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Die Koexistenz ist gestorben

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Die Koexistenz ist gestorben“, sagte Jerusalems Bürgermeister Teddy Kollek, als er das Flüchtlingslager Anata - nördlich von Jerusalem — besuchte. Der 76jährige Bürgermeister war sehr bedrückt. Denn er sah, wie das in 20 Jahren aufgebaute Lebenswerk einer Koexistenz von Juden und Arabern durch die Unruhen in Israel zerstört wird.

Plötzlich kam wieder das listige Zwinkern in seine Augen. Kollek meinte: „Die schlimmen Ereignisse in Jerusalem werden Narben hinterlassen. Aber trotzdem glaube ich an ein Zusammenleben, weü es nicht anders geht.“

Wie dieses Miteinanderleben heute aussieht, kann man in den jüdisch-arabischen Wohnvierteln der Stadt beobachten. Zwanzig Jahre lang war das Viertel Abu Tor ein gemischtes Viertel. Auf der einen Seite der Straße wohnen Juden, auf der anderen Araber. Während des jordanischen Regimes von 1948 bis 1967 verlief eine Mauer in der Straßenmitte.

Hier kann man Professor Ari Sachs treffen, ein führendes Mitglied der Friedensbewegung „Peace now“. Seit 25 Jahren lebt er in einem alten Haus, das er selbst renoviert und umgebaut hat. Er erinnert sich noch, als direkt gegenüber seinem Fenster die arabischen Legionäre Wache hielten.

Einige Male wurde auf sein Haus geschossen, aber im allgemeinen war es ruhig. Für Ari Sachs war es mehr als nur das Wohnen in Abu Tor. Er glaubt an ein jüdisch-arabisches Zusammenleben, das er hier verwirklichen wollte.

Heute läßt der Professor seine Kinder nicht auf die Straße. Er hat Angst. Denn seine Fenster wurden von arabischen Nachbarskindern schon einige Male eingeschlagen und seine Autoreifen durchschnitten.

Jakob Rothblueth — ein linker Journalist und Schriftsteller — verlor bei der Eroberung des arabischen Teils Abu Tor sein Bein und beschloß nach seiner Entlassung vom Militär, in dieses Viertel zu ziehen. Er wohnt mit seiner Familie in einem alten arabischen Gebäude und versuchte, sich mit seinen arabischen Nachbarn anzufreunden.

Aber irgendwie klappte dieser Integrationsversuch nicht. Die Kinder spielen zwar im Gemeindezentrum, doch wenn die jüdischen da sind, bleiben meist die arabischen weg - und umgekehrt.

Die Juden wohnen in dem Viertel Talpiot, in der Nähe des ehemaligen Palastes des Hochkommissars. Heute ist dieser das Hauptquartier der UNO-Beob-achter. Das arabische Dorf, nur einige Dutzende Meter entfernt, heißt Dschebel Magbar.

Am vergangenen Sonntag pilgerte das ganze Dorf zum jüdischen Viertel. An der Spitze waren einige hundert Jugendliche, die Steine auf jüdische Wohnungen schmissen. Sie beneiden die Juden in ihren modernen Wohnungen, während sie in engen Häusern in ihrem Dorf hausen müssen.

Die jüdische Stadtverwaltung hat hier viel investiert. Sie ließ ein Gemeindezentrum und eine neue Schule im Dorf errichten, versorgte das Dorf mit elektrischem Strom, ließ eine Kanalisation bauen und eine Wasserleitung legen. Viele Frauen des Dorfes arbeiteten in jüdischen Haushalten. Das alles war mit dem Steinhagel der arabischen Jugendlichen wie weggefegt. Seit die Steine flogen, regiert hier Angst.

Daphna Israeli, ein Ujähriges Mädchen: „Wenn ich alleine durch die Straße gehe, machen die Araber unflätige Bemerkungen, nennen mich Hure. Dabei waren die Araber bei uns immer gern gesehen. Unsere arabische Raumpflegerin hat nicht nur einen Hausschlüssel, sondern war immer allein in der Wohnung. Aus Angst vor. den anderen Dorfbewohnern kommt sie jetzt nicht mehr.“

Loraine Rabi meint: „Unser Haus war immer ein offenes Haus. Wir hatten viele Araber zu Besuch. Plötzlich ist das alles vergessen.“

Die Liste ließe sich fortsetzen. Das friedliche Zusammenleben von gestern, der Small Talk auf der Straße und im Cafe - das alles ist jetzt vorbei. Das 1967 vereinte Jerusalem wurde nun wieder durch eine tiefe Kluft geteüt.

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