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Die Kunst ist frei - aber auch verantwortlich

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Während die Freiheit der Wis -senschaft und ihre Lehre schon 1867 im Staatsgrundgesetz garantiert wird, gibt es eine derartige Schutzbestimmung für die Kunst erst seit 1982: Der Artikel 17a desselben Gesetzes verbrieft die Freiheit des künstlerischen Schaffens, der Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre. Damit bekennt sich der Staat eindeutig zum Prinzip der Nichteinmischung in künstlerischen Belangen.

Wie die Entwicklung der letzten Jahre zeigt, ist die Kunst immer

mehr in den Mittelpunkt öffentlicher und privater Interessen gerückt. Die Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig und sollen hier nur gestreift werden: der Wegfall privaten Mäzenatentums in einer wachsenden Freizeitgesellschaft, Vermittlung von Kunst durch Massenmedien, Anerkennung von Wissenschaft und Kunst als gleichrangig und gleichbedeutend, die damit verbundene neue Stellung des Künstlers in der Gesellschaft mit erhöhtem Bewußtsein für ihre und eigene Probleme, Abbau des Starkults, die Bedeutung der Kunst für die Sinnfrage des Menschen, Festspiele, Ausstellungen, Museen, Kulturland Österreich...

Das Ergebnis dieser Entwicklung kann metaphorisch als eine Vernetzung dargestellt werden, an der die Bereiche Wirtschaft und Technik, Wissenschaft und Kirche, Politik und Massenmedien in einer In-

teressengemeinschaft mit der Kunst zusammenhängen.

Nichts macht diese dichter werdende Vernetzung besser deutlich, als die Interessenkonflikte, als Skandale auf Titelseiten präsentiert und von lautem Publikumsecho begleitet. Zu den langjährigen Antipoden Herbert von Karajan und Friedrich Gulda gesellten sich George Tabori in der Kollegienkirche, Claus Peymann am Burgtheater und Alfred Hrdlicka mit seinem Denkmal gegen Krieg und Faschismus. Mögen es auch für manche Politiker willkommene Stellvertreterkriege sein, ist doch klar zu erkennen, daß Kunst mehr als Ornament, daß sie eine starke geistige Kraft ist.

So notwendig und bejahenswert diese Vernetzung auch ist, dürfen aber nicht die Gefahren übersehen werden, die sie gerade für die Freiheit der Kunst mit sich bringt. Hier erfährt die Garantieerklärung des Staates ihre Grenzen. Es sind der Kunstmarkt und die Meinungsmacher, die Trends bestimmen, Künstler machen oder vernichten, Abhängigkeiten schaffen.

Zurückgestutzt auf den Konflikt Gesellschaft-Individuum wird aber die Freiheit der Kunst zur Voraus-

setzung für eine mqralische Dimension - die Verantwortung. Der Auffassung von Arnold Hauser „Kunst als Besitz der Gesellschaft“ steht diametral der Ausspruch des Individualisten Max Stirner gegenüber: „Mir geht nichts über mich.“

Welches Verhältnis hat der Künstler zur Gesellschaft? Ist er ein Teil oder steht er außerhalb von ihr?Die Freiheit von Wissenschaft und Kunst steht mit der Glaubensund Gewissensfreiheit, der Pressefreiheit und den Rechten der Minderheiten auf gleicher Stufe.

Die Freiheit der Kunst ist noch sehr jung und es fehlen Erfahrungswerte. Vor allem aber ist sie nur vom Staat dekretiert, nicht jedoch von anderen Bereichen der Gesellschaft ausgesprochen worden. Neue Interessenkonflikte werden unvermeidlich sein.

Während der letzten acht Jahre hatte ich als akademischer Funktionär reichlich Gelegenheit, nicht nur Probleme der Kunst, sondern auch der Wissenschaft zu studieren. Dabei ist mir besonders aufgefallen, daß gerade hervorragende Wissenschaftler nicht mehr bereit sind, die im 19. Jahrhundert vorherrschende wissenschaftstheoretische Position der Wertfreiheit so

ohne weiteres einzunehmen. Fritjof Capra spricht ganz unverhohlen vom Mythos einer wertfreien Wissenschaft.Auch die Wissenschaft gerät zunehmend in Interessenkonflikte. Unbestritten ist ihre Freiheit in der Grundlagenforschung. Aber immer häufiger wird die Frage gestellt, ob der Mensch alles tun darf, was er kann oder was ihm beliebt.

Diese Fragestellung ist aber bisher aus dem Kreis der Künstler nur selten zu hören gewesen. Vielleicht ist die vom Staat garantierte Freiheit noch zu jung, vielleicht hat das neue gesellschaftliche Sein noch nicht das Bewußtsein der Künstler bestimmen können, oder aber sind die Gefahren, die für Kunst und durch Kunst entstehen können, noch nicht existenzbedrohend. Sprachen wir nicht zuvor von der Verstrickung? Wird hier nicht das Wesen der Kunst bedroht?

Versuchen wir doch einmal den Blick in die Zukunft zu werfen, indem wir eine Entwicklung konsequent zu Ende denken, die schon heute Künstlern faszinierende technische Möglichkeiten eröffnet hat. Mit Hilfe des Computers wurden bereits unvollendete Kompositionen fertiggestellt, nachdem alle

thematischen, .kontrapunktischen, harmonischen, instrumentationsmäßigen und formalen Merkmale aufgeschlüsselt worden waren. Von da ist nur mehr ein kleiner Schritt zu einer fingierten fünften Symphonie von Brahms oder fünfzigsten von Mozart. Wer ist hier der Komponist, wenn die Muse Poly-hymnia zur Leihmutter wird?

Was über den Komponisten gesagt worden ist, kann auf den Dichter übertragen werden. Er wird sich auf seinen Pegasus schwingen, auf dessen Flügeln uns ein multinationaler Computer-Konzern seine Sponsorgrüße bestellt. Und wir, bald Neo-Analphabeten, werden Bücher kaufen, die wir weder lesen noch verstehen können. Aber wir haben dann doch ein hohes Kulturbewußtsein und wissen die Anlagewerte der Kunst wohl zu schätzen! Unser Vermögen, mit Kunst umzugehen, macht die Kunst zum Vermögen.Zeichnet sich nicht in diesen Visionen eine tiefe Entfremdung ab? Eine Entfremdung von Schöpferund Werk, von Mittler und Empfänger? Wo bleibt der Mensch?

Das vielleicht wichtigste Ziel des Menschen - und damit jedes Künstlers - ist es wohl, Antwort zuf inden und zu geben auf die Sinnhaftig-keit seines Tuns, auf die Sinnfrage.

„Menschsein“ heißt für Antoine de Saint-Exupery ,t vor allem anderen verantwortlich sein.“ Künstleregoismus steht einer solchen Haltung im Weg und führt in letzter Konsequenz zur Menschenverachtung.

Der Autor ist Professor an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz, sein Beitrag ein stark gekürzter Auszug aus dem Vortrag „Kunst • Spiel oder Verantwortung“.

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