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Die Krippe

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Ein wesentlicher Teil der neuen österreichischen Literatur kommt aus Kärnten. Der in Villach lebende Autor gehört zu den bedeutenden Erzählern dieses Kreises. Seine Leser schätzen ihn als einen Epiker, der die Wirklichkeit beschreibt, um ihre Tiefe auszuloten.

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Ein wesentlicher Teil der neuen österreichischen Literatur kommt aus Kärnten. Der in Villach lebende Autor gehört zu den bedeutenden Erzählern dieses Kreises. Seine Leser schätzen ihn als einen Epiker, der die Wirklichkeit beschreibt, um ihre Tiefe auszuloten.

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Der Nebel stand in den Stauden und schnitt Gesichter. An die Unterseite der Äste der alten Buche klammerten sich Wassertropfen. Ab und zu wurde einer größer, blähte sich auf und fiel in die Blätter, die um den Stamm lagen, Wraun, faulig und schwer von Nässe.

„Ich werde die größte Krippe haben", sagte der Junge. Seine elfjährigen Hände zogen eine Wurzel über den Boden, die sich in einer Schleife fing und so eine Höhlung einschloß.

„Die schleppst du nie bis heim", antwortete die Schwester, die, etwas größer als er, mit gesenktem Kopf neben dem Jungen hertrottete.

„Du kannst mir ja helfen", stieß er keuchend hervor. ,

„Ich"?

Das Mädchen verzog spöttisch die Lippen.

„Was geht mich deine Krippe an? Du läßt mich dann doch nicht damit spielen."

„Spielen!" erboste er sich, „eine Krippe ist nicht zum Spielen."

„Zu was dann?" fragte es.

Der Knabe setzte die Wurzel ab. Er atmete schnell und die Haare, durch die er immer wieder mit den Fingern fuhr, standen nicht; sie waren verschwitzt und fielen ihm in feuchten Strähnen in die Stirne.

„Ich richte sie für das Christkind", sagte er.

Die Schwester überlegte eine kleine Weile. Sie hatte sich zu dem rastenden Jungen herumgedreht. Die Hände in die Taschen ihres roten Regenmantels geschoben, schupfte sie mit der rechten Schulter, während sie von einem Fuß auf den anderen das Gewicht verlagerte.

„Ach", sagte sie, .jetzt auf einmal glaubst du ans Christkind. Und gestern, was hast du gestern gesagt?"

„Ich habe es nicht gesagt", unterbrach er sie.

„Du bis ganz schön falsch."

„Du auch."

Er begann wieder die Wurzel zu schleppen, und das Mädchen war zwei Schritte vor ihm. Die Wollweste, die er unter seinem grünen Walkjanker trug, stieg aus dem Bund der Hose. Aus den Ärmeln züngelte sie heraus und schlenkerte um die Handgelenke. Er versuchte es mit verschiedenen Griffen, aber das Holz war zu schwer, er konnte es immer nur wenige Schritte tragen.

So schleifte er es schließlich über den Boden, gebückt und keuchend.

Gibst du mir das blaue Papier?" knüpft er das Gespräch neuerdings an. „Wofür brauchst du es denn?" „Für die Maria. Ich will ihr einen blauen Mantel machen."

„Ein blauer Mantel ist nichts", sagte das Mädchen. „Du mußt goldene Sterne ausschneiden und aufkleben." „Sowieso", sagte er. Er fuhr mit dem Handrücken unter seiner Nase vorbei. Durch die Anstrengung hatte sie zu bluten begonnen. Sich an der Wurzel festhaltend, beugte er sich weit vor, um das Blut auf den Boden tropfen zu lassen, und seine Kleider nicht zu beschmutzen.

„Du mußt dich zurückbeugen", belehrte ihn die Schwester, „so wird es nie aufhören."

Das Mädchen nahm , ein zerknülltes, winziges Taschentuch aus dem Mantelsack und versuchte, ihm die Nase damit zuzuhalten.

„Geh weg, ich bekomme keine Luft", sagte er ungnädig.

„Du mußt es vorsichtig aufziehen", belehrte ihn dfe Schwester, „wenn du dich schneuzt, fängt es wieder an."

Er griff nach einem Moosbüschel und versuchte, das geronnene Blut von den Nasenlöchern zu reiben.

