofern ein Opfer, als in ihr das ein für allemal geschehene Kreuzesopfer gegenwärtig wird, weil Christus als der ein für allemal sich Dahingegebene gegenwärtig wird.

FURCHE: Also faktisch ist das identisch mit der Lehre Luthers: „In, mit und unter dem Sakrament ist Christus gegenwärtig.”

Wir weisen auf Christus und sagen: Das ist das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt. Wir haben nichts, wir kommen mit leeren Händen, wir können nichts opfern, aber wir stellen Christus, das Lamm Gottes, das Opfer, vor den Vater und bitten um dieses Opfers willen, daß er uns Vergebung und Versöhnung schenken möge. Wenn aber die Messe nicht als Verleugnung des Opfers Christi güt, dann fällt damit auch ein Grund für eine Ablehnung des Papstes weg. Martin Luther hat noch 1531 geschrieben, wenn der Papst uns zugäbe, daß allein auf Grund des ein für allemal geschehenen Kreuzesopfers Jesu Christi Versöhnung erfolgte, daß die Rechtfertigung allein auf Grund des Glaubens geschähe, dann wollten wir den Papst nicht nur auf Händen tragen, sondern ihm sogar die Füße küssen. Man war bereit, auch den Papst anzuerkennen, natürlich nicht in seiner weltlichen Macht, aber im Dienst des Petrusamtes, wenn er bereit gewesen wäre, die Rechtfertigungslehre anzuerkennen. Weil aber in der Rechtfertigungslehre heute kein Trennungsgrund mehr zwischen evangelisch und katholisch besteht, haben sich auch Wege zu einer Verständigung über das Petrusamt eröffnet. In den USA hat ein offizieller lutherisch-katholischer Dialog stattgefunden. Das Ergebnis ist, daß der päpstliche Primat, erneuert im Licht des Evangeliums, kein Hindernis für die Versöhnung zu sein braucht. Das erklärten die lutherischen Teilnehmer.

FURCHE: War zur Zeit Luthers nicht auch eine falsche Sprachregelung Grund für die Verwirrung?

Es gab schon damals viel Emeue- rüngsbedürftiges. Papst Hadrian VI. forderte das Schuldbekenntnis, daß die Päpste und die an der Kurie Stehenden versagt hätten. Luther und die Reformatoren wollten keine Spaltung, sie wollten die Erneuerung. Das Zweite Vatikanische Konzil hat versucht, diesem Anliegen der Reformatoren zu entsprechen. Ich glaube, damit ist ein Weg eröffnet auch fü r eine Verständigung, für eine Versöhnung und für eine Einheit, wann Gott es gibt und wann Gott will.

FURCHE: Wie steht es aber mit den reformierten Kirchen?

Professor Ratzinger sprach in Graz zum Thema „Prognosen des ökumenismus”. Er hatte die Spaltung zwischen der orthodoxen Kirche des Ostens und der Westkirche seit 1054 wie die Spaltung im Abendland zwischen den Reformationskirchen und der römischen Kirche im Bück. Er woüte die kooperative Einheit, in der lutherische Kirche lutherische Kirche bleibt, kathoüsche Kirche katholische Kirche bleibt. In der Einheit möchte er die Einheit zwischen lutherischer und kathoüscher Kirche auf der Grundlage der Confessio Augustana als Beispiel nennen und damit sagen, so ähnüch könnte sich auch eine Einheit zwischen kathoüscher Kirche und Reformierten ereignen. Zwischen dem Einheitssekretariat der katholi schen Kirche, dem Lutherischen Weltbund und dem Reformierten Weltbund laufen Gespräche, ebenso zwischen der kathoüschen Kirche und den Methodisten. Wir stehen von kathoüscher Seite aüen Reformationskirchen mit gleicher Offenheit und Bereitschaft gegenüber.

FURCHE: Wann kann man einen Erfolg dieser Bemühungen erwarten?

Bis zur Anerkennung der Confessio Augustana sind noch Gespräche erforderüch. Kardinal Willebrands, der Präsident des Sekretariats für die Einheit der Christen, schreibt in seinem Vorwort zu einem Buch, das in den nächsten Tagen veröffentlicht wird, eine offizielle kirchüche Stellungnahme sei erst nach theologischen Erörterungen mögüch. Aber ein so engagierter und anerkannter Theologe wie Professor Walter Kaspar aus Tübingen hat geschrieben, die Ergebnisse, die sich aus den theologischen Erörterungen jetzt schon zeigen, gehen dahin, daß bereits 1980 von offizieller kathoüscher Seite erklärt werden könnte, die Confessio Augustana sei kathoüscherseits anerkennbar. Das wäre ein erster wichtiger Schritt. Einen weiteren Schritt müßten offizielle Gespräche zwischen den Instanzen der kathoüschen und der lutherischen Kirche bilden. Der Lutherische Weltbund hat in Daressalam auf seiner Voüversammlung beschlossen, den Bemühungen um eine Anerkennung der Confessio Augustana Studien zu widmen. Er sei bereit, mit der kathoü- schen Kirche in Gespräche einzutreten. Diese Gespräche sind schon auf verschiedenen - auch offizieüen - Ebenen im Gange.

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