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Die Kunst hat das Warnen versäumt

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FURCHE: Herr Hundertwassar. in Ihrer Rede, die Sie anläßlich der Überreichung des Großen österreichischen Staatspreises im Patais Palffy gehalten haben, meinten Sie, daß Ihre Warnungen wohl ernster genommen werden, daß sie aber dennoch nicht wirksam werden konnten. So zum Beispiel gibt es noch immer nicht das von Ihnen geforderte Fensterrecht.

FRIEDENSREICH HUNDERTWASSER: Ja, das Fensterrecht existiert nicht. Ich habe aber die Absicht, einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Unter Fensterrecht wird allgemein umschrieben, was der Mensch tun darf, welche Pflichten er hat und welche Rechte. Auch im Inneren. Nämlich es geht nicht an, daß Menschen Zellen bewohnen und in diesen nichts tun dürfen. Das ist genau das Merkmal eines Konzentrationslagers.

FURCHE: Sie haben mit einem Architekten einen sogenannten „grünen Gemeindebau" entwickelt. Wo mußten Sie in dieser konkreten Zusammenarbeit von Ihren Vorstellungen zurücktreten?

HUNDERTWASSER: Ich habe keine Abstriche machen müssen, weil ich intelligent genug bin, daß ich weiß, was machbar ist und was nicht. Zum Beispiel nicht machbar und völlig unsinnig ist es, wenn ein Künstler sich selbst ein Denkmal setzen will, das man dann den Menschen aufdrängt. Man will die Menschen sozusagen zwingen, in einer Freiheitsstatue zu wohnen und sie müssen aus den Fingernägeln herausschauen, weil dort zufällig die Fenster sind.

St) flrtgefähr’itzllt sich bft ein moderner Künstler seine Zusammenarbeit mit Architekten vor. Das ist völlig m-möglich. Der Künstler muß sich den Wünschen und Sehnsüchten des Menschen und er muß sich der Natur unterwerfen. Sonst kann das nicht gelingen.

FURCHE: Sie vertrauen den Technokraten nicht und nicht unbedingt den Politikern. Glauben Sie, daß es an der Zeit ist. daß die Künstler gewaltig ihre Stimme erheben?

HUNDERTWASSER: Es ist eine Situation, in der der Staat Halt sucht. Er ist unsicher geworden - die Beamten, der ganze Apparat. Nicht nur, weil man ihnen ständig sagt, daß sie etwas falsch machen, sondern sie sehen es selber. Plötzlich funktioniert das so schön Geplante nicht mehr, und da muß ein Umdenken einsetzen. Eą geht nicht darum, daß Künstler jetzt um jeden Preis ans Ruder kommen. Das ist völlig falsch, denn Künstler sind oft Menschen, die das Negative predigen oder die sich selbst emporsetzen wollen: Sie sind Möchtegern-Diktatoren.

Man sollte meiner Ansicht nach der Jugend mehr Gehör schenken. Es gibt genug Leute, die Bäume pflanzen wollen auf den Gehsteigen. Sie wollen die Pflastersteine herausreißen. Man soll sie gewähren lassen.

Es ist ein Wahnsinn, daß es noch immer Stadtplaner und Architekten gibt, die weiterbauen, die die Welt weiter zu-betonieren. Ich weiß nicht, wer dafür verantwortlich ist: zum Beispiel auf der Freyung in Wien, ein Platz, der zum Teil neu gestaltet wurde - und wiederum Beton und Teer und kein einziger Baum.

FURCHE: Sie sagten, die offiziellen Stellen sind verunsichert. Nun haben Sie gerade von diesen den österreichischen Staatspreis überreicht bekommen. Welche Bedeutung messen Sie dem zu?

HUNDERTWASSER: Ich glaube, man versucht, aus einem schlechten Gewissen heraus Leute doch mitsprechen zu lassen, die immer schon gewarnt haben vor der Steinwüste und vor dem Abtöten des Kreativen und der Natur. Ich glaube, man will mich nicht nur als Künstler ehren, sondern beson-

ders als Ökologen und Umweltschützer.