Das Mädchen begann zu lachen: „Wie du aussiehst, jetzt hast du

alles ins Gesicht geschmiert." „Ist mir auch wurscht", sagte er,

richtete sich auf und streckte sich.

„Gehen wir!"

Er griff nach der Wurzel. Das Mädchen trat hinzu: „Ich helfe dir."

„Bekomme ich das blaue Papier?" fragte er. „Ja."

Er schnaufte.

„Im Keller ist noch ein Tiegel mit grauer Farbe. Mit der werde ich den Esel anstreichen."

„Aber er hat nur drei Beine", sagte die Schwester.

„Ich schnitze ein neues dazu."

„Es ist ein Hinterbein", gab sie zu bedenken, „das ist schwerer."

„Macht nichts", sagte er, „ich schnitze es trotzdem."

Sie gingen jetzt auf der Straße. Alle paar Meter waren Stangen in das Bankett gesteckt. Es würde bald schneien. Sie schleppten einträchtig an dem Holz für die Krippe. Manchmal schnitten die Lichtkegel eines Fahrzeuges in den Nebel, der dann plötzlich weiß war und dicht wie Milch. In solchen Augenblicken rückten sie näher zusammen, sie waren kleiner in der schwimmenden Helle und tauchten wie Gnomen in die Dunkelheit zurück.

„Es gibt schon Maroni", sagte der Junge unvermittelt.

„Gestern habe ich einen Zwetschkenkrampus gesehen", sagte das Mädchen.

Ein eisiger Ostwind riß über den ungeschützten Teilen der Straße den Nebel entzwei. Der Belag begahn schwärzlich zu glänzen. Ab und zu glitt ein Kinderfuß über die glitschige Nässe.

„Vielleicht friert der Teich bald zu", hoffte der Junge.

„Ich wünsche mir neue Schlittschuhe zu Weihnachten, aber solche, die an den Sohlen angeschraubt sind", erklärte das Mädchen.

„Hast du den Brief schon geschrieben?" fragte der Bruder. „Noch nicht." „Ich auch nicht."

Sie hingen ihren Wünschen nach, die unruhig waren wie die aufhorstendeh Krähen in den Alleebäumen.

„Ich schreibe ihn nach Unterhimmel 6", sagte der Junge.

„Ich leg ihn ins Fenster" kündigte die Schwester an.

„Der Edi glaubt nicht ans Christkind", sagte der Bruder.

„In der Klasse glauben sie auch nicht", bestätigte das Mädchen.

„Aber der Papa glaubt an das Christkind", sagte er und schaute das Mädchen herausfordernd an.

Es sah schräg zurück, abwägend, wieviel Ernst in dieser Feststellung liege und ob sie eine Gefahr werde, dann antwortete es seufzend: „Das ist es ja eben."

„Wenn wir schlafen, schleicht er ins Kinderzimmer und nimmt den Brief aus dem Fenster", verriet jetzt der Junge.

„Ich habe ihn voriges Jahr auch gesehen", sagte die Schwester.

Sie griffen wieder nach der Wurzel, um die letzte Strecke zur Wohnung zurückzulegen.

Der Knabe sah auf das Holz hinab.

„Die wird prima", beteuerte er.

„Die kleine Seifenpuppe nehme ich als Christkind", sagte er.

„Leg es auf die gelbe Watte, die Mama in der Schachtel mit den Ringen hat", riet die Schwester, „die ist weicher als Stroh."

„Klar", sagte er, „die ist richtig."

„Die Heiligen Drei Könige kannst du aus Kastanien machen."

„Ich hab noch einen Elefanten und ein Kamel."

„Der Stern über der Krippe muß einen Schweif haben."

„Zwei Schweife", sagte er.

„Einen", beharrte sie.

„Nein, zwei", bestand er.

„Jetzt streitest du schon wieder."

„Du streitest", wehrte er sich.

Vor der Haustüre ließ sie die Wurzel fallen und rannte über die Stiegen voraus.

Er zog das Holz noch vor den Kellereingang. Liebevoll strich er über die Knorren und Spalten der Wurzel. Er tastete die Fugen ab. Unter seinen Händen wuchsen die Wände des Stalles, und das Licht der Flurlampe war hell wie der Stern zu Bethlehem.

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