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Die Kumpels bleiben hart

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Großbritannien atmete auf, nachdem sich vergangene Woche die von den Dok-kern gebildete „zweite Front" im seit 20 Wochen dauernden Bergarbeiterstreik aufgelöst hatte. An der „Hauptfront", der Auseinandersetzung mit den Kumpels, ist freilich noch kein Ende in Aussicht.

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Großbritannien atmete auf, nachdem sich vergangene Woche die von den Dok-kern gebildete „zweite Front" im seit 20 Wochen dauernden Bergarbeiterstreik aufgelöst hatte. An der „Hauptfront", der Auseinandersetzung mit den Kumpels, ist freilich noch kein Ende in Aussicht.

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In den 54 Häfen der Insel ist seit letztem Wochenende nach zweiwöchigem Frachtverbot die normale Situation wieder eingekehrt. Ein Trauma der Wirtschaft des Landes ist abgewendet: Stillegung von Import und Export, eine Falle für Fernlaster und ihre Chauffeure, die sich an beiden Seiten des Kanals stauten.

Ein Zwischenfall in Inningham, Humberside, Verletzung des seit 37 Jahren gültigen Arbeitsschemas durch unbefugte Außenstehende, gab den Anlaß für den Dockerstreik. Nun haben diese die offizielle Zusicherung von Regierung und Arbeitgebern, daß das Abkommen unangetastet bleibt, die Hafenarbeiter allein für jede Art von Ladetätigkeit zuständig seien und bleiben — solange Frau Thatcher in der Downing Street residieren wird.

Ein Tatbestand rückt allerdings in den Vordergrund: Die wütenden Lastfahrer, von Verrottung ihrer Lebensmittelladungen und schweren finanziellen Verlusten bedroht, haben durch ihre Blok-kadedrohung die Einigung am Verhandlungstisch wenn schon nicht erzwungen, so doch beschleunigt. Der Zweck des AusStandes im Hintergrund, Solidarität für die streikenden Kumpel, zog in diesem Augenblick nicht mehr.

Die Kohlearbeiter bedauern die Einigung ihrer zeitweiligen Streitgenossen. Ein Land aber atmet mitten in der Ferienzeit erleichtert auf, da Millionen ihren Urlaub auf dem Kontinent oder in Irland gefährdet sahen. Gleichwohl ist der Streik der Grubenarbeiter die schärfste Herausforderung an Premierministerin Margaret Thatcher.

Nicht von ungefähr nennt die Regierungschefin die rebellierenden Kumpel den „inneren Feind", nicht minder gefährlich für Staat und Demokratie als der „äußere", gemeint ist Galtieris Argentinien, das vor etwas mehr als zwei Jahren den Krieg im Südatlantik durch Einmarsch in der Kronkolonie, den Falklandinseln, provozierte. In der Tragweite ist der Streik um keine Spur harmloser als der Krieg.

Die Premierministerin trüge nicht den Beinamen „Eiserne Lady", wenn sie sich nicht mit der gewohnten Vehemenz in die Auseinandersetzung stürzte, das gesamte Kabinett, die gesamte Partei mitziehend. Vorerst geschieht dies nur in einem Bombardement von Worten, Arthur Scargül, den Bergarbeiterführer, als den Erzfeind gleich Galtieri denunzierend.

Der Eindruck eines unmittelbaren Einmischens in den Disput soll jedoch verwischt werden. Lange kann Frau Thatcher freilich diese scheinbare Abstinenz nicht aufrechterhalten. Sollte sich der Disput noch lange hinziehen— nichts spricht dagegen — dann ist die Ausrufung des Notstandes, der Einsatz des Militärs zur Aufrechterhaltung der Energieversorgung unausweichlich. Dies bedarf einer Entscheidung der Regierung.

Ian MacGregor, der greise Chef der Kohlebehörde, hat die Hände frei in den Verhandlungen mit dem widerspenstigen Scargül, auf dessen Person sich der gesamte Disput konzentriert. Dieser Mann, militanter Verfechter von Klassenkampf und erklärter Totengräber jeder Art von Thatcherismus, führt rücksichtslos seinen Feldzug zur Erhaltung von Jobs und Gruben: rücksichtslos auch in Hinblick auf die Arbeiter in anderen Industriezweigen, die um Arbeitsplätze fürchten müssen, wenn Scargill mit seinem Forderungskatalog durchdringt.

Bearbeitung unwirtschaftlicher Gruben nur als Mittel der Arbeitsbeschaffung hieße mehr öff entliche Mittel in die Kohleindustrie hineinpumpen, die anderen Zweigen abgezogen werden müssen, bedeutete teurere Energie, die wiederum Unternehmer zu Einsparungen veranlassen müßte. Und der Stahlarbeiter, Docker, Eisenbahner zahlt dafür.

Ohne Rücksicht auch auf die langfristigen Aussichten, aus der schwer defizitären Kohleindustrie ein profitables Unternehmen zu machen, das hat MacGregor vor. Ein Gesundschrumpfungsprozeß ist in Aussicht gestellt. In der Manier eines sowjetischen Apparatschiks sagt Scargill zu allem Nein.

Bis jetzt ist es nur die Behörde, die Entgegenkommen zeigt. Großzügige Abfindungen für vorzeitig ausscheidende Kumpel sind Tatsache. Die fünf am meisten umstrittenen Gruben, die allesamt einen Verlust von 18 Millionen Pfund allein im letzten Jahr erwirtschafteten, bleiben offen.

Die letzte Verhandlungsrunde scheiterte an einem kleinen Wort, „beneficially" (vorteilhaft) abbaubarer Bodenvorräte, ein Wort, in welchem sich zwei Welten zusammenballen. Die Bergarbeiter vermuten darin nur eine euphorische Umschreibung der verhaßten „UnWirtschaftlichkeit", aus-ersehen, um Arbeitern, Gemeinden und Gemeinschaften ihren Broterwerb zu nehmen. Nach dem erfolglosen Einigungsversuch bereiten sich beide Seiten auf einen langen Grabenkrieg vor.

Diese Entwicklung und die Aussicht auf ein Andauern des Disputes bis tief in das Jahr 1985 hinein, verursacht bei vielen Briten Angstträume: Engpässe in der Energieversorgung, dunkle Städte, stilliegende Fabriken, ein wirtschaftliches, soziales und politisches Chaos. Vorerst ist es noch nicht soweit. Energieminister Walker beruhigt: Genug Kohle in den Kraftwerken bis über den Jahreswechsel hinaus, die Zufuhr von den Bergwerkshalden klappe klaglos.

Wenn es in diesem unerbittlichen Disput ein Geschehen gibt, das Achtung verdient, dann ist es die beispiellose Solidarität der Bergarbeiter nicht an der industriellen Front, sondern im privaten Leben. Viele von ihnen sind von der Härte eines Ausstandes schwer getroffen. Doch der Arbeitsgenosse springt ein, teilt den letzten Penny mit seinem darbenden Nachbarn, Sammelaktionen bewahren Kinder vor Hunger und Not. Auch die Gemeinschaft der Bergarbeiter ist ein Opfer der Un-nachgiebigkeit ihres Gewerkschaftsführers.

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