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Die Krise als eine Chance

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Derzeit kann man sich in Wien kaum der Reiseberichte aus Lateinamerika erwehren", resümierte die „Presse" die nahezu gleichzeitig von Alois Mock und seiner Delegation, Erhard Busek und Begleitung sowie der „Erntebrigade Jura Soyfer" übermittelten Rapporte. Wozu man nur „Bravo!" sagen kann.

Wer an Österreichs egozentrischer Selbstgefälligkeit rüttelt, hilft uns bei der Selbstfindung. Wie die Sozialnatur des Menschen den Rückzug auf das bloße Ich verbietet (und das „Einrollen auf sich selbst" laut Gabriel Marcel zur Sünde schlechthin macht), verlangt unsere Zeit auch ein Sozialverhalten der Völker: Nationaler Egoismus ist zur sozialen Sünde schlechthin geworden. Immer werden Sünder selbst die Opfer ihrer Sünden.

Was brachte Alois Mock, der in seiner Eigenschaft als Präsident der Internationalen Demokratischen Union (IDU) nach seiner Zentralamerika-Reise in den USA von Präsident Reagan, Vizepräsident Bush und Minister a. D. Kissinger empfangen worden ist, aus Amerika mit? Einmal die Aufforderung an die IDU, sich gleichfalls für Zentralamerika zu engagieren.

Diesen Wunsch muß man den USA zubilligen. Man kann nicht gleichzeitig die Weltpolizistenrolle von Uncle Sam rügen und selber ein Minimum an solidarischem Handeln vermissen lassen.

Mock wie Busek zeigten sich auch beeindruckt vom Wunsch der Zentralamerikaner, mit Europa ins Gespräch zu kommen. Der streckenweise in Lateinamerika anzutreffende Yankeehaß hat seine historischen Gründe. Aber kaum jemand, von ein paar verblendeten Ideologen abgesehen, möchte wirklich die Dominanz der westlichen Supermacht durch eine solche der östlichen ersetzt sehen. Darum ist es zu begrüßen, daß der Bericht der Kissinger-Kommission über Mittelamerika als erstes Prinzip für die Lösung des fundamentalen Konfliktes „demokratische Selbstbestimmung" nennt.

Wahlen mögen nicht die einzige Ausdrucksform dafür sein und auch nicht immer die optimale. Aber kein Volk Zentralamerikas ist zu dumm für Abstimmungen, und Busek ist beizupflichten, wenn er meinte: Demokratie haben auch die Österreicher durch Wählengehen und nicht durch Nichtwählengehen gelernt.

Also soll man die Präsidentschaftswahlen vom 25. März in El Salvador nicht wieder von vornherein madig machen, sondern lieber das Bestmögliche dazu tun, den reformwilligen Kräften der demokratischen Mitte eine Chance zu geben. Der Christdemokrat Duarte hat eine solche, die Aussichten des rechtsradikalen Kandidaten d'Aubuisson scheinen zu schwinden. Eine dünne Hoffnung, aber immerhin eine Hoffnung.

In Nikaragua sollen nun doch auch 1985 ein Präsident, ein Vizepräsident und eine Nationalversammlung gewählt werden. Es war richtig, daß Mock wie Busek gegenüber Sandinistenführern darauf gedrängt haben. Es war eine völlig unnötige Fleißaufgabe einiger SPÖ-Mandatare, Verständnis für eine Verschiebung der Wahlvorbereitungen bekundet zu haben.

Wer auf Wahlen drängt, trägt derzeit zu einer Entspannung der zentralamerikanischen Problematik bei. Auch im Kissinger-Bericht heißt es: „Die USA dürfen keine Mühe scheuen, den diplomatischen Weg zu beschreiten."

Dieser Bericht empfiehlt zwar nicht eine Fortsetzung der Militärhilfe für die antisandinisti-schen Rebellen, läßt deren Zweckmäßigkeit aber offen. Aber aus voller Uberzeugung möchte man den Minderheitsvoten von Henry G. Cisneros und Carlos F. Diaz-Alejandro zustimmen, wonach eine fortgesetzte Contra-Unterstützung die Chancen einer Verhandlungslösung eher schmälert und den „Falken"-Flügel der Sandinisten stärkt.

Von allen taktischen Überlegungen aber abgesehen, haben die Bewohner Mittelamerikas einfach ein Recht auf Frieden und menschenwürdige Lebensbedingungen. Solche aber sind, von Costa Rica abgesehen, derzeit in keinem zentralamerikanischen Staat gewahrt.

Für Nikaragua hat die regierungskritische Menschenrechtskommission CPDH im abgelaufenen Jahr 104 Fälle von Folter, 207 Entführungen, 46 Eigentumsverletzungen und 1169 „politische" Festnahmen registriert. Das ist ein Skandal.

In Guatemala gibt es keine politischen Gefangenen — dort wird einer, schon wenn er als Guerilla-Sympathisant verdächtigt wird, umgebracht. Amnesty International nennt Guatemala das Land mit der „grausamsten Repression der Welt".

Für El Salvador hat selbst der Kissinger-Bericht die Zahl der Ziviltoten seit 1979 mit über 30.000 angegeben. Das aber übersteigt den Skandal von Nikaragua noch ganz erheblich.

Daß die Sowjetunion und- ihr Satellit sich das Elend Zentralamerikas politisch zunutze machen, weiß man. Aber sie haben es weder erfunden noch geschaffen. Daran hatten die USA, aber auch Europa (Spanien!) schon einen viel größeren Anteil.

Die Schadensfolgen beseitigen zu helfen, ehe sie uns alle treffen, ist moralische Pflicht. Nur wenn diese ernst genommen wird, kann - auch dies ein Zitat aus dem Kissinger-Bericht — „die Krise in Mittelamerika in eine Chance verwandelt werden".

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