FURCHE: In Ihrer Rede anläßlich der Preisverleihung haben Sie die zeitgenössische Kunst als „entartet" abqualifiziert und Sie sprachen von „avantgardistischen Trotteln". Im Gegensatz dazu aber meinten Sie. es gebe noch immer Maler, „die unerschütterlich und stark und frei ihren Weg gehen". Wo sind die in Österreich zu finden und in welche Richtung gehen sie? Ich nehme an, Sie zählen sich selbst zu dieser Gruppe.

HUNDERTWASSER: Ich zähle mich keineswegs zu den Positiven. Ich bin mitschuld an dem, was passiert ist, an diesem Irrweg, den die Kunst gegangen ist. Positiv ist die Kunst, die nicht

intellektuell, nicht zerebral, nicht theoretisch ist - ich meine eine Malerei, die alle Menschen anspricht, die einen verständlichen und begehbaren Weg auch dem einfachen Menschen zeigen kann.

FURCHE: „Entartete" moderne Kunst - das ist doch ein stark belasteter Begriff…

HUNDERTWASSER: Was kann das arme Wort dafür, daß es falsch gebraucht wurde. Übrigens habe ich immer wieder betont, daß ich mich von den Machenschaften des Dritten Reiches distanziere, daß ich das Wort in einem andeten, in einem echten Zusammenhang verwende. Das Wort „entartet" gibt es ja schon länger, es bekam nur einen falschen Sinn.

Ich möchte auf folgendes hinweisen:

Es ist doch eine Tatsache, daß in Amerika aber auch in Europa ein Umdenken stattfindet. Wenn der zunächst positive Weg negative Züge angenommen hat, dann folgt eine Zeit der Erkenntnis.

Die Angriffe gegen die Auswüchse der modernen Kunst sind in Amerika vehement. Schon vor drei Jahren ist ein Buch erschienen, es heißt „The painted Word", ein Titel, der besagt, daß zuerst eine Theorie geschaffen und danach gemalt wird. Und das ist nicht als Kunst zu betrachten.

FURCHE: Sie haben in Ihrer Rede auf die Gefährlichkeit der Kernenergie hingewiesen und dann sind sie direkt dazu übergegangen, mit nicht minder starken Worten den Weg der Kunst

nach 1945 zu beklagen. Sehen Sie hier tatsächlich Zusammenhänge oder ist diese parallele Hervorhebung ein Zufall?

HUNDERTWASSER: Man kann diese beiden Aspekte trennen, aber sie sind doch sehr stark miteinander verbunden. Der Irrweg, den die Gesellschaft vor allem dadurch geht, daß sie sich der Atomkraft bedient, ist der gefährlichste, den die Menschen je beschritten haben. Das war aber nur dadurch möglich, daß man im Fortschrittsdenken das Heil suchte. Und alle anderen Wege, insbesondere die schöpferischen, sie hat man außer Acht gelassen.

Und die Kunst? Ein großer Teil der Künstler beziehungsweise der Kunstmacher - Leute, die mitentscheiden sollten, wie Museumsdirektoren und Kunsttheoretiker -, sie haben die Kunst in den Dienst dieser technokratischen Machinationen gestellt, anstatt zu warnen.

FURCHE: Ihre Rede wurde äußerst kritisch aufgenommen und nicht gerade begeistert kommentiert. Haben Sie auch positive Erfahrungen gemacht?

HUNDERTWASSER: Ja, ich habe aus der Bevölkerung positive Reaktionen erfahren. Negative nur von einem kleinen Klüngel von Intellektuellen, die sich zu Recht oder zu Unrecht betroffen fühlen. Normalerweise sind die Intellektuellen auf meiner Seite und die Leute auf der Straße sagten „der Verrückte". Plötzlich ist eine Umkehrung der Situation. Ich fühle deutlich, daß der einfache Mensch absolut meine Worte versteht, und zwar wirklich. Daß hingegen eine gewisse intellektuelle Überschicht sich betroffen fühlt, das freut mich. Es ist mir gelungen, einen Anstoß zu geben für eine Evolution, die kommen muß. Sie ist eine Revolution von der Basis, die parteilos ist.

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